Ich wusste es schon immer - der Mann ist ein Tier!
Musikredakteure kommen ja gerne mal ins Schwärmen, wenn sie Anekdoten aus vermeintlich glorreichen Rock 'n' Roll-Zeiten zu erzählen wissen.
Nun, ich für meine Wenigkeit bin für das wahre Rock 'n' Roll-Zeitalter noch eindeutig zu grün hinter den Ohren, so dass ich an dieser Stelle lediglich Begebenheiten aus den bemitleidenswerten Mittneunzigern des letzten Jahrhunderts zum Besten geben kann.
Da spielte nämlich ein gewisser Jimmy Barnes aus dem fernen Australien den ersten Support von vielen Supportern für einen gewissen Bryan Adams aus dem fernen Kanada im Bremer 'Weserstadion'. Ich hatte kaum eine Chance rechtzeitig einzutreffen, so früh musste der arme Mann mit seiner Band loslegen. Im Stadion tummelten sich zu dieser unchristlichen Rock 'n' Roll-Zeit lediglich ein paar Hardcore- Bryan Adams-Fetischisten und jene Zeitgenossen, die um das organisatorische Einlassdrama des 'Weserstadions' bei Open Air-Konzerten bestens Bescheid wussten. Noch heute ist es legendär, dass beim ersten 'Weserstadion'-Open-Air überhaupt ( Bruce Springsteen & E Street Band, 30.07.1988) für 40.000 KonzertbesucherInnen sagenhafter Weise ein ganzes Tor zum Einlass geöffnet worden war!!!
Aber Jimmy Barnes und seine Mitstreiter gaben auf der großen Bühne bei miesen Soundbedingungen wirklich alles und deuteten an, dass sie bei besseren Rahmenbedingungen den Hauptact des Abends gnadenlos von der Bühne pusten würden. Leider schien diese für mich wenig überraschende Erkenntnis niemanden zu interessieren, denn Mr. Barnes ist bis heute in unseren Breiten so bekannt wie der Außenminister von Trinidad & Tobago.
Wenig überraschend deshalb, weil genau dieser Jimmy Barnes einige Monate zuvor bereits schon einmal die Freie Hansestadt Bremen aufgesucht hatte, um mit einer jungen australischen Band namens The Badloves im Gepäck, die gerade auf dem gleichen Label wie Barnes ihr Debütalbum heraus gebracht hatten ("Get On Board", 1993), in einem kleinen Club vor wenigen Eingeweihten ganz gewaltig aufzutrumpfen. Barnes promotete seinerzeit das veritable Rockalbum "Heat" (1993).
Bevor es losging, brüllten die ganze Zeit die Landsleute von AC/DC aus der PA. Es sollte sich bald herausstellen, dass das kein Zufall war. Hätte allerdings eine AC/DC-Coverband aufgespielt, dann wären wohl bedeutend mehr Leute anwesend gewesen. Ja, ja, das alte Leid ist wahrlich kein neues Phänomen.
Nachdem The Badloves einen überaus überzeugenden Gig hingelegt und mich spontan zum Kauf ihres Debütalbums angeregt hatten, legten Jimmy Barnes und seine Jungs von Null auf Hundert los und es sollten die lautesten, wildesten, schweißtreibendsten zwei Rock 'n' Roll-Stunden meiner bisherigen Konzertkarriere werden. Boah, was hat uns der Mann damals weggeblasen - ein Orkan ist dagegen maximal ein laues Lüftchen.
Selbstverständlich habe ich anschließend seine musikalische Vergangenheit mit Cold Chisel und Solokarriere aufgearbeitet. Und seitdem bin ich der absolut festen Meinung, dass nur der passender Weise in Glasgow (Schottland) geborene Jimmy Barnes einen Bon Scott bei AC/DC hätte adäquat ersetzen können.
Diese Mischung aus Roger 'Meckerziege' Chapman und Brian 'Schreihals' Johnson ist wirklich unvergleichlich und mit einer ungeheuren Dynamik und Power ausgestattet. Dass Mr. Barnes heutzutage optisch wie ein verwegener Bruce Willis in "Die Hard Part V" rüberkommt, tut sein übriges.
Nachzuhören und -zusehen gibt es dieses Phänomen aktuell bei der europäischen DVD-Erstveröffentlichung von "Raw", einer Livescheibe von 2001, die seinerzeit als CD-Version pünktlich bei uns raus kam. Die DVD-Variante gab es allerdings nur als (preiswerten) Import. Nun ist das gute Stück nochmals aufgelegt worden und die ehrenwerten Leute von 'In-Akustik' haben sich seiner angenommen.
Hier bekommen wir deutlich präsentiert, dass Jimmy Barnes in seinem Heimatland genau die Wertschätzung erhält, die ihm ob seiner Qualitäten als Performer und Songschreiber auch zusteht. Am 24.03.2001 wurde anlässlich seines 25-jährigen Profimusikerjubiläums im Melbourner 'Colonial Stadium' vor sage und schreibe 35.000 ZuschauerInnen eine fette Party in Rock und Soul gefeiert. Selbstverständlich eine absolut passende Location, wanderte doch der kleine Jimmy mit seiner Familie bereits im zarten Alter von sechs Jahren nach Australien aus.
Dabei gibt es einen Querschnitt durch seine gesamte bisherige Karriere auf die Augen und Ohren, von der inoffiziellen australischen Nationalhymne vom ersten Cold Chisel-Album ("Khe Sanh" - "Cold Chisel", 1978) bis zum Opener seines letzten Longplayers mit eigenem Material ("Love & Hate" - "Love And Fear", 1999). Zwischendurch werden Interpretationen seiner Favoriten im Dreieck zwischen Rock ( Bowies "All The Young Dudes" - u.a. Mott The Hoople, Dylans "Seven Days" - u.a. Ron Wood), Soul ( Chris Kenners "Land Of 1000 Dances - u.a. Wilson Pickett) und Blues ( Screamin Jay Hawkins "I Put A Spell On You" -u.a. auch CCR) zum Besten gegeben. Die Abteilung Cold Chisel bekommt noch durch Don Walkers "Cheap Wine" ("East", 1980) und Ian Moss' "Bow River" ("Circus Animals", 1982) zusätzliches Feuer. Letzterer ließ es sich damals übrigens nicht nehmen, die Party durch seine formidable Gitarrenarbeit bei den drei Cold Chisel-Titeln und einige Blueslicks bei "I Put A Spell On You" zu veredeln. Bei "Bow River" weiß er zudem auch als Sänger zu überzeugen und stellt im Vergleich zu Jimmy Barnes den eher gut geölten Part einer Trommelfellerholung dar.
Zum Abschluss bekommen wir den wohl aussagekräftigsten und programmatischsten Song Jimmy Barnes überhaupt geboten, nämlich "Working Class Man" ("For The Working Class Man", 1985). Jetzt geriert er sich locker als australischer Springsteen oder Mellencamp, nur alles eine Kategorie härter, gröber und kerniger.
Insgesamt weiß das Paket durch ein sehr gutes Bild und guten Ton zu gefallen und wird ob der recht kurzen Spieldauer noch durch zwei Videos vom besagten "Love And Fear"-Album, einem kurzen und launigen Interview (das Energiebündel Jimmy Barnes mal ganz entspannt und humorig!) und den obligatorischen Biografien ergänzt/aufgewertet.
Es bleibt nur zu hoffen, dass der Mann auch außerhalb des fünften Kontinents mal die Aufmerksamkeit bekommt, die er sich längst verdient hat. Dafür wird allerdings diese DVD keinen ganz großen Beitrag leisten können, denn die wiedergegebene Performance ist schlicht zu kurz und auf kleineren Bühnen wirkt das 'Tier' Barnes noch viel gefährlicher.
Technik:
Audio - Dolby Digital 5.1, 2.0 Stereo PCM
Region - All Regions
Picture Format - 4:3
Language - English
Spielzeit: 70 Min., Medium: DVD, in-akustik, 2006, Aussie Rock
1:Love & Hate 2:Seven Days 3:Land Of 1,000 Dances 4:All the Young Dudes 5:Lay Down Your Guns 6:Khe Sanh 7:Cheap Wine 8:I Put A Spell On You 9:Bow Rider 10:Working Class Man
Features: Videoclip: "Love And Hate", Videoclip: "Thankful For The Rain", Interview, Biographies
Olaf "Olli" Oetken, 15.06.2006
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