Wem soll ich eigentlich zuerst meinen Dank aussprechen? Den Machern des Berliner Blues- und Jazzclubs Quasimodo, die zum wiederholten Male für eine problemlose Akkreditierung sorgten, meinem Kollegen Holger, der sich für die Fotos des Konzertberichts verantwortlich zeigte oder dem 'Star' des Abends, Martin Barre, der mit seiner Band für ein tolles Live-Erlebnis sorgte? Im Prinzip ist die Reihenfolge von nicht allzu großer Bedeutung, denn letztlich gilt mein Dank eben allen Genannten, plus des Supports Shelly Bonet, sowie allen weiteren Musikern und auch denen, die nur im Hintergrund agierten (Tontechniker, Servicekräfte usw.) und somit kaum wahrgenommen wurden.
Ja klar, Martin Barre dürfte jedem Musikfreund als langjähriger Wegbegleiter und Gitarrist an der Seite von Ian Anderson ( Jethro Tull) - der wohl bekanntesten 'Querflöte', die die Rockgeschichte jemals zum Vorschein brachte - bekannt sein. Und irgendwie logisch, dass vermutlich die Mehrzahl der heute Abend anwesenden Fans stark auf zahlreiche Klassiker von J. T. hoffen. Nicht ganz unbegründet, denn Barre gehörte von 1968 bis 2012 der legendären Progessive-Combo an und hat allein schon aus diesem Grund vermutlich jede Saitennote der Songs von Tull unlöschbar in seinem Langzeitgedächtnis fest verankert.
Die Tatsachen, dass er sich 1988 einen Grammy Award erspielte und während seiner langjährigen Karriere unter anderem mit solchen Weltstars wie Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Pink Floyd, Gary Moore oder Paul McCartney zusammen musizierte, sind allerbeste Referenzen und sprechen komplett dafür, sich Martin Barre unbedingt mal live reinzuziehen. Doch Moment mal! Wo sind eigentlich die Jethro Tull-Hardcore-Fans geblieben? Kann es wirklich sein, dass es in Berlin nur ca. 200 davon geben soll? Unfassbar, da kommt eine Rocklegende von Weltklasseformat in die Hauptstadt und fast keiner bekommt es mit.
Bevor der 'Altmeister' die Bühne betritt, ist es Shelly Bonet vorbehalten, den Kreislauf der Anwesenden auf entsprechende Betriebstemperatur zu bringen. Und die blonde Halblangmähne hat keinerlei Schwierigkeiten, den Fans ordentlich einzuheizen. Ihre Stimme ähnelt stark den Stimmbändern der US-Rockikone Tina Turner. In der Tat, die Lady hat ein sagenhaftes Stimmvolumen, welches ihr ermöglicht, ihre ausgewählten Songs bestens in Szene zu setzen. Dabei versprüht sie die Energie eines modernen Atomkraftwerks, singt dermaßen dominant, dass ich auch ein paar Meter von ihr entfernt ihre vollgepumpte Halsschlagader sehr gut erkennen kann. Da hat es ihr musikalischer Begleiter, Akustikklampfer Dario Benedetti, nicht leicht, seinen Gitarrenzauber den Fans gebührend zur Schau zu stellen. Zum Schluss offerieren sie mit "Comatose" ihren wohl zurzeit angesagtesten Song. Klasse Vorstellung, Shelly und Dario! Euch habe ich ganz fett in meinem Notizbuch unterstrichen.
Während der kurzen Umbauphase riskiere ich schnell noch einen Rundblick, der mit leider weiterhin viele freie Plätze anzeigt. Nun gut, das Thema hatte ich bereits. Diejenigen, die dabei sind, werden Zeitzeugen eines über zweistündigen Konzerts, das den Berliner Kultclub nur so vom internationalen Flair durchflirrt. Das Line-up der Martin Barre Band kann sich aber auch wirklich sehen lassen. Neben dem berühmten Frontmann selbst, allen voran Edelbasser Alan Thompson, der sich während des Gigs nebenbei als toller Slidegitarrist sowie als erstklassiger Mandolinenspieler hervortut. Irgendwie logisch, dass er auch mit einem spitzenmäßigen Basssolo zu glänzen weiß. Sänger Dan Crisp kommt bei zahlreichen Textpassagen zum Teil recht nah an Ian Anderson Stimmbänder heran und beweist nebenbei, dass
er auch respektabel einen Sechssaiter bedienen kann. Auffällig, wie oft er während seines Gesangs mit seiner linken Hand am Gesangsmikro rumnestelt. Drummer Georg Lindsey sorgt für eine fehlerfreie Taktvorgabe, während Barre letztlich derjenige ist, der die Show schmeißt. Dafür nutzt er, neben seinen gefühlvollen Saitengezupfe, sein vor ihm positioniertes Mikrofon - nicht etwa um selbst zu singen, sondern um die Fans mit zum Teil witzigen Passagen bestens zu unterhalten. Immer wieder sorgt er mit seinen rattenscharfen Riffs und ausgedehnten Soli für zahlreiche Höhepunkte des Abends. Dass er aber nach seiner eigenen Beatles-Interpretation von "Eleanor Rigby" meint (gleich ins deutsche übersetzt), »Jetzt haben wir die Beatles zerstört und nun zerstören wir noch eine andere britische Band!« sorgt bei mir für kurze Irritation. Doch mein Kollege Holger klärt mich umgehend auf und erzählt mir, dass sich die Tull-Urgesteine Barre und Anderson nicht gerade in friedlicher Mission getrennt haben. Da nach Barres düsterer Prophezeiung einer der bekanntesten J. T.-Lieder, "Sweet Dream", ertönt, liegt es quasi auf der Hand, dass er auch Jethro Tull meint.
Auch wenn überwiegend im Tull-Stil musiziert wird, handelt es sich keineswegs um eine Tribut-Show, wie die Ankündigung 'Martin Barre playing Classic J. T.' vermuten lässt. Durch Barres eigener Handschrift, im Verbund mit dem exzellenten Mitwirken seiner musikalischen Mitstreiter, bekommen die Fans eher eine Martin Barre-Vorstellung geboten, als dass man hier einem Jethro Tull-Konzert beiwohnen würde. Zwar weiß ich nicht, ob er noch sehr an der Trennung von J. T. zu knabbern hat, doch spielte er die glorreichen Songs vergangener Tage, für die Verhältnisse des Ursprungs, extrem hart. Im Vergleich zu Ian Anderson zeigte er sich nach dem Konzert absolut bürgernah und erfüllte jeden Autogrammwunsch. Für seine Fans ein toller Service, wenn man bedenkt, dass Flötenexperte Anderson, so wie wir es selbst hautnah erlebten, immer nur EIN Autogramm pro Fan für seinen Anhang übrig hat. Sei es, wie es sei - die Konzertbesucher wurden Zeitzeugen einens denkwürdigen Liveerlebnisses. Allerdings haben die Berliner Rockfans mit ihrem spärlichen Besuch leider nicht viele gute Argumente dazu beigetragen, dass der Weltstar alsbald wieder in Berlin ein Gastspiel geben wird - LEIDER!
Line-up Martin Barre & Band:
Martin Barre (mandolin, guitar)
Dan Crisp (vocals, guitar, mandolin)
Alan Thompson (bass, slide guitar, mandolin, backing vocals)
George Lindsay (drums)
Line-up Shelly Bonet:
Shelly Bonet (vocals)
Dario Benedetti (guitar)
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