Spielzeit: 44:36 (CD 1), 77:47 (CD 2), 76:34 (CD 3), 43:12 (CD 4) Medium: CD-Box Label: Warner Music Entertainment, 2012 (1956 ff) Stil: Filmmusik Review vom 13.07.2012 Ulli Heiser

Das waren noch Zeiten, als man so Mitte der Sechziger mit Papa das erste Mal ins Kino durfte und die Helden seiner Jugend auf großer Leinwand sehen. Zu einer Zeit also, als in vielen Haushalten kein Fernseher zu finden war und Kino somit mehr als ein Erlebnis war. Winnetou und Old Shatterhand hießen diese Helden und nun konnte man das vorher Gelesene endlich einmal groß vor sich sehen. Natürlich stand die Handlung im Vordergrund, aber die Musik die dazu lief war gigantisch und hatte eine enorme Nachhaltigkeit. Als ich später die Bücher wieder und wieder las, war da immer diese Melodie im Ohr.

Das waren noch Zeiten, als man in seiner Familienchronologie ohne all zuweit zurückzugehen, einen Hofkappellmeister angeben konnte. Martin Böttcher ist Urenkel eines solchen und sein Uropa hatte dem 1927 Geborenen wohl einiges mit in die Wiege gelegt. Er lernte Klavier und Gitarre, überlebte den Krieg und nach der Kriegsgefangenschaft wurde er Musiker beim Tanz- und Unterhaltungsorchester des Nordwestdeutschen Rundfunks. Außerdem wandte er sich dem Jazz zu und war Nummer zwei der Jazz-Gitarristen beim deutschen Jazz-Poll!

Das waren noch Zeiten, als die Film-Landschaft mit weit vom Seichten entfernten Produktionen und Persönlichkeiten auftrumpfen konnte und des Abends so manche Straßen leerfegte. "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz, die Edgar Wallace- sowie die "Pater Brown"-Reihe mit dem unvergessenen Heinz Rühmann usw. Zu den eben genannten und vielen anderen Filmen schrieb Martin Böttcher die Musik. Auch für Hans Albers, Françoise Hardy, Romy Schneider oder Peggy March, um mal einige zu nennen, deren Namen noch geläufig sein dürften, komponierte er Songs.

Zur unangefochtenen Nummer 1 der deutschen Filmkomponisten avanciert er dann in den Sechzigern mit den von Rialto Film produzierten Karl May-Verfilmungen. Die "Old Shatterhand"-Melodie stand 1962 für 17 Wochen an der Spitze der deutschen Charts.
Gefühlte 100 Jahre später ist Martin Böttcher immer noch musikalisch in Filmen tätig. Vorwiegend handelt es sich nun um TV-Sendungen wie etwa "Sonderdezernat K 1", "Der Alte" oder "Derrick". Laut Wiki schrieb Martin »die Musik zu 56 Spielfilmen und rund 400 Fernsehspielen und -serien.«

Aus Anlass seines 85. Geburtstages am 17.06.2012 gab Warner Music Entertainment eine 4-CD-Box heraus, die das Schaffen des 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Lebenswerk ausgezeichneten Musikers würdigt. Die erste CD ist den Karl May-Klassikern gewidmet. Auf der zweiten Scheibe hat sich Martin neben eigenen auch großen Filmmusiken anderer Komponisten angenommen und sie in seiner ihm eigenen Charakteristik eingespielt. Und das ist gelungen. "High Noon", "The Good, The Bad And The Ugly", "Moon River", "The Man With The Harmonica" oder "Strangers In The Night" - wer kennt sie nicht? Die Tracks haben unverkennbar den Böttcher-Stempel, diesen auf Anhieb erkennbaren Sound mit dieser gewissen Leichtigkeit und doch hohem Wiedererkennungswert. Platte Nummer drei beinhaltet Musik zu TV-Produktionen und auf dem letzten Rundling geht es um Film und TV. Lobenswert auch das informative und bebilderte 16-seitige Booklet.

Martin Böttcher hat vielen Filmen durch seine Musik etwas Unverkennbares mitgegeben. Hört man eine Melodie, dann sieht man gleichzeitig "Pater Brown" über irische Wiesen springen, Eddi Arent durch dunkle Schlossfluchten schleichen oder die beiden Blutsbrüder in den Sonnenuntergang reiten.
Einen Film, den ich unbedingt mal wieder sehen solle, ist "Halbstark". Angeregt dazu hat mich Herr Böttcher bzw. dessen großartiger "Sissy Blues". Die Musik für diesen Film spielte eine Formation mit sehr interessantem Line-up: Fatty George (Klarinette), Bill Grah (Vibraphon), Ernst Mosch (Posaune), James Last (Bass) und Martin an der Gitarre. Die Formation hieß Mister Martin’s Band und hell yeah, nun hat es auch Ernst Mosch geschafft, in RockTimes musikalische Erwähnung zu finden. Hat er sich verdient, mit "Sissy Blues". Ich schwöre es, bei Manitu.