Cannon / The Calling
Back In Business
Ich fasse es nicht!

Ich kann nicht glauben, was ich da höre.

Was ist mit mir los?

Bin ich plötzlich und unbemerkt in eine Zeitreisemaschine geraten wie weiland Marty McFly in 'Zurück in die Zukunft' und statt in den Fünfzigern in der Jahrzehnthälfte gelandet, in welcher die drei 'Back To The Future' - Filme entstanden?
Ich muss mich kneifen und schaue noch einmal aufs Promoplattencover. Das sieht schon sehr nach den 80ern aus, und zwar die Boller-Baller-Sparte mit diesen grotesken Outfits, obwohl hier eher Donner und Blitz, Lavamassen und bedrohliche Schluchten abgebildet sind.
Ich drehe das Teil um und mir blicken 4 Herren mittleren Alters entgegen, vom Normalo-Outfit, über Minipli-Fönfrisur bis hin zum Altrocker mit Kopftuch für die vermutlich schütteren Haare.
Ich bin erleichtert. Diese Herren sind definitiv altersmäßig zu weit fortgeschritten, um in den 80ern abgelichtet worden zu sein!
Ich bin also doch noch im Jahre 2005 und siehe da, etwas weiter unten steht es im Kleingedruckten schwarz auf weiß: Point Music 2005
Ich fasse es nicht!
Der Henkelmann dröhnt plötzlich wie eine Höllenmaschine und mir fliegen schon fast die Einzelteile um die Ohren.
Kurzes, effektvolles Riffing, dann setzen hallende Rumms-Bumms-Drums ein, gefolgt von einem bedrohlichen, knalligen Bass und schließlich kräht ein rostiger Nagel dazwischen, dass mir die Spucke wegbleibt.
Was ist denn nu, hat Brian Johnson Husten oder ist Dan McCafferty jetzt endgültig chronisch erkältet?
Und was ist das für eine Band? Manowar mit einem Sänger im Stimmbruch (mit knapp über 40???), die ihre Rente aufbessern wollen?
Nein liebe Leute, hier ist eine Band von den Toten auferstanden, von deren Existenz ich bisher keine Kenntnis hatte. Sie nennen sich Cannon, ohne dem zweiten "n" habe ich das bisher eher mit meiner Kameraausrüstung oder diversen Tintenstrahldruckern in Verbindung gebracht, und sie gründeten sich, welche Überraschung, bereits 1986 in Hannover.
1988 kam schließlich das Debütalbum "Thunder And Lightning" (aha, von wegen Blitz und Donner auf der "neuen" Scheibe) heraus, welches damals wohlwollend von Kritik und HörerInnen aufgenommen wurde, ja sogar im Laufe der Jahre zu einer Art Kultobjekt mutierte.
Nun, es passte ja auch in die Zeit des gelockten Fönfrisuren- und Spandexrocks. An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf die Homepage der Band empfohlen, da gibt es Bilder von Live-Konzerten anno 1988/1989, Junge, Junge, da waren Spinal Tap nichts gegen!
Währenddessen bzw. kurze Zeit später wurden allerdings genau solchen Bands und ihren Produktionen vorgeworfen, für das Ende des wahren Rock 'n' Roll verantwortlich zu sein, respektive selbigen sehenden Auges zu beerdigen.
Da kam dann der vermeintliche Rettungsengel in Gestalt von 'Grunge', fegte (über) alles hinweg und diese ganzen Bands hatten spätestens so um 1992 herum keinen Plattenvertrag mehr. So wurde es denn auch bei Cannon nichts mit einem Folgealbum und nach einigen Nachwehen löste sich die Combo1996 komplett auf.
Aber alles hat sein Revival, gerade in heutigen, ziemlich unkreativen Zeiten. Es gibt ja wirklich nichts mehr, was nicht recycelt wird, und Abba oder Queen befinden sich Jahrzehntelang ununterbrochen bis zum heutigen Tage in den Media-Control Longplaycharts.
Warum also kein Comeback des guten alten melodischen Hau-Drauf Hard'n Heavy - Rocks 80er Prägung?
Und so trafen sich 2003 Sänger Mat Rein Jaehnke und Bassist/Keyboarder Steve Carrington zufällig auf einem Konzert (welches das wohl gewesen ist?) in Hannover wieder und die Sache kam ins Rollen.
Recht so, was diese ganzen Plastik-Schwachmaten, die unsere armen Ohren vollmüllen, dürfen, das dürfen gestandene Hard'n Heavy - Freaks schon lange. Und so begab man sich mit fast kompletter Originalmannschaft (es fehlte nur Ur-Drummer Mats Toralf) in Steve Carringtons Heimstudio und nahm hörbar gut gelaunt, inspiriert, motiviert und mit Elan das vorliegende Werk auf.
Der Waschzettel der Plattenfirma spricht von "traditionellem 80er Jahre Hardrock mit durchaus modernen Elementen". Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass ich nach dem x-ten Hördurchgang immer noch die modernen Elemente suche.
Mensch, Ostern ist doch schon vorbei! Des weiteren erwarten den geneigten Hörer (es soll auch geneigte Hörerinnen geben!) 'charismatische Mitsing-Chöre', 'griffige Hooklines' und 'eine Vielfältigkeit der Kompositionen'.
Letzteres gemahnt auch an das Osterfest, aber immerhin gibt es mit "Tears In Your Eyes" eine sehr schöne Ballade, "Black Leather Boys" ist eine gelungene Hommage an AC/DC, inklusive Malcom Young alike Backgroundgesängen, "Pretty Girl" überrascht mit popiger und somit radiotauglicher Leichtigkeit, während es ansonsten auf der Platte häufiger so klingt, als könnten die Jungs vor Kraft kaum laufen, "Stand Up And Fight" und "Rock Feeling" erinnern zumindest teilweise in der Tat an Manowar und "Total Control" fetzt nach einem dramatischen Keyboard- und Chorintro recht vital um des Headbangers Ohr, klingt irgendwie von der Grundstimmung her etwas anders als der Rest, ist tatsächlich als einziger Song auf diesem Album bereits 1990 entstanden und war bis 1994 Teil des Bühnenrepertoires.
Darüber hinaus grinst auf diesem Scheibchen an einigen Stellen auch Judas Priest um die Ecke.
Ansonsten ist Mitgröhlen bis zum Abwinken angesagt, was nach n' paar Bierchen auch tatsächlich wunderbar funktioniert!
Also, für Abstinenzler ist das hier nicht wirklich der richtige Soundtrack.
Die Texte sind so simpel und klischeehaft, wie es die Titel bereits suggerieren, so dass auch für die kulturbeflissene, kognitive Kundschaft dies der falsche Soundtrack zu sein scheint. Aber wer will schon dauernd kognitiv sein?
Eben!
Zunächst habe ich bei diesen Klängen und bei der Aufmachung der Platte gedacht:
Oh weia, das geht ja gar nicht!
"Stand Up And Fight - Fire" = Autsch!
Aber irgendwie ist das Ganze ein durch und durch sympathisches Produkt geworden, wo bei jedem Hördurchgang diverse Schmunzler dazu kommen.

Ich fasse es also letztlich doch!


Spielzeit: 51:21, Medium: CD, Point Music, 2005
1:Rock Feelings 2:Playing Games 3:Back In Business 4:Lights Out - Action! 5:Stand Up And Fight 6:Tears In Your Eyes 7:Another Hero 8:otal Control 9:Pretty Girl 10:Hellfire 11:Metal Thunder 12:Black Leather Boys 13:Strangers In A Strange Land
Olaf "Olli" Oetken, 31.05.2005