Carptree / Man Made Machine
Man Made Machine
Will noch jemand ernsthaft behaupten, Musik hätte nichts mit Emotionen zu schaffen? Wir erinnern beispielsweise an breithüftige Sennerinnen, die von Liebe, Glück und Fruchtbarkeit jodeln oder an kettenbehangene Schwermetaller, deren emotionale Amplituden eher in Richtung Wut, Aggression und Barbarei ausschlagen.
Als Einstimmung auf den Frühherbst legen Carptree den Stimmungsmacher "Man Made Machine" vor die Laserstrahlen der tristen Welt.
Melancholie, vielleicht sogar ein wenig Resignation verbunden mit Schwermut bestimmen die Atmosphäre der gesamten CD. Selten wähnt sich der Musikfan weiter entfernt von Euphorie, Sonneschein, Endorphinen und Hoffnung.
In einigen Parts weisen die Arrangements gar eine gehörige extreme Wucht auf, wie sie beispielsweise von Elend unirdisch depressiv dargeboten wird. Soweit wie die schweizerisch-französische Coproduktion gehen Carptree zwar noch lange nicht, aber Tendenzen sind erkennbar.
Das kann an dem allumfassenden Keyboardsound von Carl Westholm liegen. Er hat ein Händchen und natürlich auch ein Herzchen für die emotionale Manipulation des Musikfans durch seine Instrumente. Kalte Sphärenklänge weichen vor elektronischen, monotonen Klangfacetten zurück und dramatische Soundfundamente vermischen sich mit utopischen New-Age Ansätzen. Eindrucksvoll! Seine oft beunruhigenden Pianomelodien ergänzen und verstärken die düstere Stimmung, bis sie einem fast neurotischen Höhepunkt entgegenzustreben scheinen, ihn aber seltenst erreichen.
Sänger Niclas Flinck ist einer der Polarisierer seines Metiers. Einige werden ihn hassen, weil seine Kopfstimmeneinsätze zuweilen bemüht klingen und die Klangfarbe seiner Stimme sicher auch nicht jedermanns Sache ist. Andere werden ihn lieben, weil seine Kopfstimmeneinsätze die Dramatik der Songs greifbar macht und seine Klangfarbe eine ziemliche Seeleneindringtiefe besitzt. Einige werden ihn mit Fish vergleichen, Andere hingegen werden ihn als mit niemanden zu vergleichen titulieren. Shouten oder Brüllen sind seine Sache nicht, Niclas Flinck transportiert die Gefühle mit verhaltenem, kontrolliertem Gesang.
Unterstützt wird die aus den beiden Protagonisten Westholm und Flinck bestehende Kerntruppe von dem sehr passend benannten No Future Orchestra mit seinem eigentümlichen "viel mehr als Gastmusiker, aber auch nicht wirklich Teil der Band" - Status. Ohne Zukunft wird die düstere Stimmung mit Gitarren, Bass, Schlagzeug und so weiter und sofort angeheizt. Immer akzentuiert und absolut passend. Insbesondere die Backgroundvocals sind eine wahre Bereicherung. Eine der besten Stellen des Albums wird vom Trommler beim Track "The Man You Just Became" kreiert. Mitten in dem schwerfälligen Song wechselt das Hi-Hat plötzlich in einen Doppelbeat. Zuerst klingt diese Eskapade ein wenig unbeholfen. Skippt man aber zurück, um sich zu vergewissern, dass man nicht halluziniert hat, eröffnet sich die Genialität dieses kleinen Kabinettstückchens.
Wenn Pink Floyd den Song "Welcome To The Machine" nicht bereits aufgenommen hätten - er würde sich auf dieser CD von Carptree wiederfinden.
Der Sound passt zur Stimmung des Albums. Selbst die fast orchestralen Passagen mit Chorgesang und Synthieunterstützung vermitteln wohl alles - außer Wärme und Geborgenheit.
Carptree legen ein sehr atmosphärisches Progressive Rock Album vor. Wo andere Bands auf wirbelnde Instrumenten-Eskapaden, Break-Ketten oder Schräg-Akkorde setzen, akzentuieren Flinck und Westholm ihre Stücke mit gefühlsbetonten, betörenden und beunruhigenden Melodien und Arrangements. Das überzeugt! Es gibt 7 RockTimes-Uhren für die CD und den Wunsch einer doch richtig guten Zukunft für die Band.
Was mir persönlich zu "Man Made Machine" eingefallen ist? Nichts anderes als ein Vierzeiler des amerikanischen Diplom-Depressiven Ted Striker aus seinem Frühwerk "Seelenqual":

Bitterkeit füllt aus - zerbrechlich Herz
Bin ich alleine in wahnsinn'ger Welt?
Die Seele zerstört - totaler Schmerz
Düst'rer Gedanke aus Hoffung sich pellt.


Spielzeit: 58:36, Medium: CD, InsideOut Music, 2005
1:Titans clash aggressiveley to keep an even score 2:Sunshine Waters 3:The weakening.Sound I 4:Tilting the scales 5:The Man you just became 6:Man made Machine 7:Burn to something new 8:In the centre of an empty space 9:The Recipe 10:This is Home
Olli "Wahn" Wirtz, 25.08.2005