Eine neunköpfige männliche Reisegruppe im mittleren bis gesetzten Alter, machen einen Zwischenstopp in Berlin, sehen sich die Fotomotive an, besichtigen Museen, Ausstellung und bestaunen die historischen Gebäude der Stadt. In einer dieser ehrwürdigen Hallen verirren sie sich zufällig auf die Bühne und finden eine große Auswahl an Instrumenten vor. Spontan beschließen sie, ein wenig zu jammen und aus diesem musikalischen Gewirr eine fantastische Show zu inszenieren. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man die neun Herren auf der Bühne betrachtet. Leger gekleidet, bestens gelaunt, immer zu Späßen bereit und in einer sensationellen Form. Die Reisegruppe kommt aus den USA, genauer ursprünglich aus Chicago und nennt sich Chicago.
Im Gepäck ihrer Tour befindet sich die pressfrische neue CD "Now" bzw. "Chicago XXXVI", somit das sechsundreißigste Album ihrer beispiellosen Karriere, die nun bereits das siebenundvierzigste Jahr erreicht hat. Das alles in einem Genre, das sich nicht
unbedingt im Bereich der radiotauglichen Hit-Musik bewegt, nämlich Jazz Rock. Trotzdem hat die Band in all den Jahren in regelmäßigen Abständen die Hitparaden erklommen und solche Meisterwerke wie "If You Leave Me Now" oder "Hard To Say I'm Sorry" produziert. Die Liste ihrer Erfolge ist so lang wie die Anzahl ihrer LPs und CDs und am heutigen Abend werden sie vieles davon präsentieren.
Der Admiralspalast im Herzen Berlins ist dafür die geeignetste Plattform, obwohl die Band es durchaus verdient hätte, in einer deutlich größeren Halle zu spielen. Die Bühne ist ausreichend und die Akustik hervorragend. Alle Plätze bieten sehr gute Sicht und das Ambiente stimmt ebenfalls. Somit kann es losgehen.
Die Bühne ist die meiste Zeit hell ausgeleuchtet. Bei neun Personen, die zudem noch ständig in Bewegung sind, ist es deshalb schwer, sich auf einen einzelnen zu konzentrieren. Man sollte meinen, dass Hauptsänger Jason Scheff das Zepter in die Hand nehmen und seine Begleitmusiker lediglich nur Statistenrollen übernehmen würden, aber wer schon einmal einem Konzert von Chicago beigewohnt hat, der weiß, dass es in der Band keine
Führungspersönlichkeit gibt. Alle Neun, inklusive Percussionist Walfredo Reyes Jr., der nur bei Tourneen mit an Bord ist, sind herausragende Musiker. Jeder von ihnen bekommt im Verlauf des Abends die Möglichkeit, sein Können als Solist zu zeigen. Selbst der Gesang wird von fünf Musikern übernommen. Somit bekommt jeder Song seine unverwechselbare Charakteristik und die Show gestaltet sich bereits bei den Vocals als äußerst abwechslungsreich.
Die Frontline wird gleich von sechs Mann eingenommen. Mehrere Mikrofone bieten die Möglichkeit, dort zu singen, wo man sich gerade befindet. Rückgrat und Hauptakteur des Konzertes bildet die Bläserformation. Die drei, die den Sound von Chicago so unverwechselbar machen, ziehen eine Show ab, die ihresgleichen sucht. Immer auf den Punkt und immer im richtigen Moment stehen sie weit vorne und heizen mit ihren Salven aus vollen Rohren dem Publikum ein.
"If You Leave Me Now" ist der erste Hit kurz nach Beginn, gefolgt vom ersten und gleichnamigen Titel der neuen CD "Now". Hört sich gut an und kommt druckvoll rüber, bevor es im nächsten Teil der Show deutlich ruhiger wird. Es folgen einige Songs, die entweder nur mit akustischer Gitarre oder mit Piano-Begleitung performt werden. Die Band zieht sich dabei etwas zurück und gewährt den Solisten den Vortritt. Nach dem furiosen Beginn finde ich dass diese
Auszeit etwas verfrüht kommt und deutlich zu lange ist. Ich rutsche in meinem Sessel hin und her, schon fast etwas gelangweilt, denn so richtig will mich diese ruhige Musik nicht berühren. Ich bin froh, dass nach fast einer halben Stunde des Insichkehrens endlich die Bühnenbeleuchtung wieder hochgefahren wird, Gitarrist Keith Howland wieder kräftig in die Saiten greift und das Bläsertrio laut ins Horn stößt. "America", ebenfalls aus der neuen CD, wird angestimmt und erntet großen Applaus vom Publikum, das anschließend in eine zwanzigminütige Pause geschickt wird. Auch mein Kollege Mike und ich verlassen den Saal, um im Foyer den ersten Teil revuepassieren zu lassen. Bislang hält sich unsere Euphorie etwas in Grenzen, was sich allerdings nach der Pause schlagartig ändern wird.
Noch während das Publikum den erst wieder zur Hälfte gefüllten Saal betritt, fängt die Band bereits an zu spielen, was zur Folge hat, dass viel Unruhe entsteht. Aufstehen, setzten, aufstehen, setzen, das Spiel geht noch fünf Minuten und nervt ungemein. Mit "Hard Habit To Break" und "You're The Inspiration" legt Chicago gleich zwei ihrer größten Hits vor und die Besucher zeigen erste Begeisterungsstürme. Dabei ist der Höhepunkt noch lange nicht erreicht. Dieser folgt nach "Beginnings" mit dem Cover der Spencer Davis Group, "I'm A Man". Welch ein grandioses Epos, dessen Highlight eindeutig das 'Battle' der Rhythmusfraktion ist. Drummer Tris Imboden und Walfredo Reyes Jr. hinter seiner Burg aus Percussion-Instrumenten spielen sich die Bälle zu, animieren das Publikum und versetzen den Saal durch ihr perfektes Trommelstakkato in einen wahren Hexenkessel. Ich fühle mich an die Glanzzeiten von Santana
erinnert und bin in den höchsten Tönen begeistert. Als dann die Band wieder in den Song einsteigt und die Bläser die Führung übernehmen, geht ein grenzenloser Jubel durch die Menge. Genau diese Momente sind es, die eine Band wertvoll machen und man sich im Stillen sagt, dass es sich nur wegen dieses einen Song gelohnt hat. Aber wer die Band und ihre Konzerte kennt, der weiß, dass sie noch weitere Trümpfe im Ärmel haben.
"Hard To Say I'm Sorry" leitet das Ende der Show ein und die Menge wurde zum Aufstehen aufgefordert. Das ist der Startschuss, der den Run vor die Bühne freigibt. Alles drängt nach vorne, um die Musiker hautnah zu erleben. "Feelin' Stronger Every Day", der letzte Song des Hauptprogramms, geht im Jubel unter. Kurze Pause und zwei Zugaben werden nachgereicht. Das vordere Keyboard und die nicht benötigten Mikros werden entfernt, um den Bläsern noch mehr Platz zu bieten. "25 Or 6 To 4", ihr bislang größter Hit, kommt wie ein Gewitter in den Saal. Die Bläser legen bei
ihrer Show noch eins drauf. Gitarrist Howland, von ihnen eingerahmt, bekommt ständig den Druck des Trios in die Ohren, legt dabei fantastische Soli hin und erntet tosenden Jubel und Applaus. Noch einmal können alle Musiker den Ruhm genießen, während sie gefeiert werden und beenden einen großartigen musikalischen Abend.
Chicago sind definitiv sehenswert und auch Musikfans zu empfehlen, die sich in dem Bereich dieses Genres nicht so heimisch fühlen. Die meisten ihrer Hits sind ja bekanntlich radiotauglich und passen nicht unbedingt in das Schema 'Jazz Rock'. Die Band ist durchaus fit genug, um noch viele Jahre präsent zu bleiben und gute Musik abzuliefern. Ihre neue CD "Now" beweist dies und knüpft an vergangene Epochen an. Chicago besinnt sich dabei wieder auf ihre Wurzeln und die Zeiten, als "25 Or 6 To 4" produziert wurde.
Vielen Dank an Janine Lerch von Go On-Promotion und dem Concertbuero Zahlmann für die Akkreditierung.
Line-up:
Jason Scheff (vocals, bass)
Keith Howland (guitar)
Robert Lamm (keyboards, vocals)
Tris Imboden (drums)
Nick Lane (trombone)
Ray Herrmann (saxophone, flute)
Walter Parazider (saxophone, vocals)
Lou Pardini (keyboards, guitar, percussion, vocals)
Walfredo Reyes Jr. (percussion)
Externe Links:
|