Wenn man heute das Wort 'Crossover' benutzt, denken die meisten an Bands wie
Faith No More,
Clawfinger und Konsorten, aber eine der ersten Crossover-Platten erschien bereits vor genau 30 Jahren. Im Sommer 1979 hatte die britische Punk-Band
The Clash schon zwei halbwegs erfolgreiche Platten veröffentlicht und stand nun vor der bekanntlich schweren Aufnahme des berühmten dritten Albums, dem ja allgemein immer noch so viel Bedeutung beigemessen wird. Entweder wird das dritte Album der totale Durchbruch oder die Band geht unter und schafft es nicht. Das schwierige am dritten Album generell ist wohl die Frage: Sollen wir unseren Stil beibehalten oder uns auch mal anderen Richtungen öffnen?
Selten hat eine Band wohl bei diesem dritten Album so konsequent die zweite Möglichkeit durchgezogen wie damals
The Clash. Waren Album eins und zwei noch mehr oder weniger reine Punk-Platten, so findet man auf "London Calling" eine Bandbreite unter den 19 Titeln, die ihresgleichen sucht.
Ganz bekannt ist natürlich auch das Cover der LP. Bassist
Paul Simonon zerschmettert hier sein Instrument in bester
Pete Townshend-Manier. Außerdem ist das Schwarz/Weiß-Foto in Verbindung mit den beiden bunten Logos auch als Reminiszenz an
Elvis gedacht, dessen Cover seiner ersten LP hier 'gecovert' wird.
Das wirklich Geniale an dieser Scheibe ist aber, dass sie auch nach 30 Jahren überhaupt nicht muffig, sondern frisch wie eh und je klingt und man trotz der verschiedenen Musikrichtungen ein homogenes Gesamtbild geschaffen hat. Mit dem extrem egozentrischen Produzenten
Guy Stevens (mehr dazu im DVD-Teil), der u.a. auch
Mott The Hoople produzierte, schuf man sich damals ein Denkmal, das heute immer noch wegweisend ist und nicht umsonst von britischen Musikmagazinen oft als die
»wichtigste britische Platte ever« bezeichnet wird. Dabei beinhaltet die Scheibe lediglich mit dem genialen Titeltrack einen richtigen Hit. Die restlichen 18 Lieder waren allesamt das, was man wohl als 'Kult-Songs' bezeichnet.
Nach dem bereits erwähnten Opener mit Hymnencharakter folgt "Brand New Cadillac", das man als puren Rock'n'Roll bezeichnen kann. Das Lied ist übrigens eine Coverversion eines alten Songs von
Vince Taylor. "Jimmy Jazz" kommt dann mit verspieltem Swing inkl. Saxofon daher. "Hateful" klingt wie die
Pogues, die es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab, und man kann es als so etwas wie Folk Rock bezeichnen.
"Rudie Can't Fail" und "Guns Of Brixton" wurden klar von der britischen Ska-Welle beeinflusst, die zu dieser Zeit in Form von
Madness und den
Specials über die Insel hereinbrach. "Spanish Bombs" ist extrem eingängig mit einem originellen englisch- und spanischsprachigen Mischtext versehen, der über den spanischen Bürgerkrieg in den 30ern handelt. Zwar lässt das sehr hohe Niveau zum Ende der Scheibe etwas nach, aber mit den beiden Abschlusstracks "Revolution Rock" und vor allem "Train In Vain" gibt es als Abschluss nochmal zwei Klassiker für die Ewigkeit.
Herzstück ist die Dokumentation "The Last Testament" mit der Entstehungsgeschichte zu "London Calling". Hier gibt es Interviews und Studioeinblicke hinter die Kulissen. Besonders obskur ist allerdings Produzent Guy Stevens, der gerne mal mit Stühlen durch das Studio schmiss und mit seinem exzentrischen Verhalten stark an Klaus Kinski erinnert. Wenn man sich aber die CD heute anhört, verzeiht man ihm das gerne, denn Stevens schuf einen zeitlosen Sound. Trotzdem ein sehr schräger Vogel, der mal wieder das Klischee von 'Genie und Wahnsinn' herrlich bestätigt. Außerdem sind auf der DVD noch drei Videoclips, die aber nicht so interessant sind.
Allen Leuten, die allgemein gerne Rockmusik hören, kann ich diesen Klassiker uneingeschränkt empfehlen. Die aktuelle Edition mit DVD und schönen Retro-Plattenhüllen im Pappschuber ist eine gute Gelegenheit, eine noch vorhandene Lücke im Plattensortiment zu schließen.