Cold Chisel / Last Stand
Last Stand Spielzeit: 70:00
Medium: CD
Label: Elektra Records, 1992
Stil: Pub Rock / Oz Rock


Review vom 10.12.2012

  
Jochen v. Arnim
Wir schreiben das Jahr 1983, genauer gesagt den Dezember 1983, und die ganze Welt schaut nach Sydney. Nun ja, zumindest die ganze Welt auf dem Roten Kontinent, denn hier spielte sich seinerzeit das eigentliche Leben unserer Protagonisten ab. Seit 1973 rocken sich die fünf Aussies durch die antipodischen Pubs, Clubs und Säle, füllen große Hallen und ziehen zig-tausende von Besuchern zu Festivals. Sie genießen schon zu Lebzeiten uneingeschränkten Kultstatus und lösen sich trotzdem bereits 1984 als Band wieder auf. Solokarrieren folgen, besonders Jimmy Barnes avanciert zum weltweit bekannten und gefragten Sänger, der mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen von sich Reden macht. Auch Lead-Gitarrist Ian Moss bringt Scheiben auf den Markt und bleibt ebenso wie der Keyboarder Don Walker dem Musikbusiness treu. Aber kommen wir zurück in die Vorweihnachtszeit von vor 29 Jahren: In Sydneys Entertainment Centre werden die letzten fünf Konzerte Cold Chisels gegeben und die Bude ist bis zum Bersten voll. Aus ursprünglich zwei wurden fünf Gigs und die Fans strömen wohl aus allen Teilen des Kontinents herbei, um eben diese letzten Shows der Last Stand-Tour mitzuerleben. Man ist so schlau, dieses Ereignis an zwei Abenden audiovisuell mitzuschneiden und für die Nachwelt festzuhalten. Warum es fast zehn Jahre brauchte, bis die vorliegende CD als Soundtrack zum Kinofilm dann endlich auf den Markt kam, wissen wohl nur die Schallplattenbosse. Aber sei's drum, wichtig ist, dass es dieses Dokument gibt und es soll hier stellvertretend für die regulären Veröffentlichungen Cold Chisels zu deren aktiver Zeit dienen.
Mit den ersten Tönen des ersten Songs "Standing On The Outside" geht ein energiegeladener Auftritt los, den man möglicherweise nur nachzuvollziehen vermag, wenn man entweder das Glück hatte, die Band zu ihren früheren Lebzeiten oder Mr. Barnes auf einem seiner Solotrips zu sehen. Immer wieder hört man das Publikum unisono mitsingen, die fünf Jungs verstanden es wohl wie keine zweite Band, das australische Lebensgefühl, die Sorgen und Ängste in Musik umzusetzen und live zu transportieren. Dazu der Frontmann, der sich wie ein Schwerstarbeiter auf der Bühne verausgabt, bereits nach wenigen Minuten klitschnass ist und neben dem stimmgewaltigen Output ein unglaubliches Feeling in seiner Stimme hat. "Khe Sanh" folgt als zweites Stück und eigentlich muss hier nicht ein Wort mehr verloren werden. Es ist schlichtweg eine australische Hymne geworden, das proletarische Gegenstück zu "Waltzing Matilda" (das durch Rod Stewart Weltruhm erlangte), mit Krieg, Drogen, schnellem Sex mit Asiatinnen und Kriegsheimkehrerstress. Wegen textlicher 'Freizügigkeit' landete der Song eine Zeitlang auf dem Index, das prüde Australien der späten siebziger Jahre (man gewährte z. B. erst zu dieser Zeit den Frauen freien Zutritt zu öffentlichen Pubs!) war wohl noch nicht weit genug, um sich mit Textstellen wie »…and their legs were often open, but their minds were always closed…« anfreunden zu können. Vordergründig erzählt es die Geschichte eines aus Vietnam heimkehrenden Australiers, der versucht, mit dem normalen Leben back home klarzukommen. Die Band ging seinerzeit aber noch weiter und schrieb es der rastlosen Jugend des Landes zu, womit offensichtlich ein Nerv getroffen wurde, denn es vergeht auch heute noch kaum eine Gelegenheit, bei der dieses Aushängeschild des Oz Rock nicht gespielt wird. Dreht den Regler bis zum Anschlag, stellt Euch eine Horde mitsingender Australier vor und wenn es Euch dann nicht kalt den Nacken hinunterläuft, dann weiß ich es nicht - ich hab's erlebt, das vergisst man nie.
"Cheap Wine" (die Geschichte eines gezeichneten Mannes, der die Liebe seines Lebens an die Drogen verloren hat), "Rising Sun" (über eine Beziehung Jimmy Barnes'), "Choir Girl" (passenderweise handelt es von einer Abtreibung) oder "You Got Nothing I Want" werden eines nach dem anderen runtergehämmert. Gespielt in dieser für Oz Rock so typischen Mischung aus Hard Rock, Blues und Boogie transportieren sie Blut, harte Arbeit, Schweiß und Männlichkeit, aber eben auch die Verletzbarkeit derselben. "You Got Nothing I Want" ist der hoch erhobene Mittelfinger (oder besser Mittel- und Zeigefinger, wir sind ja in Australien) in Richtung amerikanischer Musikindustrie und ganz speziell eines bestimmten Managers. Ein Umstand, der Barnes später noch so einige Probleme bei seiner Solokarriere im Land der unbegrenzten Möglichkeiten bescheren sollte.
Dann folgt mit "Bow River" einer der besten Songs aus der Feder Ian Moss', begleitet von einem herrlichen Piano, der von einem Ort - manche Interpreten sagen, es sei eine Schaffarm im Northern Territory, andere verweisen auf den gleichnamigen Ort Bow River in der Kimberly Range - weitab vom Schuss handelt. "Flame Trees" kommt danach und ist sicherlich mit einer der bekanntesten Songs der Australier. Handelt es auch von der Intention her teilweise von der Heimatstadt Don Walkers, so bezieht sich der Titel auf die sog. Flame Trees of Thika, einer romantischen Darstellung des Lebens in Zentralkenia, verfasst von Elspeth Huxley und von mir tausendfach gehört, als ich selber jahrelang dort in der Gegend tagtäglich die Flame Trees vor der Haustür sehen konnte. "Saturday Night" und "Star Hotel" sind mittlerweile ebenfalls zu den typischen Chisel-Klassikern geworden. Mit einer grandiosen Interpretation des Chip Taylor-Klassikers "Wild Thing", fast auf zehn Minuten gejammt, wird dann das Ende der Platte eingeläutet. "Goodbye (Astrid Goodbye)" folgt an vorletzter Stelle, ein fetziger Boogie, der auch heute noch bei keinem Konzert der seit einigen Jahren revitalisierten Band fehlen darf. Quasi nahtlos geht es in den finalen Track "Don't Let Go" über, der uns einmal mehr das Boogie-Piano und eine tolle Slide-Gitarre Ian Moss' präsentiert - ein fulminantes Finale einer fulminanten Show.
2005 wurden diese Aufnahmen neu abgemischt und um drei weitere Nummern ergänzt. "Only One", "River Deep, Mountain High" und "Let's Get Stoned" gehörten zwar zur Playlist der Shows, fanden aber aus Platzgründen nicht den Weg auf die erste Pressung. Der dazugehörige Film kann noch einmal mit einer etwas geänderten Reihenfolge und auch einem weiteren Song aufwarten. Mit dem Album "Swingshift" haben die Australier zwar zu früheren Aktivzeiten ein reguläres Live-Album herausgebracht, während dieses hier quasi posthum auf den Markt kam. Trotzdem bietet es für mich die bessere, weil umfassendere Auswahl über das phänomenale Schaffen von Barnes & Co. Oft wird ihre Musik ja als sog. Pub Rock bezeichnet, was vom Kern der Aussage und der Genese her bestimmt auch richtig ist. Für mich geht das allerdings nicht weit genug, haben wir doch z. B. auch britischen Pub Rock, der mit dem Australiens nicht in allen Belangen vergleichbar ist. Die Kategorisierung Oz Rock ist meines Erachtens umfassender, beinhaltet sie für mich doch auch die textlichen Belange. Da sind regionaltypische Aussagen in den Songs von Cold Chisel, die neben dem Zeitgeist eben auch ein bestimmtes Lebensgefühl vermitteln. Andere großartige Vertreter des Oz Rock sind viel schneller viel globalisierender geworden und haben sich damit quasi die Tore zur Welt auch viel weiter geöffnet. Mit Chisel mögen viele Menschen außerhalb Australiens eben genau deshalb auch heute noch nicht sonderlich Großartiges verbinden, ihre Musik ist es aber dennoch wert, einen ganz prominenten Platz in der Geschichte einzunehmen.
Line-up:
Jimmy Barnes (vocals)
Ian Moss (guitar, vocals)
Don Walker (keyboards, vocals)
Phil Small (bass)
Steve Prestwich (drums, vocals)
Tracklist
01:Standing On The Outside
02:Khe Sanh
03:Twentieth Century
04:Janelle
05:Cheap Wine
06:Tomorrow
07:Rising Sun
08:Choir Girl
09:You Got Nothing I Want
10:Bow River
11:Flame Trees
12:Saturday Night
13:Star Hotel
14:Wild Thing
15:Goodbye (Astrid Goodbye)
16:Don't Let Go
Externe Links: