Kolossale Zeiten
Es konnte wohl damals niemand erahnen, dass sich aus einer Schulfreundschaft Anfang der sechziger Jahre, eine der innovativsten und ungewöhnlichsten Jazzrockformationen in der Geschichte der populären Musik entpuppen sollte.
Rückblickend erscheint es aus heutiger Sicht schon etwas paradox, dass die anhaltende Beliebtheit von Colosseum sich letztlich auf vier kommerziell nicht unbedingt
erfolgreiche, und in einem Zeitraum von gerade mal zwei Jahren erschienenen
Alben stützt.
Die im Herbst 1968 vom britischen Schlagzeuger Jon Hiseman und vom Saxophonisten Dick Heckstall-Smith gegründete Combo ist wie ihr Bandname, so etwas wie der Koloss in den Rockannalen.
Bis heute, von einigen unfreiwilligen kreativen Unterbrechungen einmal abgesehen, gelten Colosseum als eine musikalische Kooperation von exzellenten, virtuosen Solisten, die dabei trotzdem immer mit einem kompakten Sound und in verschiedenen Konstellationen mit einer stets innovativen Arbeitsweise aufwarten konnten.
Sie schufen komplexe Musikteile, die zwar experimentell und vielfältig, aber dennoch
immer zugänglich waren.
Der eigentliche Kopf der Band ist Jon Hiseman, der ursprünglich vom Jazz inspiriert,
aber auch Erfahrungen im Bluesbereich ( Graham Bond Organization) sammeln durfte, und darauf brannte, seine musikalischen Visionen mit handwerklichem Esprit in die Tat
umzusetzen.
Davon angetrieben, entwickelten die mit einem gewissen intellektuellen Nimbus behafteten
Musiker, ihren ureigenen Stil, der sich einen Dreck um vordiktierte Normen scherte.
Hiseman dehnte seine Schlagzeugsoli weit über die Fünf-Minuten-Grenze aus (wie auch an diesem Konzertabend), und das Saxophon-Unikum Heckstall-Smith blies Sopran- und Tenorsaxophon zuweilen simultan bzw. entlockte den Instrumenten völlig neue Töne.
Tastenvirtuose Dave Greenslade, der Synthies stets ablehnte, stattdessen seiner Hammondorgel lieber ein Vibrafon beisteuerte, ergänzte die Band.
Das Ganze immer raffiniert mit einer ungeheuer kraftvollen Rhythmusmaschinerie aufbereitet, erspielten sie sich ihren Ruf als hervorragender und spannender Live-Act.
Trotz einiger Erfolge und Jazzrock-Meilensteine wie Valentyne Suite (1970), verstreute sich Colosseum 1971 in alle Winde.
Nach vielen Soloprojekten und erfolglosen Wiederbelebungsversuchen ( Colosseum II), war es 1993 letztlich die 50.Geburtstagsparty von Greenslade, wo sich die alten Kumpanen wieder versammelten und beschlossen, erneut zusammen zu musizieren.
Auch die Fans hatten ihre Lieblinge nicht vergessen, und so bereiteten sie den
reformierten Colosseum bei ihrer großen Deutschlandtournee einen warmherzigen
Empfang.
Seitdem ist viel geschehen: Zwei Studio- und zwei Live-Alben wurden eingespielt, und ihr
langjähriger Weggefährte Heckstall-Smith verlor 2004 den schweren Kampf gegen
seine Krebserkrankung.
Als gleichberechtigte Nachfolgerin stellte sich seitdem Jazzsaxophonistin und Musikbotschafterin Barbara Thompson (übrigens Ehefrau von Hiseman)
in die Dienste der Band, obwohl sie sich mit dem Handicap ihrer 1997 diagnostizierten Parkinsonschen Krankheit arrangieren musste.
Barbara Thompson arbeitete 1969/70 schon mit Colosseum im Studio zusammen.
Nun sind diese kolossalen Könner mit einem neuen Live-Doppelalbum "Live 05" im Gepäck wieder auf Tour, und sorgen, wie auch an diesem Abend im ehemaligen Gewerkschaftshaus in Erfurt, für ein volles Haus.
Und dass die Protagonisten ihr Handwerk immer noch beherrschen, konnte das bunt gemischte Publikum über zwei Stunden bestaunen.
Kompakter bzw. voller Spielfreude dargebotener Jazz- und Bluesrock, jenseits aller Zeitbegrenzungen und musikalischer Korsette, ließen mit Sicherheit die Endorphine so mancher anwesenden gereiften Damen und Herrschaften ansteigen.
Ein glänzend aufgelegter und fülliger, oktavenmässig bestens ausgestatteter Chris Farlowe erbrachte wieder einmal den Beweis, einer der begnadetsten weißen Bluesröhren des Königreiches zu sein.
Der oftmals sehr nahe an Jack Bruce heranreichende Mark Clarke explodierte geradezu bei längeren Jam-Exkursionen bzw. Duellen mit dem Gitarristen Clem Clempson, welcher sich wiederum merklich zügeln musste, um nicht in ein konzertfüllendes, egozentrisches Solo zu verfallen.
Und genau bei solchen weiten Songformaten zeigen diese kompetenten Künstler ihre nicht abzusprechende Größe.
Diese Gemeinschaft entfachte auf der Bühne des Erfurter HsD eine wahre Kakophonie
an Tönen und musikalisch, spielerischer Leidenschaft, die den emotional gesteuerten Musikliebhabern einfach die Tränen in die Augen treiben musste.
Auch wenn die Dame und die Herren Musiker die Altersgrenze der Sechzig
längst überschritten haben, vermögen sie den Zeitgeist bzw. die Aufbruchsstimmung
einer unverwüstlichen Musikgeneration in die Gegenwart zu transportieren, ohne
nostalgisch peinlich oder gar patriarchalisch zu wirken.
Musikalisch zeitlose Epen wie die unvergängliche "Valentyne Suite",
hier in einer 25minütigen Version präsentiert, oder das monströse "Skelington" und "Lost Angeles" mit einem zerebralen Schlagzeugintro, wie auch Stücke vom letzten famosen Studiooutput "Tomorrow's Blues" (2003) wurden mit ehrlicher Spielfreude dargeboten.
Diese virtuosen Solisten liefen auf der Bühne geradewegs zur Höchstform auf, und ließen
somit recht anschaulich die kolossalen Zeiten ihres bisherigen Schaffens für diesen
Konzertabend wieder auferstehen.
Eine große Überraschung bereiteten sie ihrem Publikum sicherlich damit, ihren Auftritt mit dem nicht gerade leicht verdaulichen "Those About To Die" vom 1969er Debüt, und schon lange nicht mehr im Liverepertoire intoniert, zu beginnen.
Hier galt es, sich am Augenblick zu erfreuen, und nicht in musikalische Zukunftsvisionen zu verfallen, denn diese Hoffnung besteht angesichts ihres 'Saurier-Statusses' wohl kaum .
Fazit: Leider bekommt man nur noch selten solch einen künstlerisch und musikalisch
auf allen Ebenen überzeugenden Konzertabend geboten, weil die beseelten Rockdinos
langsam aussterben.
Unser besonderer Dank für die freundliche Unterstützung geht an: Reiner Kalisch (HsD Erfurt), Andre Bünning (Viking Music), den Fotografen Uwe Pabst und natürlich Colosseum.
Wer auf dieser Tournee nicht dabei sei kann, dem sei das pressfrische Live-Doppelpack
"Live 05" unbedingt zu empfehlen.
Diese momentan nur über Viking Music zu erwerbende Produktion wurde während der Tomorrow's Blues-Tour 2005 im Theaterhaus Stuttgart, Music Hall Worpswede und Treibhaus Innsbruck mitgeschnitten, und lässt eigentlich in punkto Titelauswahl einhundert Minuten lang keine Wünsche offen.
Tontechnisch gibt es kaum etwas zu bemängeln, außer dass ein wenig mehr Dynamik, besonders beim Bass, dem Silberling recht gut getan hätte.
Abgesehen davon, handelt es sich hierbei aber um ein rundum gelungenes Teil Livekonserve, welches nur erahnen lässt, was Nichtkonzertgängern entgangen ist.
Tracklist |
CD 1:
01:Showtime (0:34)
02:Come Right Back (5:00)
03:Theme For An Imaginary Western (6:35)
04:Lights (0:32)
05:Rope Ladder To The Moon (8:35)
06:The Valentyne Suite (23:04)
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CD 2:
01:Those About To Die (5:00)
02:Stormy Monday Blues (10:14)
03:No Pleasin' (7:50)
04:Tomorrows Blues (12:10)
05:Drum Intro To LA (2:57)
06:Lost Angeles (16:24)
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Bilder vom Konzert
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