Colosseum / Time On Our Side
Time On Our Side Spielzeit: 53:19
Medium: CD
Label: Ruf Records, 2014
Stil: Rock, Jazz Rock

Review vom 17.11.2014


Steve Braun
»Time is on my side« singt der irre Todeskandidat in dem Thriller "Dämon" und bekräftigt unheilgeschwängert »yes, it is!«. "Time On Our Side" betiteln Colosseum ihr brandneues Album und Jon Hiseman droht nicht von ungefähr im Begleitschreiben an: »Die Musik hat sich wieder verändert und jeder, der auf ein weiteres Valentyne wartet, wird einen Schock bekommen!«
Obendrein kratzen die Bandmitglieder allesamt an der magischen 70-Jahre-Marke; Mark Clarke (64) und Clem Clempson (65) gelten in diesem Kreis fast noch als 'Jungspunde'. Somit ist der Titel vortrefflich gewählt: Die Musikmoden kommen oder gehen; Colosseum sind dagegen immer noch da, im vollen Saft sogar, und - gerade hierzulande - beliebt wie eh und je. Time is really on their side....
Die Grundformation ist die gleiche, die vor mittlerweile 44 Jahren wohl den kreativen Höhepunkt Colosseums markierte. Einzig Barbara Thompson stieß erst nach dem Tod von Dick Heckstall-Smith ins feste Line-up. Nachdem sie vor knapp drei Jahren, an Parkinson erkrankt, krankheitsbedingt ausscheiden musste, konnte sie - dank einer neuen Medikation - zu den Aufnahmen von "Time On Our Side" und die anschließende Tour wieder an Bord kommen. Es handelt sich also um geballte musikalische Erfahrung, die für "Time On Our Side" verantwortlich zeichnet.
Die einzelnen Spitzenmusiker (und das ist fraglos jeder dieses Sextetts) hier vorzustellen, wäre ein Witz. Ihre Schaffenskraft hat nicht nur in unzähligen Reviews in unserem 'kleinen Hobbymagazin' ihren Niederschlag gefunden, sondern dürfte jedem Hörer anspruchsvoller Rock-, Blues- und Jazzmusik bekannt sein - zumindest darf man den 'Bildungsgrad' unserer Leserschaft derart hoch einschätzen.
Doch wer glaubt, "Time On Our Side" wäre ein lupenreines Jazz- oder Blues Rock-Album herkömmlicher Schule, unterschätzt den prägenden Zeitfaktor der letzten 46 Jahre - so lange ist Colosseum - mit einer 23-jährigen Unterbrechung, aber keiner war schließlich untätig - auf dem Weg. Wie ein kolossaler Strom vereint Colosseum alle zugeflossenen, stilistischen 'Wasser'. Majestätisch flutet "Time On Our Side" im jazzrockigen Flussbett dahin. Diese würdevolle Stimmung spüre man in "Nowhere To Be Found" oder "Anno Domini" auf, die den Spirit dieses Albums auf den Punkt zu bringen scheinen.
In zehn Stücken mischt sich Fusion mit Classic Rock, bluesig Altes mit Ungewöhnlichem, wie bspw. Reggae in der eröffnenden Thompson/Hiseman-Nummer "Safe As Houses".
Wenn Jon Hiseman das (unumstrittene) Hirn Colosseums ist, bilden die überaus einfühlsam agierenden Clem Clempson und Dave Greenslade die Seele. Mit Gitarre bzw. Hammond hauchen sie den Kompositionen von "Time On Our Side" Unsterblichkeit ein. Barbara Thompson und
Chris Farlowe sind dagegen die 'Aushängeschilder' Colosseums. Unfassbar, welche Kraft noch im stimmlichen Vortrag Farlowes liegt. Seine Stimmbänder scheinen keinem Alterungsprozess unterworfen zu sein. Nach wie vor präsentieren sie sich unglaublich wandlungsfähig und auch der charismatische Ausdruck hat keinerlei Patina angesetzt. Die klangliche Bandbreite von Thompsons Alt- und Tenorsaxofonen gestaltet die zehn Stücke überaus variabel - fast jedem drückt sie ihren prägnanten Stempel auf.
Gleich beim zweiten Song wird ein erstes, überraschendes Ausrufezeichen gesetzt: Die britische Singer/Songwriterin Ana Gracey, die Tochter von Barbara Thompson und Jon Hiseman, steuert mit "Blues To Music" eine Eigenkomposition bei und liefert sich mit Chris Farlowe ein mitreißendes gesangliches Duell. "The Way You Waved Goodbye" vereint derart unterschiedliche Strömungen wie Classic- und Roots Rock (!!) sowie Fusion-Elemente zu einem treibendem Klassetitel. Die swingenden "Dick's Licks" und "City Of Love" bedienen sich dagegen eher traditionell orientierter, jazziger Grundmuster. "You Just Don't Get It" erinnert fast schon ein wenig an Alan Parsons Project. Unwillkürlich könnte man hier an "You Can't Take It With You" ("Pyramid", 1978) denken, so wie "New Day" den Spirit von Procol Harums Evergreen "Whiter Shade Of Pale" zu verströmen scheint. Und das krönende Sahnehäubchen auf ein gelungenes Album, bildet die Jack Bruce-Komposition "Morning Story", die den musicalhaften Charakter des Originals (1971 auf "Harmony Row" erschienen) sogar noch etwas überzeichnet. Hier handelt es sich um eine ältere Liveaufnahme aus dem Bonner Brückenforum, wo Colosseum dieser Tage - anlässlich ihrer Deutschlandtour - wieder einmal Station machen.
Also: summasummarum alles andere als ein Grund, den von Hiseman befürchteten Schock zu bekommen. "Time On Our Side" entpuppt sich vielmehr als gelungenen Spätwerk Colosseums, elf Jahre nach dem letzten Album mit Dick Heckstall-Smith. Und 44 Jahre nach "Daughter Of Time" feiert Barbara Thompson nun auch im Studio eine triumphale Rückkehr.
Selbst wenn Colosseum nach wie vor über keine offizielle Webpräsenz verfügt, scheint der Zeitgeist hier so langsam einzukehren: Zumindest auf Facebook ist man nun (teilweise) präsent. "Time On Our Side" wird sich auch ohne riesigen Internet-Hype oder kalkuliert inszenierten Shit-Storm wie 'geschnitten Brot' verkaufen. Das zu wissen, ist irgendwie tröstlich...
Line-up:
Jon Hiseman (drums)
Dave Greenslade (Hammond, keyboards)
Clem Clempson (guitars, vocals, keyboards)
Mark Clarke (bass, vocals)
Chris Farlowe (lead vocals)
Barbara Thompson (saxophones)

Special guest:
Ana Gracey (lead vocals - #2)
Tracklist
01:Safe As Houses (4:28)
02:Blues To Music (4:58)
03:The Way You Waved Goodbye (5:14)
04:Dick's Licks (4:32)
05:City Of Love (5:47)
06:Nowhere To Be Found (4:13)
07:You Just Don't Get It (6:32)
08:New Day (3:56)
09:Anno Domini (6:07)
10:Morning Story (7:22)
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