Ich gebe es ja zu:
Damenbesuch hat etwas und erfolgt bei mir, aus welchen Gründen auch immer, viel zu selten.
Und nun das:
Gleich 24 Vertreterinnen des vermeintlich schwächeren Geschlechts im Verbund mit fünf leider nicht mehr irdischen Damen im Geiste besuchen mich in meinen bescheidenen vier Wänden und räumen dabei gründlich mit der Sage des angeblich 'Schwachen Geschlechts' auf.
Wie sie das machen?
Ganz einfach, sie spielen den Blues. Und wie!
Zunächst in sogenannter zeitgenössischer, dann in traditioneller Form.
Wieso diese Unterscheidung?
Nun, im Bluesgenre gibt es wie überall im Musikbusiness inzwischen wahnwitzige Ausdifferenzierungen, die letztlich der Einfachheit halber in die genannten zwei Oberbegriffe als Grobunterscheidung münden.
Das Zeitgenössische steht für die eher freie, individuelle, vielschichtige, auch andere Musikstile mit einbeziehende Interpretation des Blues, in der Regel elektrisch verstärkt in Bandbesetzung eingespielt. Demgegenüber dominiert bei der traditionellen Spielweise die akustische Instrumentierung, meist in ganz kleiner Besetzung und in stringenter Stilistik, die sich an den Wurzeln (Roots) orientiert.
Insofern deckt mein Damenbesuch ein ganz großes Feld der verschiedenen Spielarten des Blues ab und reicht dabei vom grobschlächtigen, rohen, mit einer geradezu in Flammen stehenden Strat gespielten Bluesrock (Tracy Conover "Goin' Down") bis zum gepflegten 'Baumwoll'-Gezupfe (Etta Baker "One Dime Blues").
Das rührige deutsche (Blues)Label von Thomas Ruf fasst auf diesem Sampler labelübergreifend aktuelle Künstlerinnen (Gitarristinnen) des Bluesgenres jedweden Alters zusammen und ergänzt sie mit vier historischen Aufnahmen von solch 'Urmüttern' wie Mattie Delaney, Elvie Thomas, Geeshie Wiley und der großen Memphis Minnie.
Ich bin i.d.R. kein Freund von Samplern oder Compilations, da selten eine Homogenität erreicht wird, weder bei der Musik an sich, noch beim Klang der Aufnahmen.
Aber ersteres ist hier ausdrücklich gar nicht intendiert und letzteres fällt dadurch gar nicht mehr ins Gewicht, wenn auch die Unterschiede gewaltig sind. Dabei sind natürlich die historischen Aufnahmen (drei davon stammen von 'Mississippi Masters, Early American Blues Classics 1927 - 35' und erklingen im altehrwürdigen Grammophon - Sound) außen vor gelassen, aber die anderen Aufnahmen offenbaren doch Spannweiten von audiophil ( Ana Popovic, "Navajo Moon", Barbara Lynn, "Lynn's Blues", Rory Block, "Fixin' To Die") bis unerklärlich mittenverhangen ( Sue Foley, "Mediterranean Breakfast").
Beim zeitgenössischen Blues (Disc 1) reichen die musikalischen Koordinaten vom Texas Shuffle Blues a la Stevie Ray Vaughan ( Debbie Davis "Takin' It All To Vegas"), über Rumbarhythmen mit Flamencogitarre ( Sue Foley "Mediterranean Breakfast"), über Tito & Tarantula angehauchte Klänge ( Beverley 'Guitar' Watkins "Baghdad Blues"), über gospelige Tunes ( Ruthie Foster "Woke Up This Mornin'"), über Fifty-Style-Tunes ( Eve Monsees "Lonely Lonely Nights") bis hin zum instrumentalen Slowjazzblues ( Ana Popovic "Navajo Moon").
Für die FreundInnen des schmackhaften Bluesrocks gibt's immerhin vier Leckerlies, nämlich Joanna Connor ("Living On The Road"), Carolyn Wonderland ("Judgement Day Blues"), Tracy Conover ("Goin' Down" - natürlich, die Don Nix Nummer!) und, selbstredend in aller Subjektivität, die Entdeckung überhaupt, Lara Price Band (featuring Laura Chavez) mit Buddy Guys "Can't Quit The Blues" (furztrocken, groovy, Hammergitarre, gespielt von den vermutlich jüngsten Protagonisten dieses Projekts).
Aber auch die zweite Disc mit dem 'Traditional-Blues' weiß mit erstaunlicher Vielfältigkeit zu gefallen, hören wir hier doch gar orientalisch Angehauchtes (Ellen McIlwaine "Dead End Street"), Dylaneskes (Algia Mae Hinton "Going Down This Road"), knarzigen Deep-Blues (Gaye Adegbalola With Rory Block "Nothing's Changed - beißende gesellschaftspolitische Kritik!) oder Akustisches im vollen Bandgewand (Sue Foley "Doggie Treats").
Viele Titel sind Eigenwerke, die Coverversionen sind alles andere als ausgelutscht.
Teilweise sprechen schon die Songtitel ob der engagierten Texte eine deutliche Sprache.
Oh ja, hier haben sich die Damen sehr eindrucksvoll von ihren männlichen Kollegen emanzipiert und zeigen deutlich auf, wo's langgeht.
Es gibt allerdings keine Titel, die exklusiv für dieses Paket aufgenommen worden wären, aber einige sind ansonsten außerordentlich schwer aufzutreiben.
Eine federführende Rolle bei diesem interessanten Projekt übernahm Sue Foley, mittlerweile seit fast 15 Jahren als Blueslady mit irritierender 'Kinderstimme' und ausdrucksstarker Gitarrenarbeit unterwegs und nunmehr 'Recording Artist' für 'RUF', die nicht nur für die Musikauswahl mitverantwortlich zeichnet, sondern auch die Linernotes im Booklet verfasst und die Kurzbiografien der Künstlerinnen entworfen hat, die in selbigem dankenswerterweise nachzulesen sind.
Fazit:
Wer der Bluesmusik ohne Dogmen und Scheuklappen zugetan ist, sollte hier wirklich mehr als nur ein Ohr riskieren. Die Damen stehen ihren männlichen Pendants in nichts nach und mal ehrlich:
Wer von euch möchte schon so eine geballte Ladung Damenbesuch ablehnen?
Spielzeit: CD 1=67:27 Min; CD 2=49:33 Min, Medium: Do-CD, Ruf Records, 2005
CD1: CONTEMPORARY BLUES GUITAR WOMEN
1:Can't Quit The Blues (Lara Price, featuring Laura Chavez) 2:Takin' It All To Vegas (Debbie Davies) 3:The Man's So Good (Alice Stuart) 4:Mediterranean Breakfast (Sue Foley) 5:The River Wild (Deborah Coleman) 6:Living On The Road (Joanna Connor) 7:Navajo Moon (Ana Popovic) 8:Judgement Day Blues (Carolyn Wonderland) 9:Lonely Lonely Nights (Eve Monsees) 10:It's A Blessing (Maria Muldaur & Bonnnie Raitt) 11:Dreamland Blues (Erja Lyytinen) 12:Lynn's Blues (Barbara Lynn) 13:Goin' Down (Tracy Conover) 14:Baghdad Blues (Beverly "Guitar Watkins") 15:Woke Up This Mornin' (Ruthie Foster)
CD 2: TRADITIONAL BLUES GUITAR WOMEN
1:Fool Me Good (Precious Bryant) 2:Going Down This Road (Algia Mae Hinton) 3:Doggie Treats (Sue Foley) 4:Fixin' To Die (Rory Block) 5:Dead End Street (Ellen McIlwaine) 6:Rather Be The Devil (Alice Stuart) 7:Streamline Train (Jessie Mae Hemphill) 8:Nothing's Changed (Gaye Adegbalola with Rory Block) 9:One Dime Blues (Etta Baker) 10:Ain't Nothing in Ramblin' (JoAnn Kelly)11: Down The Big Road Blues (Mattie Delaney) 12: Motherless Child Blues (Elvie Thomas) 13:Skinny Legs Blues (Geeshie Wiley) 14:In My Girlish Days (Memphis Minnie)
Olaf "Olli" Oetken, 27.07.2005
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