Early Morning Hush
Notes From The UK Folk Underground 1969 - 1976
Early Morning Hush
"Music of innocence and rare beauty" trifft es wirklich gut, was uns da aus dem reichen Füllhorn der englischen Folk-Bewegung jener Zeit auf dieser Zusammenstellung präsentiert wird. Auch bei uns gab es damals einen Boom akustischer Musik, die sich aus traditionellen Volksmusik-Quellen speiste. Weniger aus den eigenen, denn aus den angelsächsischen und keltischen.
Pate standen jedoch die Folk- und Arbeiterliedersänger, deren Vorväter aus den Ursprungsländern ihre Weisen mit in die Immigration der Neuen Welt genommen hatten. Von dort schwappte die inzwischen adaptierte Volksmusik zurück, von Pete Seeger, Woody Guthrie, Joan Baez und teilweise von Bands wie den frühen Jefferson Airplane, bereits vermischt mit neuen 'psychedelisch angehauchten' Sounds. Dass Drogen diese sanften Klänge beeinflusst hatten, war kein Geheimnis. Daher auch die Bezeichnung 'Acid Folk' für bestimmte Bereiche dieses Spektrums.
Aber auch die eigenen Tunes wurden von der Jugend wieder entdeckt. Das umfangreiche und sehr informative Booklet mit raren Fotos verweist auf zwei Songs, die die Initialzündung gewesen sein sollen. Davy Grahams "Anji" (mir als "Angie" bekannt) und "Hazards of Love" von Anne Briggs von 1962 und 1963. Die Bannerträger des englischen Folks und späteren Folk Rocks waren neben Fairport Convention vor allem Pentangle ('der britische Klang der Stille') und Steeleye Span. Die beiden letzteren sind auf den Sampler ebenso vertreten, wie die weiteren bekannten Künstler Shirley Collins und John Renbourn. Der Rest dürfte bestenfalls absoluten Insidern geläufig sein, die das weite Feld der Interpretation in diesem Genre abdecken.
Die Band Midwinter (die mit der deutschen Band gleichen Namens höchstens eine Seelenverwandtschaft aufweisen dürfte) tönt sehr altertümlich und setzt neben einer Drehleier auch eine Maultrommel ein. Darüber die sphärische Stimme von Jill Child. Dagegen bewegt sich Loudest Whisper in eher opulenten Singer/Songwriter-Gefilden mit wohltönendem Sänger und Streichern. Acid Folk Rock vom Feinsten dann von Mellow Candle, feingesponnene Arrangements mit üblichem Rockinstumentarium, dazu ein klassisches Piano, das die E-Gitarre als Leadinstrument ablöst. Und dann die beiden fantastischen Sängerinnen Clodagh Simonds und Alison O'Donnell, eine elektrisierende Mischung aus Sandy Denny und Grace Slick. Warum diese irische Band nicht mehr Aufmerksamkeit erregte, bleibt im Nachhinein absolut unverständlich.
Renbourns "The Cockoo" (auch bekannt als "Jack O'Diamond") ist ein Klassiker, bei dem sich zu einer der markantesten Stimmen und einer der besten Gitarren des Metiers eine Sitar gesellt. Das indische Instrument ist auch bei Sweeney's Men (mit Andy Irvine) im Hintergrund ihrer Elegie zu hören. Shelagh McDonald steigert das ins Melodramatische, lässt sich dabei aber von kammermusikalischem Arrangement begleiten. Ähnlich auch die Water Into Wine Band, bei der es noch klassischer tönt.
Shirley Collins schwenkt mit ihrer Ballade (jawoll, das ist eine Ballade!) zurück zum typischen Folk Rock, deren eine Säule auch die Albion Country Band war, die sie begleitet. Wenn diverse Wave-Bands 'back to the roots' wollten, dann sollten sie mal bei Keith Christmas reinhören, der zu esoterischen Texten einer verführerischen Stimme schwellende Streicher, einen mystisch aufsingenden Männerchor und eine Procul Harum-Orgel samt flirrender E-Gitarre auftürmt - das ist Acid Folk im Breitwandformat!
Anne Briggs, wo bist du geblieben? Eine weitere Sängerin mit außergewöhnlich schöner, leicht rauchiger Stimme, gemacht für die typischen Balladen, die untrennbar mit dieser Musik verbunden sind. Im gleichen Bereich bewegen sich auch Stone Angel, deren Sängerin Jill Child bereits im ersten Song zu hören war. Der Pentangle-Song "Sovay" ist einer der weniger bekannten, jedoch ein weiteres Kleinod dieser hochkarätigen Band. Duncan Brown gehört zu den 'Schönsingern', den 'Troubadouren' jener Periode, der eigene Stücke schrieb. "The Blacksmith" von Steeleye Span mit ihrer großartigen Sängerin Maddy Prior ist wohl der Song auf der Zusammenstellung, den selbst weniger dem Folk zugewandte Musikfans schon einmal gehört haben dürften.
Dando Shaft legen einen eher ungewöhnlichen Drive vor, der auch noch recht optimistisch tönt. Shide and Acorn intonieren dagegen mit der gewohnten Schwermut. Dann wird es zum Finale richtig finster und dramatisch. Bei Mr. Fox kommen unweigerlich die frühen Pink Floyd ins Spiel, nur das hier eine weibliche Stimme in das sich anbahnende Inferno führt. Progger hört zu!
"Early Morning Hush" ist eine Schatzkiste für die 'Folk Friends' jener Tage und diejenigen, die gern den alten Klängen mit schönen Stimmen nachspüren wollen. Allerdings klingen die verblüffend frisch und wurden soundmäßig (bis auf wenige Ausnahmen) bestens restauriert. Musik-Blüten von Unschuld und seltener Schönheit.


Spielzeit: 69:16 Min, Medium: CD, Castle Music/Sanctuary Records Group, 2006
1:Midwinter - The Skater 2:Loudest Whisper - Lir's Lament Sheep Season 3:Mellow Candle - Sheep Season 4:John Renbourn - The Chukoo 5:Sweeney's Men - Go My Brooks 6:Shelagh McDonald - Peacock Lady 7:Shirley Collins - Poor Murdered Woman 8:Water Into Wine Band - Harvest Time 9:Keith Christmas - Forest An The Shore 10:Anne Briggs - Fine Horseman 11:Stone Angel - The Bells Of Dunwich 12:Pentangle - Sovay 13:Duncan Brown - Cherry Blossom Fool 14:Steeleye Span - The Blacksmith 15:Dando Shaft - Coming Home To Me 16:Shide and Acorn - Elanor's Song 17:Mr. Fox - Mendle
Norbert Neugebauer, 02.06.2006