Festival!
Filmed at the Newport Folk Festival
Newport Folk Festival
Magister of Rock: "Was haben wir über das 'Newport Folk Festival' gelernt?"
Eleven of Rock (beflissen im Chor): "Da hat Bob Dylan 1965 das erste Mal elektrisch gespielt und ist dafür gnadenlos ausgebuht worden!"
Magister of Rock: "Gut aufgepasst!"
Wir wissen, was wir von Schulweisheiten zu halten haben.
In meinem DVD-Player liegt die Scheibe "Festival!", ein Zusammenschnitt von Material der 'Newport Festivals' 1963 - 1966, der bereits 1967 als Kinofilm anlief. Für die Wiederveröffentlichung wurde das Werk unter Aufsicht des damaligen Produzenten/ Regisseurs Murray Lerner anhand der Masterbänder restauriert, neu gemischt und remastered.
Ich verfüge leider über keine Anlage, die Dolby 5.1 und DTS Surround Sound 'kann'. Da aber die Bilder immer noch schwarzweiß sind, denke ich, dass das für meine Besprechung eines solchen Zeitdokuments nicht unbedingt relevant sein wird. Das 'Newport Festival' in Rhode Island, dem flächenmäßig kleinsten der Bundesstaaten im Nordosten der U.S.A. war als Open Air die wichtigste Veranstaltung für Folkmusik über Jahrzehnte. Bereits seinerzeit kamen über 40.000 Besucher an den Wochenenden. Es etablierte sich nach zunächst kommerzieller Ausrichtung als eine Institution zur Pflege der Folkmusik, für die alle Künstler lediglich eine Gage von 50 Dollar und Auslagen bekamen. Aber auch als das Sprungbrett für viele Karrieren und das ist es bis heute. Der Film über das damals bereits berühmte Festival ist in mancher Hinsicht bemerkenswert.
Einmal als gelungene Dokumentation der gespielten Musik und ihrer Künstler; von vielen wird es wohl keine anderen Aufnahmen geben. Dann auch als ein Szenebericht über die Folkbewegung, die ein Revival erlebte und die die alten, traditionellen Musikanten der verschiedensten Richtungen mit den jungen Künstlern, die ihre eigenen Songs spielten, zusammenbrachte. Oder auch wegen der Kameraführung.
Live-Konzertaufnahmen waren zuvor wohl allein schon aufgrund der unbeweglichen Technik selten. Mit neuer, leichter handhabbarer Ausrüstung experimentierten die vier Kameraleute mit ungewöhnlichen Bildern. Es sind dabei sehr schöne Portraits entstanden, Großaufnahmen der Hinterköpfe von Musikern über ganze Songs hinweg wirken aber eher daneben. Und auch eine sich schnell verändernde Zeit, die sich in Kleidung, Frisuren und Ansichten ausdrückt, ist festgehalten. Die Szenen sind nicht chronologisch, gerade deshalb werden die Mutationen offenkundig. Der Regisseur hat wohl versucht, die Entwicklung der Folkmusik jener Zeit an bestimmten Künstlern und Themen auch ohne konkrete Zeitangaben festzumachen. Der rote Faden ist nicht immer zu erkennen, was mich aber nicht stört.
Es gibt sehr viele Aufnahmeschnipsel, Songs nur skizziert, oft nicht mal eine Strophe. Dazwischen werden die Festivalbesucher gezeigt und interviewt. Viele sind mit eigenen Instrumenten gekommen und jammen zwischendurch. Sie werden ausgiebig beobachtet - bei der Anfahrt, beim Weg auf das Festivalgelände und in den unmöglichsten Schlafstellungen (was reizt eigentlich Leute, die irgendeinen Aufnahmeapparat in die Finger bekommen, die entgleisten Visagen ihrer Mitmenschen beim Pennen abzulichten? Ist das wirklich lustig?!). Auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen, auf Motorrollern, auf der Wiese und am Stand. Es gibt zwar noch keine Nackten oder Schlammrutschen, aber die Woodstock-Filmer haben sich manches abgeschaut.
Den damals populärsten Künstlern wird auch der meiste Raum eingeräumt, Peter, Paul & Mary, Joan Baez und natürlich Bob Dylan, dessen Stern schon leuchtete. In den ersten Aufnahmen sind sie und die Fans noch in adretter Garderobe zu sehen, in den zeitlich letzten Aufnahmen werden bereits die ersten Hippieklamotten sichtbar. Analog die Musik: zunächst der wohlklingende Vortrag, die authentischen Weisen, eine skiffelnde Jugband und ein traditioneller (?) Steptanz von einer jugendlichen Gruppe aus den Bergen.
Dann der erste herbe Song von Buffy St. Marie, Donovan singt gegen den Vietnam-Krieg, Blues, Gospel, "Blowin´ In The Wind" und "They Times They´re A Changin´" mit wohldosierten Dreiklang von P,P&M mainstreamig intoniert.
Dylan ist übrigens nicht der einzige, der bei "Maggie´s Farm" die Gitarre verstärkt spielt. Der Song ist in ganzer Länge zu sehen. Und die Reaktion des Publikums? Es jubelt am Schluss! Auch Howlin´ Wolf rockte in Newport seinerzeit mit dem Publikum kräftig ab.
Dazwischen gibt es weitere bekannte Musiker zu sehen, Judy Collins mit ihrer tollen Stimme etwa, der damals schon legendäre Pete Seeger, Country-Man Johnny Cash und viele, deren Namen wohl nie in irgendeinem Lexikon auftauchten.
Auch eine ganze Reihe von Bluesleuten sind aufgeboten. Fred McDowell, Mississippi John Hurt, Sonny Terry&Brownie McGhee und ein sehr bestimmter, archaisch wirkender Son House als Vertreter der alten Mississippi- und Countryblues-Tradition.
Dann Mike Bloomfield mit der Paul Butterfield Blues Band und Howlin´ Wolf für den neuen, aggressiven Sound aus Chicago.
Statements von Son House und Bloomfield werden zu einem sehr interessanten Disput über Blues gegenübergestellt, die mit zwei intensiven Aufnahmen der Gegenpole unterlegt werden. Dieser Gegensatz taucht noch ein weiteres Mal auf, als mehrfach Dylan beim Soundcheck mit der Paul Butterfield Blues Band in traditionelle Aufnahmen eingeblendet wird.
'Workshop'-Gigs am Nachmittag. Baez und Dylan auf einer winzigen Bühne unter einem Baum im Wind, praktisch inmitten der Fans. Anschließend eine in der Menge eingeklemmte Baez, die geduldig Autogramme gibt, während sich Dylan bereits im Auto verschanzt hat. Andächtig sitzen die ausschließlich weißen Folkies zu Füßen des alten Bluesmanns Mississippi John Hurt und lauscht seinem "Candy Man".
Am Abend dann die großen Konzerte auf einer immerhin schon überdachten Bühne und vor Fans auf Klappstühlen. Wir sehen ein späteres Finale mit schwarzen und weißen Künstlern, eng verschränkt und mit Odetta in der Mitte, die inbrünstig "We Shall Overcome" singen. Und tatsächlich - auch ein paar farbige Fans in der Menge. Es geht insgesamt sehr entspannt zu, das Publikum ist generationsübergreifend und tolerant. Eine alte Folklady gibt die bemerkenswerte Ansicht zu den neuen Tendenzen von sich: "Wir singen heute die Musik, die vielleicht vor 200 Jahren so was wie Pop war".
Aber auch, dass die Jugend kritischer wird und am Establishment rüttelt, sagt ein älterer Musiker. Auf der Bühne wird mitunter reichlich rumgealbert. Baez kann sich mit ihrem Partner Peter Yarrow bei einem Nonsenslied nicht auf die richtige Tonart einigen, Dylan kieckst den Refrain von "All I Really Wanna Do", muss sich bei "Mr. Tambourine Man" (vom akustischen Set des 65er Auftritts) eine Mundharmonika aus dem Publikum borgen und P,P&M kommen mit den Mikrophonen durcheinander.
Die amerikanische Folkbewegung, die sich in dieser Zeit etabliert hatte und sich nach den Aussagen der Fans sowie der Zwischenkommentare als Lebensstil verstand, brachte dann die kurzlebige Hippie-Ära hervor. Aber auch die Protestgeneration, die auf die Straßen ging und mit ihren Songs gegen Krieg und Gewalt zunehmend politischer wurde. Sie war, wenn man den Bilder Glauben schenken darf, wohl auch die letzte drogenfreie Szene.
Es war nicht Dylan, der den Umbruch mit seiner elektrischen Gitarre einleitete. Er spielte nur die drei geprobten Songs mit der Butterfield Blues Band und das in einem neuen, mitreißenden Stil. Bruce Jackson, einer der Direktoren des Newport Festivals von 1965 und Zeuge des legendären Auftritts, dementiert, dass Dylan deswegen ausgebuht wurde. Er verfügt auch über die Masterbänder, deren minutiöses Protokoll er unter buffaloreport.com veröffentlich hat. Er berichtet, ursprünglich waren wegen des engen Zeitplans nur drei Songs pro Gruppe vorgesehen, was die Fans dann beim Abtritt Dylans mit Buhrufen quittierten. Er hatte da jedoch schon angekündigt, dass er nochmals mit der akustischen Gitarre solo auftreten würde und wurde dann beim zweiten Set erneut begeistert empfangen. Was sollte die vorwiegend jüngeren, im Aufbruch befindlichen Fans an dieser tollen Band gestört haben?
Die konservativen Gralshüter der reinen Folklehre, die die Bastionen victorianischer Musik oder appalachischer Traditionen inquisitorisch verteidigten, werden dann wohl das Gerücht inszeniert haben. 'Dylan in Newport' ist demnach eines der ganz großen Hypes der Rockhistorie, der bis heute regelmäßig unreflektiert kolportiert wird. Dem Mythos Dylan hat es nicht geschadet, eher im Gegenteil. Die Zeit war einfach reif für eine aggressivere Musik, der Beat und später der Rock waren die Musik der bald folgenden 68er Generation und das hatte Dylan längst erkannt. Folk-Ikone Baez, die ihn beim ersten Gig 1963 dem Publikum vorstellte, bescheinigte ihm schon damals, dass er das Ohr an seiner Generation hatte - und war dann wohl eher deren genialer Interpret als der Motor.
Die Filmaufnahmen sind größtenteils gut gedreht und viele dienten offensichtlich späteren Musikfilmen und Roadmovies als Vorbild. Allerdings sind manche Titel gar zu sehr beschnitten. Die technische Qualität ist völlig in Ordnung. Auch der Sound ist für die Zeit ordentlich. Mit den wenigen Mikrophonen auf der Bühne wurden die Stimmen gut eingefangen, die Begleitinstrumente, selten mit eigenen Mikrophonen abgenommen, bleiben dabei jedoch naturgemäß recht dünn. Das passt einfach für die Zeit. Die ursprünglichen Monoaufnahmen klingen dank der neuen Dolby Surround Technik nun aber wesentlich transparenter, insgesamt ist das Hörerlebnis deutlich kompakter und ausgewogener.
Da es sich nicht um einen ausgesprochenen Konzertmitschnitt handelt, ist das nicht das Entscheidende. Untertitel oder Extras gibt´s keine, lediglich eine Auflistung von 'Chapters' und die Umschaltmöglichkeit des Soundformats.
"Festival!" ist weniger eine nostalgische Erinnerung, als ein wichtiges Zeitdokument, ein collagenhaftes Stimmungsbild der Jugend- und Musikkultur der Sechziger Jahre, die bis heute Einfluss hat.
Technik:
Format 4:3, DVD 9, Tonformat DTS, Dolby 5.1.,
PCM Stereo, Englisch, schwarz-weiß, PAL


Spielzeit: 97 Min., Medium: DVD, Eagle Vision, 2005
Norbert Neugebauer, 01.12.2005
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