Bill Wyman ist schon ein uriger Typ. Der Mann sammelt scheinbar sein komplettes musikalisches Lebenswerk. Dabei springen dann nicht nur monumentale Printwerke über seine Zeit bei den Rolling Stones heraus, sondern plötzlich tauchen aus den Untiefen seines Archivs auch Bänder auf, die dort 18 Jahre lang friedlich schlummerten und nun im Zeitalter der Musik-DVDs erstmals das Licht der Welt erblicken.

Vor besagten 18 Jahren, also einer Zeit, als sich das Gespann Jagger/Richards wenig bis nichts zu sagen hatte und beide mit Soloplatten am Start waren (Keith Richards mit "Talk Is Cheap" (1988), und Mick Jagger mit "Primitive Cool", 1987), hob der beschäftigungslose Stones-Bassist das ambitionierte Projekt "A.I.M.S." (Ambitions, Ideas, Motivation, Success) aus der Taufe, bei dem es sich um eine Art Talentwettbewerb für junge, aufstrebende Newcomer-Bands handelte, der europaweit ausgeschrieben wurde und den Gewinnern die Möglichkeit eröffnen sollte, mit arrivierten Künstlern aufzunehmen und aufzutreten. In einem fahrbaren Studio der Rolling Stones konnten sie unentgeltlich und unter professioneller Anleitung ein Demotape aufnehmen, um damit theoretisch eine Karriere starten zu können. Die vermeintlich besten von ihnen erhielten schließlich die einmalige Gelegenheit, vor großem Publikum in der legendären Londoner 'Royal Albert Hall' aufzutreten.

Insgesamt fünf Bands aus fünf verschiedenen Städten zogen dieses große Los und ein von Bill Wyman zusammengestelltes Staraufgebot sorgte für ein Rahmenprogramm, welches ein volles Haus garantierte und 'ganz nebenbei' Geldspenden für das 'The Great Ormond Street Hospital', London (ein Kinderkrankenhaus), einbrachte.

Hier begegnen wir bei dieser Ausgrabung solchen Leuten wie Elvis Costello, Chrissie Hynde (Pretenders), Phil Collins (drums, Genesis), Kenney Jones (drums, Small Faces, Faces, The Who), Simon Kirke (Percussion, Black Cat Bones, Free, Bad Company), Ray Cooper (Percussion, u.a. Elton John, Rolling Stones, Wings, Paul McCartney, Ringo Starr, George Harrison, Bryan Ferry, Eric Clapton …), Eddy Grant (Equals, vocals & guitar), Terry Taylor (guitar, Daniel Amos, Bill Wyman's Rhythm Kings), Chris Rea (guitar & vocals), Ronnie Wood (guitar & vocals, Faces & Rolling Stones), Alan Clarke (keyboards, Dire Straits, Eric Clapton), Ian Dury (vocals, Ian Dury And The Blockheads) und natürlich Bill Wyman himself am Tieftöner.

Das Allstarprogramm wird von Elvis Costello und Chrissie Hynde als Akustikduo eröffnet, wobei sie uns etwas schräge, weil weitestgehend ungeprobt, Versionen von "There's A Place" (Beatles, 1963), "Windows Of The World" (Dionne Warwick, 1968) und "Days" (Kinks, 1968) offerieren.

Anschließend übernehmen Chris Rea und seine damalige Band für vier Songs das Ruder, wobei Chris insbesondere bei "Steel River" und "September Blue" seine fantastischen Qualitäten als Slidegitarrist ausspielt.
Und dann folgt der Höhepunkt des Abends, die genannten Protagonisten spielen in unterschiedlichen Zusammensetzungen ein Rock 'n' Roll geprägtes 'Who is Who' der Rockgeschichte, wobei launige und fetzige Interpretationen von solchen Klassikern wie "Tallahassee Lassie" (Freddy Cannon, 1959), "Lucille" (Little Richard, 1957), "Johnny B. Goode" (Chuck Berry, 1958), "Baby Please Don't Go" (Big Joe Williams, 1944) präsentiert werden. Zusätzlich lässt Eddy Grant noch mal den großen Equals-Hit "Baby Come Back" (1968) in einer schnelleren Variante aufleben und "It's All Over Now" und "Honky Tonk Woman" stehen stellvertretend für den Stones-Background von Wyman / Wood. Eine schöne Party in gutem Bild und Ton, wobei ich erschreckt feststellen muss, um wie viel jünger die Agierenden vor 18 Jahren noch aussahen.

Es ist auch ein schönes Dokument für alle Ian Dury-AnhängerInnen, der diese Welt im März 2000 leider verlassen musste (Leberkrebs) und nunmehr in ganz anderen Allstarzusammensetzungen musiziert.

Des Weiteren macht diese DVD eine knapp 45minütige Dokumentation ('Access All Areas') sehr interessant, in der Bill Wyman höchst selbst die Grundidee des Projekts erläutert und die besagten fünf Newcomerbands mit je einem Song vorgestellt werden. Ich muss gestehen, ich habe von diesen Bands noch nie etwas gehört (The Works, This Perfect Gift, Someone Shouted, An American In Paris und Mota Mota), was den Verdacht nahe legt, dass es mit der großen Karriere nix geworden ist. Aber dieser typische 80's Style und -Sound ist schon recht amüsant und weckt beim RockTimes-Redakteur einige Erinnerungen an alte Zeiten.

Musikalisch kommt das Ganze recht ansprechend rüber, dem heutigen 'Superstar'-Konzept ist das allemal vorzuziehen!
Zusätzlich gibt eine britische Variante von Spinal Tap namens "Bad News" eine Kostprobe typischen Brithumors ab, indem beispielsweise Queens "Bohemian Rhapsody" hingerichtet wird.
Insgesamt betrachtet eine sehr unterhaltsame DVD, ohne sensationelle Glanzlichter setzen zu können, aber trotzdem ein willkommenes Zeitdokument popularmusikalischer Benefizaktivitäten.

Technische Daten
Disc-Type: DVD-9
Tonformat: DTS + DD 5.1 + DD 2.0
Bildformat: 4:3 (NTSC)
Sprache: Englisch
Untertitel: Englisch, Französisch, Deutsch, Japanisch
Länge: ca. 121 Minuten
FSK: o.A.
Region-Code: 2-5 (NTSC)