Punk Academy
Punk Academy Spielzeit: 48:09
Medium: CD
Label: Locomotive Records, 2004
Stil: Punk

Review vom 24.10.2007


Alexander Mathias
Im November 1976 erschien die erste Single der Sex Pistols, "Anarchy In The U.K". Es war die öffentliche Geburtsstunde des Punk, der schon im Jahr zuvor in kleinen Londoner Clubs heranreifte.
Eine neue Lebensphilosophie bahnte sich ihren Weg. Protest, gesellschaftlicher Ausstieg, 'No Future' waren die Kernaussagen, die von harten Klängen und kritischen Texten begleitet wurden. Gruppen wie The Damned, The Clash, The Dead Boys, The Ramones, Dead Kennedys und viele andere Formationen sorgten dafür, dass der Punk nicht zu einer Eintagsfliege verkam.
Doch wie viele andere Strömungen wurde auch Punk bald gesellschaftsfähig und verlor seinen Schrecken. Die ersten Wochenend- und Modepunks kamen zutage, am Wochenende schräg gestylt, während sie unter der Woche ihrer geregelten Arbeit nachgingen.
Betrachtet man heute, 30 Jahre nach "Anarchy In The U.K", einschlägige Modeprospekte, so findet man darin immer wieder 'punkige' Klamotten und Accessoires, die schon lange nicht mehr einen gutbürgerlichen Schrei des Entsetzens hervorrufen.
Werfen wir einen Blick in das Jahr 2004. Das französische Label Revenge veröffentlicht einen Sampler namens "Punk Academy", auf dem sich 17 mehr oder weniger bekannte 'Punk-Schüler' und 'Kult-Bands', so der Beipackzettel, ein Stelldichein geben. Alte französische Klassiker gilt es dabei neu aufzubereiten und in die Gefilde des Punks zu portieren. Warum auch nicht? Schließlich intonierte seinerzeit auch der Sex Pistols-Bassist Sid Vicious seine Version von Frank Sinatras "My Way".
Die geneigten KäuferInnen dieser CD haben zusätzlich die Möglichkeit, ihre Favoriten per SMS zu wählen, so der Hinweis im Booklet. Zu gewinnen gibt es dabei T-Shirts und Buttons mit dem "Punk Academy"- Logo, das natürlich auch als Handy-Logo heruntergeladen werden kann ...
Ok, vergessen wir an dieser Stelle die damaligen Intentionen des Punk. Besinnen wir uns rein musikalisch auf eine Stilrichtung namens Punk und ignorieren das Gewinnspiel.
Zu Auftakt des vorliegenden Samplers bieten Les Wampas mit "Où Sont Les Femmes?" eher einen beschwingten Popsong auf, unterlegt mit Gitarrenriffs, bei denen fast AC/DC die Patenschaft innehaben könnte.
John Lenine + The Swimming Bollocks treffen die Aufgabenstellung im Anschluss mit "Rien Qu'une Larme" deutlich besser. Klingen hier doch einige Einflüsse der Die Toten Hosen und Die Ärzte an.
Es folgen The Punkles mit "Michelle", die Beatles lassen grüßen. Das Tempo gegenüber dem Original ist zwangsläufig deutlich gesteigert, grölender Gesang, aber das war es dann auch schon. Somit stellt diese Interpretation nicht gerade eine kreative Meisterleistung dar.
Wer jetzt an dieser Stelle ein Problem mit der Kombination Punk / Kreativität bekommt, möge mit Wehmut an The Clash zurückdenken, die den Punk in allen Variationen ausreizten.
Kontingent Furax zitieren in "Capri C'est Fini" zwar "God Save The Queen" von den Sex Pistols, verfügen aber immerhin über genügend Originalität, den 'klassischen' Punk zu reanimieren.
Der erste richtige und ernst zunehmende Lichtblick kommt von Parabellum und dem Track "Îlot Amsterdam". Kein stupides Herunterschrubben, sondern eine raffiniert aufgebaute Nummer, die Lust auf mehr macht. Hier passt tatsächlich alles und das Herauskramen der alten Sicherheitsnadeln und Ketten kann beginnen. Bei Parabellum dürfte es sich lohnen, das Gesamtwerk etwas genauer zu ergründen.
Cyclope und Bibix & Les Punkachiens präsentieren in ihren Liedern tanzbaren Spaß-Punk von der Stange, bevor wir einen alten Bekannten wiedertreffen.
Der eigentlich belgische New Wave-Musiker Plastic Bertrand beglückt uns mit "Bambino".
1978 veröffentlichte er "Ça Plane Pour Moi", womit ihm in Europa, Amerika und Asien ein Riesenhit gelang.
"Bambino" kommt gesanglich so frisch und eingängig rüber, wie "Ça Plane Pour Moi" vor knapp 30 Jahren. Insofern nimmt Monsieur Bertrand auf diesem Sampler eine absolute Ausnahmestellung ein, hier winkt uns tatsächlich ein bisschen Kult zu.
Fucking Saddam unterstützen die "Punk Academy" mit durchschnittlicher Konfektionsware, bevor die unvermeidliche Parodie auf "My Way" ("Maille Ouais") von den Sex Bidochons ertönt. So kann man natürlich auch einen 'Running Gag' etablieren...
Oberkampf plätschern mit einer Liveversion von "Poupée De Cire" ziemlich belanglos vorbei.
Doch direkt danach lassen uns Complètement mit "Sur Une Nappe De Restaurant", einer interessanten musikalischen Mischung aus den Dead Kennedys und den B52's aufhorchen. Auch diese Band können wir uns guten Gewissens auf unseren 'Was machen die denn noch so?'-Merkzettel" setzen.
Zweifellos den Oberhammer auf "Punk Academy" stellen La Punky Family und "Est-ce Que Tu Viens Pour Les Vacances?" dar.
Man vermenge die Sugar Babes mit der Jugendfraktion der Kelly Family, fülle die Nasenlöcher der beteiligten SängerInnen mit Montageschaum und garniere das Ganze mit einer Priese Helium zum Inhalieren. Fertig sind die Teeny-Casting-Punks. Sollte diese Darbietung vielleicht auf einen anderen Sampler plaziert werden und wir halten jetzt eine wertvolle Fehlpressung in der Hand?
Peter et René (featuring Les Bad Kafard) beliefern uns mit relativ durchschnittlichen Standard, auf den man nicht weiter eingehen muss.
Den Soundtrack für den nächsten Tupper-Abend stellen The Unfinished Tupperwares mit ihrer gelungenen Spaßhymne "Le Petit Pain Au Chocolat" zur Verfügung. Zur fortgeschrittenen Stunde, begleitet von diversen Six-Packs, kauft man dann kritiklos das gesamte Plastiksortiment auf. Insiderkreise sollen diesen Hit bereits für die nächste Après-Ski-Veranstaltung am Feldberg nominiert haben, wenn sich die mit Jagertee überfüllten Teilnehmer die Skistöcke um die Ohren hauen. Das ist gelebter Punk.
Sid & Nancy und Vlad & Les Kosmic Foufounes runden zum Schluss "Punk Academy" ab. Zwei ansprechend gestaltete Songs, die sich nochmal von mancher durchschnittlichen Nummer abheben.
Fazit: "Punk Academy" bietet einen vielfältigen Querschnitt der französischen Punk- / Semi-Punk-Szene. Zu befürchten ist jedoch, dass es etliche gute und talentierte Garagenbands gibt, die es bedauerlicherweise nicht auf diesen Sampler geschafft haben.
Auch wenn ein großer Teil der Tracks eindeutig kommerziell ausgelegt ist, ragen Parabellum und Complètement deutlich heraus. Diese beiden Bands spielen den Punk glaubhaft, was sich in ihren Kompositionen widerspiegelt.
Als Partyscheibe taugt "Punk Academy" allemal, da verzeiht man dann auch die durchschnittlichen Beiträge. Gemischte Gefühle bleiben beim Hören trotzdem, lässt man dabei die 'alten Zeiten' Revue passieren...
Tracklist
01:Les Wampas: Où Sont Les Femmes?
02:John Lenine + The Swimming Bollocks: Rien Qu'Une Larme
03:The Punkles: Michelle
04:Kontingent Furax: Capri C'est Fini
05:Parabellum: Îlot Amsterdam
06:Cyclope: L'Hymne à L'Amour
07:Bibix & Les Punkachiens: Tata Yoyo
08:Plastic Bertrand: Bambino
09:Fuckin' Saddam: Nuit De Folie
10:Sex Bidochons: Maille Ouais (Parodie De My Way)
11:Oberkampf: Poupée De Cire (Live)
12:Complètement: Sur Une Nappe De Restaurant
13:La Punky Family: Est-ce Que Tu Viens Pour Les Vacances?
14:Peter Et René (featuring Les Bad Kafard): Besoin De Rien Envie De Toi
15:The Unfinished Tupperwares: Le Petit Pain Au Chocolat
16:Sid & Nancy: Les Gondoles à Venise
17:Vlad & Les Kosmic Foufounes: J'ai Encore Rêvé D'elle
Externe Links: