Crazy Horse
The Complete Reprise Recordings 1971-'73
The Complete Reprise Recordings 1971-'73
Einer der nachhaltigsten Einflüsse auf meine eigene musikalische Sozialisation kam 1970, als ich die ein Jahr zuvor erschiene "Everybody Knows This Is Nowhere" von Neil Young erstmals hörte. Und es war weniger Neils leicht quengeliger Gesang, sondern das Feuerwerk, das dahinter stand und seitdem in Millionen Gehirnen eingebrannt ist. Auf dem Cover deutlich zu lesen: 'Neil Young with Crazy Horse' und die Lauscher vernahmen einen bis dahin nie gehörten Sound mit einer Songfolge, die auch heute noch beeindruckt und aus der "Down By The River" als nie vergänglicher Titan heraussticht. Eine Inselplatte. Punktum.
Danny Whitten (g), Ralph Molina (dr) und Billy Talbot (b) waren schon seit Anfang der 60er musikalisch aktiv und gründeten später ihre Band Rockets, ihr Debütalbum erschien 1968. Nachdem Neil Young auf sie aufmerksam wurde und sie zu Jams einlud, stiegen die Jungs als Backing Band bei ihm ein und perfektionierten ihren Sound, der allerdings nach Youngs Vorgaben eher simpel gestrickt war. Es war auch Ol' Neil, der den Namen Crazy Horse einbrachte (benannt nach dem legendären Kämpfer, der 1876 an der Seite von 'Sitting Bull' die Schlacht am Little Big Horn River mitschlug). Als Folge lösten sie sich als Rockets auf.
Nach dem durchschlagendem Erfolg von "Everybody knows..." bestritt die Band eine ebenso erfolgreiche Tournee mit Young und ist auch auf dessen 1970er Epos "After The Goldrush" zu hören. Bei den Sessions lernten sie dann Jack Nitzsche (keyb) und den gerademal 17-jährigen Gitarristen Nils Lofgren kennen und man beschloss, zusammen zu jammen.
Crazy Horse First Album Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit entstand dann der überragende Erstling der Band. Der Klang war im Gegensatz zu ihrem rauen Sound bei Young viel ausgefeilter, auch rhythmisch zwingender und obwohl kommerziell nicht so richtig erfolgreich, leuchtet diese Platte seit ihrem Erscheinen hell über dem amerikanischen Musikgeschehen. Und das bis heute; vollkommen zu Recht übrigens, denn der Nachhall dieses einflussreichen Albums ist auf zahlreichen Neuerscheinungen im weiten Umfeld von 'Country Rock' immer noch deutlich vernehmbar. Hier reihte sich ein brillianter Einfall an den anderen.
Im Booklet wird auch klargestellt, was immer Anlass zu Spekulationen gab: Waren Nils Lofgren und Jack Nitzsche Mitglieder der Band? Ja, sagt hierzu Billy Talbot: "Wir probten als Band und wir nahmen [das Album] auf als Band". Nils Lofgren war ja bekannlich mit seiner eigenen Truppe Grin zu jener Zeit vertraglich anderweitig gebunden und zeigt sich auf gemeinsamen Bildern mit den anderen immer nur von seiner Rückseite. Verständlich, die 'Columbia'-Manager hätten ihm wohl die Hölle heißgemacht. Nun, damit scheint dies auch mal klargestellt.
Die Ausstattung dieser Doppel-CD im Digipack macht Freude. Das Booklet liefert neben der Geschichte der Band jede Menge Informationen, die sonst nirgends verfügbar waren bzw. sind. Hier schließt sich so manche Wissenslücke über diese außergewöhnliche Band. Schöne und bisher nie gesehene Photos runden den positiven Eindruck ab. Die künstlich angegilbten Ränder erzeugen ebenso ein Nostagiegefühl wie die in der typischen, gelbbraunen Farbe des Labels bedruckten CDs mit dem originalen und Anfang der 70er sattsam bekannten Logo samt dem Mississippi-Dampfer der mal von Frank Sinatra gegründeten Plattenfirma.
Die zunehmende und kaum mehr beherrschbare Drogensucht von Danny Whitten war schon für die Trennung von Neil Young verantwortlich und er konnte auch seine Position in Crazy Horse nicht halten. Man forderte ihn auf zu gehen, bis er seine Sucht abgeschüttelt hat, aber auf dem ersten Album (die ersten 11 Tracks auf CD 1 dieser Veröffentlichung) zieht er alle Register.
Ry Cooder wurde auf Nitzsches Empfehlung hin zu den Sessions eingeladen und er spielte auf drei Tracks seine unnachahmliche Slide-Gitarre (nachdem er gerade den Rolling Stones einige ihrer Songs mit seiner Kunst veredelt hatte). Sein Beitrag ist wieder mal Gänsehaut erzeugend; u.a. auf dem von Whitten geschriebenen und später durch Rod Stewart zu bekannten Ehren gekommene "I Don't Want To Talk About It", das 1975 auf dessen "Atlantic Crossing"-Album erschien. Im Crazy Horse-Original hat dieser Song aber dann doch eine Menge mehr Tiefgang als die eher seichte Soße, die der Schotte später anrühren ließ.
Die Qualität überrascht(e) auch dadurch, dass Mehrere in der Band ihre eigenen Songs einbrachten und das Ergebnis nichts weniger als eine musikalische Einheit darstellt. Selbst der Neil Young-Song ordnet sich perfekt in den Sound ein; keiner dieser Tracks erhebt sich über andere und gleichzeitig sind alle gleich hochwertig. Das macht ja wohl eine absolute Top-Platte aus, oder? Ob nun Nils Lofgrens bezwingender "Beggars Day" oder Jack Nitzsches "Crow Jane Lady" oder irgend ein anderer Song, dies ist alles aus einem Guss. Unvergesslich!
Crazy Horse/Loose Nach Danny Whittens mehr oder weniger erzwungenem Ausstieg wurde dann im Sommer 1972 das zweite Album "Loose" eingespielt. Und das hört man sofort: Hier trifft fast nichts mehr auf das vom ersten Album gesagte zu, zu bieder, zu mittelmäßig (und das ist noch eine beschönigende Beschreibung) im Vergleich zum Vorgänger, dies war nicht mehr die selbe Band, wenn auch noch mit dem selben Namen.
Der All Music Guide (AMG) fragt in diesem Zusammenhang: "Hätten Mick Jagger und Keith Richards die Rolling Stones verlassen und die Arbeit Bill Wyman und Charlie Watts überlassen, wären es dann noch die Rolling Stones?". Dem ist wohl nichts hinzuzufügen...denn hier trifft es auch zu! Ohne Whitten als Kopf, ohne Nils Lofgren, ohne Jack Nitzsche war dies leider eher einem Ausverkauf anmutende Angelegenheit. Klar - man hört mal eine schöne Slide - aber eben nicht die im Klangbild so souverän mittanzende von Ry Cooder.
Interessant ist dagegen die 2. CD hier, denn die wartet mit bisher unveröffentlichtem Material aus den Sessions der ersten Crazy Horse-Platte auf. Immerhin über 40 Minuten aus maßstabsetzenden Sessions, man kann gut mitverfolgen, wie sich zwei Songs aus einer Idee in das finale Statement entwickeln, das man bisher gekannt hat. Die anderen Mitschnitte bestehen aus Studio-Jamming im Entwicklungsstadium. Sicher nicht unbedingt notwendig, aber solche Einsichten in die Studioarbeit lang vergangener Tage sind ja mittlerweile en vogue und man nimmt es gerne mit.
Was bleibt als Fazit? Eine dicke Empfehlung! Denn das erste Crazy Horse-Album gehört in jeden Haushalt, der sich mit Rockmusik und vor allem ihrer Entwicklung beschäftigt. Natürlich würde es auch ausreichen, sich gezielt die erste Platte (zum Midprice) zu besorgen, aber wer auch zusätzlich noch auf audiophilen Gewinn Wert legt, wird wegen des deutlich höheren Überspielpegels bei reduziertem Rauschen und des verbesserten Klangs in Form von Dan Herschs Remastering dieser auch dokumentarisch überlegenen Veröffentlichung den Vorzug geben und tut gut daran.
Nachbetrachtung: Danny Whitten ist im November 1972 seiner Heroinsucht erlegen und sein Geistesbruder Neil Young hat ihm zu Ehren 1975 seine wohl düsterste Platte gewidmet - "Tonight's The Night" - aber trotz der von Trauigkeit durchzogenen Klänge war dies sicher ein weiteres Meisterwerk.
Die Band nahm unter eigenem Namen (auf anderen Labels) noch weitere Alben auf, die man aber vernachlässigen kann. Sie spielten seitdem auf einer Menge Neil Young-Platten und sorgten dort für dessen Sternstunden (z.B. 1975 auf "Zuma" mit seinem Hammersong "Cortez The Killer") und stehen bis heute immer wieder mal mit dem Giganten aus Kanada auf der Bühne. Immer dann, wenn er meint, aus einer Identitätskrise rauskommen zu müssen. Und immer ist das Ergebnis mehr als befriedigend. Das ist dann aber auch immer weniger Crazy Horse, sondern eben unverkennbar 'Neil Young with Crazy Horse' mit all seinen Konsequenzen.


Spielzeit: 120:03, Medium: Doppel-CD, Reprise Records, 2006
Disc 1: 1:Gone Dead Train 2:Dance,Dance,Dance 3:Look At All The Things 4:Beggars Day 5:I Don't Want To Talk About It 6:Downtown 7:Carolay 8:Dirty,Dirty 9:Nobody 10:I'll Get By 11:Crow Jane Lady 12:Hit And Run 13:Try 14:One Thing I Love 15:Move 16:All Alone Now 17:All The Little Things 18:Fair Weather Friend 19:You Won't Miss Me 20:Going Home 21:I Don't Believe It 22:Kind Of Woman 23:One Sided Love 24:And She Won't Blow Even Smoke In My Direction
Disc 2: 1:Dirty,Dirty (Alternate Version) 2:Scratchy (Takes 1-3) 3:Dear Song Singer 4:Downtown (Unedited Long Version) 5:Susie's Song (Takes 1-5) 6:When You Dance You Can Really Love 7:Radio Spot
Manni Hüther, 29.05.2006