Manch einer erinnert sich vielleicht an die Geschichte von Ernie, wo er Bert fragt, was denn seine Lieblingszahl sei. Sinngemäß sagt Bert, dass er die sechs am liebsten hat. Worauf Ernie erwidert, dass niemand die sechs als Lieblingszahl nehmen würde.
Einspruch! Ich auch, vor allen Dingen in Form der sechsten Veröffentlichung von Critical State. Wer oder was bitte? Ein seit 1994 bestehendes Quartett, kurzzeitig auch zum Trio geschrumpft, aus der Region Odenwald. Ach so, musikalische Hinterwäldler. Tja, wer so einfach denkt, und das möglicherweise bei jeder Band, die in Eigenregie veröffentlicht, der hat in diesem Fall was versäumt.
Eine Band, die relativ unbekannt ist, aus privaten Gründen nicht so oft durch die Lande ziehen kann und trotzdem seit 1997 musikalische Visitenkarten der besseren Art vorlegt. Critical State können dank des Status der nicht so weit gestreuten Bekanntheit und des gar nicht vorhandenen Interesses diverser Plattenfirmen ihr Ding ohne Sachzwänge durchziehen. Da muss nicht jede Veröffentlichung dem gleichen Strickmuster der vorherigen folgen, und daraus resultierend kann die Band ruhigen Gewissens immer wieder behaupten, dass die jeweils aktuelle CD die beste bisher veröffentlichte ist.
Die Grundzutaten sind immer gleich: Heavy Metal, leicht variiert in den Härtegraden. Hard Rock kann auch noch dazu gemischt werden und wie auch schon passiert, ein deutsch gesungener Titel darf auch sein. Somit ist die Vorfreude auf eine neue CD von Critical State auch gleichzeitig mit einer gewissen Skepsis verbunden. Was erwartet mich dieses Mal, gibt es noch eine Steigerung, wo könnte ich mit der ganz großen Kritikerkeule zuschlagen?
Da ich schon seit einiger Zeit nicht mehr zur schreibenden Zunft gehöre, war für mich die heutige Briefkastenleerung doch eine Überraschung: die neue CD von Critical State. Dass die noch an mich denken! Schnell ausgepackt und erst mal an dem Cover-Artwork hängengeblieben. Hm, passt irgendwie nicht zum Titel der CD. Nun ja, dass schicke DigiPak beiseite und die CD in den Schacht gelegt, kurz durchatmen und dann auf zum Hörangriff.
Neun Titel, zwischen sieben und fast knapp über 14 Minuten lang, muss die Band sich meinen kritischen Ohren stellen, eine seit 15 Jahren immer gleiche Prozedur. Was erwartet mich? Ist der erste Track der Auftakt zu weiteren vielversprechenden acht Ohrenschmeichlern oder lediglich so platziert, dass der Rezensent gleich voreingenommen ist? Mit dem Titelsong beginnt eine so nicht erwartete aber immer wieder überraschende Reise in die musikalische Wunderwelt der Band. Hatte ich die vorherige Veröffentlichung "Theater Of Pain" noch als die bisher reifste der Band bezeichnet, muss ich mein Geschreibsel von 2009 deutlich revidieren. Denn was hier und jetzt durch meine Kopfhörer donnert ist kein mit Mängeln behafteter Golf GTI, das ist ein Ferrari mit Extra-Tuning. In Gedanken sehe ich CS in Wacken vor 70.000 Zuschauern, die den Refrain von "Heart Of A Warrior" nicht mitgröhlen, sondern zelebrieren. Meine Güte, wie soll das weitergehen, wenn mir schon bei diesem Stück Freudentränen in den Augen stehen?
Wie ein solider Gusseisenblock stellt sich die Band auch im nachfolgenden "A Light In The Black" dar, kompakt, massiv, eine Einheit! Wer immer noch einen Grund sucht, Bands ohne große Lobby niederzumachen, wird im vorliegenden Fall keine Angriffsfläche finden. Auch wenn es einigen berufsmäßigen Beurteilern, die mehr Verurteiler sind, nicht schwerfallen wird, die Gesamtleistung einer Gruppe ohne Gewissensbisse niederzumachen, gibt es noch die Mehrheit derer, die ihrem gesunden Menschenverstand vertrauen und denen lege ich diese CD sehr nahe ans Herz. Critical State sind mit "Of Darkness And Fear" keine Nachtgespenster, die zu vorgerückter Stunde mit gruseligen Klängen alle aufrechten Bewahrer der schwermetallischen Wahrheitslehre zu Tode erschrecken. Dagegen sprechen Titel mit Haken und Ösen, mit Wiedererkennungswerten, ausgefeilter Perfektion, ohne steril zu wirken. Diese Band lebt, genauso wie ihre Vorstellung von Heavy Metal. Düster, langsam aber sicher steigernd, führe ich "From Hell" als weitere Hörprobe an. Um damit zum absoluten Höhepunkt zu kommen, "Crown Of Thorns Pt II-IV".
Bevor ich es vergesse, Teil 1 der 'Dornensaga' befindet sich auf "Mankind". In meiner frühesten Jugend muss mir wohl mal ein Stapel Genesis-LPs auf den Kopf gefallen sein - jedenfalls habe ich seit der Zeit ein Faible für überlange Titel. Obwohl das manchmal ein ganz schönes Ärgernis sein kann. Da nimmt sich eine Band vor, besonders kreativ zu sein und einen Titel mit mehr als den üblichen 3:30 Minuten Laufzeit aufzunehmen und was kommt dabei raus? Luft, krampfhaftes Versuchen, irgendwie über die Zeit zu kommen. Dass CS so ein überlanges Epos gekonnt über die Runden bringen, weiß ich seit "Street Symphony", und da waren es 17 Minuten und ein paar gequetschte. Hier sind es 'nur' 14:26 Minuten und die vergehen wie im Flug. Kein überflüssiges Gefrickel oder endloses Gitarrengegniedel - wie auch schon bei den vorherigen Tracks kommt auch dieser kompakt sowie ohne künstliches Füllmaterial über die Runden. Respekt!
Was bleibt als Fazit? Critical State haben sich mal wieder neu erfunden und ihre bisher härteste, aber auch gleichzeitig abwechslungsreichste Veröffentlichung vorgelegt. Wer Rage, Iced Earth, Brainstorm (mittlere Phase) oder Eternal Reign zu seinen Favoriten zählt, kann mit dem Kauf dieser CD nichts verkehrt machen. Produktionstechnisch ist das Klangbild druckvoll, nicht nur für eine Eigenleistung mehr als überzeugend. Ich kenne Majorveröffentlichungen, denen es an allem mangelt!
9,5 von 10 RockTimes-Uhren
Line-up:
Mathias Schattenfroh (vocals, acoustic guitars)
Oliver Baudisch (guitars, background vocals)
Stefan Lerchl (drums, background vocals)
Michael Frölich (bass, background vocals)
Tracklist |
01:Of Darkness And Fear
02:Heart Of A Warrior
03:Light In The Black
04:Hellfire
05:God Forgotten Child
06:From Hell
07:King Of Sadness
08:Shining Diamond
09:Crown Of Thorns Pt II-IV |
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