David Crosby schlendert auf die Bühne als würde er einen gemütlichen Berlin-Spaziergang machen, dabei zufällig in die Max-Schmeling-Halle hinein kommen und sich ansehen, wie es da drinnen ausschaut und was dort wohl passieren mag. Die Hände in den Hosentaschen, den Kopf in den Nacken geleg,t während ihm sein schlohweißes, langes Haar weit auf den Rücken fällt, blickt er wie ein neugieriger und erstaunter Tourist in die Ränge der Halle, um zu begutachten wie der Stand der Dinge ist. Noch unter dem lauten Jubel der Fans greift er sich den Mikrofonständer und beginnt völlig locker zu singen. Seine Weggefährten Stephen Stills und Graham Nash haben derweil ebenfalls ihre Plätze eingenommen, stimmen in den Gesang mit ein, während die Begleitband im Hintergrund gemächlich anfängt diese drei Dinosaurier der Woodstock-Ära musikalisch zu unterstützen.
Allerdings frage ich mich bereits vor der Halle und im Verlauf der dreistündigen Show, wo der Geist von Woodstock geblieben ist. Mir fällt lediglich ein Mann im gesetzten Alter auf, der mit langem ergrauten Haar und als einziger im Batik-Shirt mit Love and Peace-Aufdruck an diese Zeit erinnert. Niemand picknickt in der Halle auf dem Fußboden oder tanzt ausgelassen zu den Songs mit denen CSN die Herzen berühren. Der Innenraum ist bestuhlt, jeder sitzt in Reih und Glied, und bis mal einer den Mut hat, sich der Musik zu ergeben und aufzustehen, dauert es fast bis zur Zugabe. Die Musik ist wunderschön und herzergreifend, CSN sind grandios, ebenso wie ihre Begleitmusiker, nur ist es etwas traurig anzusehen, wie der Funke nicht so recht überspringen will. Zwar applaudiert das Publikum nach jedem Song viel und laut, aber gute Stimmung sieht für mich etwas anders aus.
David Crosby in seiner Erscheinung und seiner Ruhe ist die beeindruckendste Persönlichkeit an diesem Abend. Er ist einfach der Hingucker und der Sänger mit der schönsten Stimme. Oft leitet er die Songs ein und wird von Graham Nash unterstützt. Stephen Stills konzentriert sich hauptsächlich auf seine Gitarrenarbeit und liefert Soli ab, die einfach zum Dahinschmelzen sind. Sind seine Gitarre und seine Chorstimme nicht gewünscht, wandert er in den Hintergrund, oder lehnt sich gemütlich an die Orgel von Todd Caldwell, um die Situation zu beobachten.
Das Konzert besteht aus zwei Teilen mit fünfzehn Minuten Pause. CSN spielen in der ersten Session die bekanntesten Stücke ihrer Anfangszeit wie "Marrakesh Express", "Our House" und meinen persönlichen Favoriten "Chicago", mit dem dann auch der erste Teil endet. Fast jeder Titel wird von Crosby oder Nash erklärt, was zum Teil unnötig ist. Beide reden aber anscheinend sehr gerne mit dem Publikum, gehen dabei öfter auf persönliche Dinge ein, loben nebenbei die deutschen Frauen und lassen es sich auch nicht nehmen, die berühmten Kennedy-Worte »Ich bin ein Berliner« auszusprechen. Ebenso wird der erst vor kurzem in Berlin zu Besuch anwesende US-Präsident Obama
erwähnt. Allerdings sind das leider die einzigen politischen Äußerungen, die den ehemaligen Protestsängern über die Lippen kommen. Zwar spielen sie auf der Ost-Seite der Stadt, aber vielleicht ist ihnen nicht bewusst, dass hier deswegen niemand mehr verhaftet wird. CSN beschränken sich deshalb fast ausschließlich auf ihre Liebeslieder. 'Fast' deshalb, weil das Programm auch mit einigen sehr neuen Songs untermalt wird, die dann doch noch einige Missstände ansprechen. Bestes Beispiel dafür ist "Exit Zero". Das Stück ist ein kräftiger Blues und zählt für mich zu den Highlights des Abends. David Crosby erklärt, wie er die Autobahn in seiner Heimat entlang fährt und am Straßenrand die Öl-Raffinerien sieht, die sinnlos wertvolles Erdgas abfackeln und sich dadurch der Himmel glutrot, wie der Eingang zur Hölle verfärbt. Na endlich, denke ich mir, jetzt legt der große alte Mann los und redet und singt sich alles von der Leber, aber leider kommt von Crosby in dieser Hinsicht nichts mehr.
Ein weiterer neuer Titel im ersten Teil ist "Time I Have". Ebenfalls von Crosby intoniert, zeigt er bei seiner Einführungsrede dazu leichte Nervosität, wie er selbst sagt. Er wünsche sich, dass der Song beim Publikum gut ankommt und ihn niemand deshalb aus der Halle jagt. Er singt diesen alleine und begleitet sich nur mir der akustischen Gitarre. Wie nicht anders zu erwarten, landet er damit einen Volltreffer und sein Solo-Part ist damit abgehakt.
"Bluebird" wird gespielt, oder besser gesagt zelebriert. Die längste Nummer des Abends und die Show des Stephan Stills. Stimmlich finde ich ihn leider weniger gut. Er hat zwar, was zum mehrstimmigen Gesang notwendig ist, eine besondere Klangfarbe, aber es fehlt ihm deutlich an Volumen und Ausdrucksstärke. Dafür ist er heute der Gott an der elektrischen Gitarre. Erneut bringt er ein grandioses Solo, steht dabei ganz allein in der Mitte am Rand der Bühne und spielt sich fast die Finger blutig. Zum ersten Mal lässt sich das
Publikum zu Standing Ovations hinreißen. Er hat es an diesem Abend nicht nur einmal verdient. "Déjà Vu", der Titelsong des gleichnamigen Nummer Eins-Albums, wird ebenfalls extrem ausgedehnt. Graham Nash nutzt darin die Gelegenheit, die weiteren Musiker vorzustellen und ihnen je ein kleines Solo zu gewähren. Am Keybord hinter David Crosby agiert in der Band dessen Sohn James Raymond, der sich aber dezent im Hintergrund hält.
Die Pause nach dem ersten Block kommt an der passenden Stelle. "Chicago" ist verklungen und ich nutze die Möglichkeit, um alles noch einmal vor meinem geistigen Auge passieren zu lassen. Ich für meinen Teil bin bisher sehr zufrieden. Der Sound in der Halle ist beispielhaft gut, die Beleuchtung auf den Punkt genau und da es keine Effekte gibt, kann man sich voll auf die Musik und die drei Stimmen konzentrieren.
Der zweite Teil beginnt so unauffällig wie der erste. Gemächlich schlendern die drei Hauptakteure auf die Bühne, beginnen einfach zu singen und wandeln dabei erst einmal auf Country- und Western-Pfaden. Ohne die Keyboardspieler gibt es den Klassiker "Helplessly Hoping". Eine völlig neue Situation. So gar nicht passend zu den Titeln vor der Pause. Ich bin gespannt, wie der weitere Verlauf wird. "Teach Your Children", als Hymne für alle Lehrer und Lehrerinnen der Welt, bleibt in diesem Genre. Das sehr textsichere Publikum steigt locker in den Refrain ein und langsam kommt etwas Bewegung in die Menge. Graham Nash
übernimmt erneut die Ansage und kündigt "Treetop Flyer" an. Ein Stück, welches an den Ausflug des Matthias Rust zur Zeit des Kalten Krieges und während der Regierung von Boris Jelzin mit seinem Sportflugzeug auf den Roten Platz des Kremls in Moskau erinnert. Nash singt die Nummer auch und gibt damit kleine Einblicke in seine damalige politische Einstellung. Mir war diese bislang unbekannt und ich bin überrascht, das Rust damit ein kleines Denkmal gesetzt wird.
Nach diesem erneuten politischen Intermezzo wird es erst einmal etwas ruhiger, ja fast schon langweilig. A capella wird von Nash und Crosby ein Vers gesungen, der anscheinend allen im Saal völlig unbekannt vorkommt und das anschließende "Guinnevere" singen die zwei ebenfalls alleine, nun aber mit Gitarrenbegleitung. Schön ihre Stimmen zu hören, aber förderlich für die gute Laune ist diese Einlage leider nicht. Zum Glück ist diese Phase der Ruhe schnell beendet und die Drei sowie ihre Begleiter besinnen sich auf
druckvollere Musik. Jazz ist angesagt mit dem Jefferson Airplane-Cover "Triad". Sehr entspannt und angenehm zu hören, bevor CSN einen weiteren, neuen Song präsentieren. "Burnin' For The Buddha" über Glaubenswahn und dessen schlimme Folgen. Komponiert und gesungen von Graham Nash.
Theatralisch wird es bei "Cathedral". Die Männer an den Tasteninstrumenten legen vor und auch Nash bekommt ein drittes Keyboard, hinter dem er das Stück singt. Ein opulentes Werk, das schon fast in den Progressive Rock reicht. Auf dessen Fuß folgt ein weiteres Highlight, "Love The One You're With", einer der bekanntesten Titel, der auch hervorragend gespielt wird, allerdings das Publikum immer noch nicht mitreißt, was mir völlig unverständlich ist. Vielleicht zündet ja die anschließende Ballade "Almost Cut My Hair". Crosby singt und erhebt auch mal seine Stimme, um sein gewaltiges Volumen erklingen zu lassen. Ein grandioses Stück und für mich das beste im zweiten Teil, welches dazu noch von einem hinreißenden Gitarrensolo von Stephan Stills gekrönt wird. Endlich wird die Menge wach und
das kurz vor Schluss. Nachdem Crosby den letzten Titel des Hauptprogramms, "Wooden Ships" singt, der über den Vietnamkrieg handelt, erhält auch er endlich seine Standings und man sieht ihm deutlich an, wie er diesen Applaus genießt. Nash muss ihn förmlich von der Bühne ziehen, damit das Publikum genügend Zeit
bekommt, die leider einzige Zugabe zu fordern. "Suite: Judy Blue Eyes", ein Stück, das nie fehlen darf und die gescheiterte Beziehung zwischen Stephen Stills und Judy Collins beschreibt.
Selbstverständlich wird es ebenfalls gebührend honoriert, denn nun sitzt endlich niemand mehr wie festgenagelt auf seinem Stuhl.
Ich bin erfreut, erneut einen phänomenalen Konzertabend genossen zu haben. Um den Geist der Woodstockzeit verstehen zu können, bin ich leider zehn Jahre zu spät geboren, aber ich bin dankbar, diese Helden einmal erlebt zu haben. Crosby, Stills & Nash protestieren noch immer, und wer genau hingehört hat, kann sie verstehen, nur leider etwas leiser als sie es vor Jahrzehnten waren.
Danke an Janine Lerch für die Akkreditierung.
Line-up:
David Crosby (vocals, guitar)
Stephen Stills (vocals, guitar)
Graham Nash (vocals, guitar, keyboards)
Shane Fontayne (guitar)
Kevin McCormick (bass)
Steve DiStanislao (drums)
Todd Coldwell (keyboards)
James Raymond Crosby (keyboards)
Setliste Crosby, Stills & Nash:
01:Carry On/Questions
02:Marrakesh Express
03:Long Time Gone
04:Just A Song Before I Go
05:Southern Cross
06:Lay Me Down
07:Our House
08:Time I Have
09:Exit Zero
10:Bluebird
11:Déjá Vu
12:Chicago
13:Helplessly Hoping
14:Teach Your Children
15:Treetop Flyer
16:Guinnevere
17:Triad
18:Burnin' For The Buddha
19:Cathedral
20:Love The One You're With
21:Almost Cut My Hair
22:Wooden Ships
Encore:
23:Suite: Judy Blue Eyes
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