Ein würdiger Abschied in die Rente, oder … das Feld ist bestellt
Nein, nein, um sämtlichen Missverständnissen vorzubeugen, entgegen der sonstigen Gepflogenheit von Musikern jenseits der 60, ihre jeweils letzte Tournee überhaupt spielen zu wollen, ist darüber bei der diesjährigen Europa-Tour von Sir in spe Eric Clapton meines Wissens nichts kolportiert worden. Dabei hatte er doch bereits vor fünf Jahren durchblicken lassen, dass nun mit den aufreibenden Mammuttourneen Schluss sei. Stattdessen ging er drei Jahre später erneut auf große Tour, huldigte seinem musikalischen Helden Robert Johnson und bediente ansonsten sein heutiges Sekt & Kaviar - Publikum. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass allen Unkenrufen und nichts sagenden Weichspülalben zum Trotz, der ehemalige Gitarrengott der Swinging Sixties noch lebt und mit herrlich akzentuiertem wie ökonomisch geprägtem Saitenzauber zu begeistern weiß.
Und jetzt taucht der gute Mann gerade mal zwei Jahre später wieder auf, um u.a. auch seine deutschen Fans aus den bequemen Ohrensesseln zu bugsieren. Bei den derzeitig subtropischen Temperaturen ein wahrlich heroisches Unterfangen, zumal seine Generationskollegen von den rollenden Steinen just good old Germany besucht und den geneigten Ohrensesselrockern die letzten Penunzen aus den wohlbeleibten Rippen geleiert haben.
Folglich sind die diesjährigen Deutschlandtermine häufig nicht wirklich ausverkauft und ein lohnender Schwarzmarkt kommt erst recht nicht zustande.
Ganz im Gegenteil, als ich am 25.07. zum letzten Konzert in Deutschland vor der Hamburger Color Line Arena auftauche, werden einem die Karten von fliegenden Händlern und Privatleuten wie Sauerbier nur so um die Ohren gehauen. Ich muss dabei wirklich befürchten, dass das Event vor halbleeren Rängen ablaufen wird, zumal selbst Hamburg sich der allgemeinen Hitzewelle nicht entziehen kann.
Aber bereits bei der drei Minuten zu früh beginnenden Robert Cray Band zeichnet sich ab, dass doch eine ansatzweise Auslastung erreicht werden würde.
Apropos Robert Cray, dieser Mann ist im Zusammenhang mit Claptons Vita wahrlich kein Unbekannter, lieferte er doch bereits 1983 mit "Bad Influence" einen Song ab (und gleichnamiges Album), den EC drei Jahre später auf seinem Phil Collins-Tribute - Album "August" covern sollte, um fortan seit dem 10. Juli 1986, wo Clapton und Band in Montreux aufspielten, mit Robert Cray als Gast und u.a. Otis Rush auf dem Festival-Billing, häufiger mit ihm auf und neben der Bühne zusammenzuarbeiten. Dies lieferte in den späten 80er und frühen 90er Jahren genug Argumente, um die Robert Cray Band in den Focus der Öffentlichkeit zu bringen, was sich auch in ansehnlichen Plattenverkäufen widerspiegelte. Doch dann war plötzlich Feierabend, und in den letzten 10 Jahren ist es sehr ruhig um Robert Cray geworden, der in dieser Zeit auch den endgültigen Schwenk zum Soul-Blues vollzog, den er wie kaum ein Zweiter beherrscht.
Davon können wir uns auch in der Color Line Arena ein Bild machen, denn speziell in den souligen Momenten läuft Robert Cray zur absoluten Höchstform auf, der ansonsten mit einem sehr individuell geprägten Saitenspiel und einer gefühlvollen Stimme zu glänzen weiß. Aber richtig Schwung ins Publikum kommt erst bei "Bad Influence", wobei wahrscheinlich die meisten der Meinung sind, dass hier Robert Cray brav bei Eric Clapton gecovert hat. Tja, das ist der Welt Undank Lohn, aber immerhin heimst die Band am Ende ihres vierzigminütigen Sets verdienten Beifall ein, denn neben Cray kann vor allem Tastenmann Jim Pugh an der Orgel mehr als überzeugen.
Es folgt eine halbstündige (Umbau)Pause zum Frischluftholen, Getränkehaushalt regulieren oder unverschämt teure Merchandisingartikel ignorieren, bevor pünktlich um 21.10 Uhr eine komplette Fußballmannschaft (ja, ja, nach der WM ist vor der WM!) auf die Bühne schlurft.
Halten sich die sonst üblichen Bühneneffekte/Gimmicks/optische Spielereien bei EC immer in ganz engen Grenzen, so hat er diesmal beim Personal eindeutig geklotzt statt gekleckert!
Zwei zusätzliche Gitarristen, Rhythmusabteilung, zwei Tastenleute, zwei Backgrounddohlen und drei Mann Gebläse, da kann EC himself eigentlich nur noch den Trainer als zwölfter Mann geben.
Und ja, genau das macht er tatsächlich, von den ersten Tönen des Openers "Pretending" ("Journeyman", 1989) an wird vor allem eines deutlich - diese Mannschaft musiziert gänzlich anders und auf einem höheren Niveau, als es in den vorangegangenen Jahren der Fall war! Noch vor zwei Jahren hörte ich in Hannover mit ungeschützten und in Dortmund mit geschützten Ohren neben ECs Trademarkgitarre fast nur den Donnerhall der Steve Gadd - Drums, jetzt erlebe ich dagegen eine hocherfreuliche Überraschung. Denn mit der Rhythmusfraktion bestehend aus Willie Weeks am Tieftöner und Steve Jordan am Schlagwerk ist Clapton ein absoluter Glücksgriff gelungen. Hier swingt es regelrecht, federleicht, aber doch immer druckvoll, wenn es verlangt wird und genau so gefühlvoll, wenn es der Moment erfordert. Einerseits sehr unauffällig, aber doch immens rhythmisch, andererseits enorm effektiv und mannschaftsdienlich verrichten die beiden ihre Arbeit, dass es eine wahre Freude ist. Vor allem für die Ohren, denn obwohl es nicht wirklich leise in selbige tönt, ist der Sound für die schlechten Rahmenbedingungen (Eishockeyhalle, Mehrzweckarena = akustisches Desaster) erstaunlich gut und differenziert, lediglich die Kick Horns kommen insgesamt betrachtet zu kurz. Nichts überlagert etwas anderes, kein dumpfes Bass-Drum-Gedröhne, wirklich sehr angenehm.
Ansonsten macht die Band aus dem eher unspektakulären "Pretending" ein Gitarrenmonster, wo gleich mal alle drei Saitenakrobaten zeigen können, wo der Hammer hängt. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wird deutlich, warum EC diesmal gleich zwei weitere Gitarristen engagiert hat, beide einer deutlich jüngeren Generation angehörend und komplett grundverschieden in ihrem Spiel - er überreicht mit dieser Maßnahme quasi symbolisch den gitarristischen Stab und legt ihn in jüngere Hände, ohne es sich nehmen zu lassen, mit einem jeweils letzten Wort zu demonstrieren, dass nur einer klingen kann wie Eric Clapton, nämlich EC höchstpersönlich!
Vorher reißt Doyle Bramhall II lässig aggressiv und wie Weiland Hendrix mit links spielend die Saiten, tönt dabei herrlich rau, roh und energetisch, was der Veranstaltung sofort eine Prise Schmutz verpasst, während Derek Trucks, eher mit einem "singenden" Ton ausgestattet, mit dem Röhrchen am Finger und ohne Plektron über die Saiten slidet und furiose Grifffolgen vom Stapel lässt, die mich schon zu Beginn geradezu aus dem Sitz hauen. Aber es bleibt EC vorbehalten, mir eine Ganzkörpergänsepelle zu verpassen. So einen Ton hat wirklich nur einer und das wird unsterblich bleiben!
Es folgt sogleich "I Shot The Sheriff" ("461 Ocean Boulevard", 1974), einer der erfreulich wenigen Überschneidungen mit der Setlist von vor zwei Jahren. Auch hier beweist Eric, dass er nix verlernt hat, ganz im Gegenteil, sein Solo hat bei diesem Song durch die Reduzierung auf das Nötigste inzwischen eine Klasse, die es in früheren Zeiten so nicht gegeben hat.
Dann kommen wir in den Genuss des ersten absoluten Highlights der Veranstaltung, "Got To Get Better In A Little While" aus seligen Derek & The Dominos Tagen, und diese Interpretation reißt mich wahrlich vom Hocker. Insbesondere Derek Trucks legt ein Solo hin, dass mir die Ohren wegfliegen. Im Prinzip für mich keine große Überraschung mehr, aber das Milchgesicht scheint immer mehr das Rocken zu lernen.
Diese ersten drei Songs werden übrigens ohne jede Pause oder Ansage dazwischen gespielt, greifen dabei geradezu wie Zahnräder ineinander über und vermitteln damit eine ungeheure Dynamik, die ich so nie und nimmer erwartet hätte.
Interaktion mit dem Publikum? Fehlanzeige. Das ist nicht die Welt des Herrn Clapton. Was zählt ist die Musik und nach diesem furiosen Auftakt folgt gleich das nächste absolute Highlight, nämlich "Old Love" ("Journeyman", 1989), inzwischen auch schon siebzehn Jahre alt und ohrenscheinlich immer besser werdend, denn was die Band zuzüglich des Co-Schreibers Robert Cray hier in zehn Minuten aus dem Song kitzelt, ist nicht weniger als Weltklasse. Alle bis auf die Rhythmusfraktion und das Gebläse bekommen hier ihr Spotlight und EC beweist eindrucksvoll, warum er auch unter der Bezeichnung 'Slowhand' bekannt ist. Gepaart mit seinem inzwischen geradezu beseelten Gesang mutiert diese Nummer zum absoluten Emotionserlebnis und mir stehen plötzlich ein paar Tränen in den Augen.
Überhaupt, gerade weil Clapton an der Gitarre jede Menge Unterstützung erhält, kann er sich mehr als sonst auf den Gesang konzentrieren, und das zahlt sich hörbar aus. Nun folgt ein von mir noch nie live erlebtes "Everybody Oughta Make A Change" ("Money & Cigarettes", 1983), um direkt in ein für mich ebenfalls als Live-Premiere stattfindendes "Motherless Children" ("461 Ocean Boulevard", 1974) zu münden, wobei sich in diesem Fall Clapton das Röhrchen über den Finger stülpt und veritabel über die Saiten slidet. Ich fühle mich tatsächlich in die frühen Siebziger zurückversetzt, ohne diese musikalisch bewusst erlebt zu haben.
Dann kommt der längst obligatorisch gewordene Akustikblock. Hektisch werden diverse Hocker auf die Bühne gestellt, kein langes Stimmen der Instrumente, ratz fatz geht es weiter, jeder Griff sitzt. Eric widmet den nun folgenden Song seiner Familie und es lässt sich unschwer erahnen, um welchen es sich handelt - natürlich um "Back Home", Titelsong des aktuellen Longplayers und Tour-Namensgeber. Es sollte übrigens die einzige Kostprobe des gleichnamigen Albums bleiben, welches sich durch diverse gut klingende, gleichwohl katastrophal steril und leblos produzierte Soul- und Reggaepopklänge "auszeichnet".
Nach diesem netten Liedchen, gespielt im Schaukelstuhl auf der heimischen Veranda im Geiste, ertönt ein fantastisch eindringliches "I Am Yours" ("Layla And Other Assorted Love Songs", 1970), wo mir vor allem Derek Trucks mit seinem emotionalen Slidespiel einen wohligen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. Bei geschlossenen Augen sehe ich unweigerlich den seligen Duane Allman vor mir, dessen trommelnder Bandkollege Butch Trucks der Onkel von Derek ist, der seinen Namen wiederum angeblich dem Layla-Album und der selbiges einspielenden Combo Derek & The Dominos verdankt.
Vom gleichen Album stammt auch das folgende "Nobody Knows You When You're Down And Out", wiederum mit einem exquisiten Derek Trucks und superbem Fingerpicking von EC. Aber die Krönung ist das anschließende "Running On Faith" ("Journeyman", 1989), immer schon ein Klassesong mit Gospeltouch gewesen, nun aber in einer überirdisch guten, gefühlvollen, finessenreichen und inspirierten Version interpretiert. Erstmals machen auch die beiden Backgroundgirls Michelle John und Sharon White wirklich Sinn.
Blitzschnell verschwinden jetzt die Hocker und ehe wir uns versehen, knallt uns ein mächtig rockendes "After Midnight" ("Eric Clapton", 1970) um die Ohren. Aha, wir sind im Schlussdrittel und nun wird richtig Gas gegeben. Clapton mutiert dabei mehr und mehr zu einem veritablen Shouter, mithin als Sänger meines Erachtens nach wie vor unterschätzt.
Einmal in Fahrt, folgt ein grandioses "Little Queen Of Spades" ("Me & Mr Johnson", 2004), wo mich vor allem Doyle Bramhall II an einer Gibson Les Paul und harschen wie gleichzeitig virtuosen Läufen, sowie einmal mehr Derek Trucks überzeugen können, der ein Solo hinlegt, das Jörg-Peter Klotz in seinem Konzertartikel für den Mannheimer Morgen vom 25.07.2006 zu folgenden Worten hinreißen lässt:
»Sein Solo bei "Little Queen Of Spades" konnte einem das Herz filettieren, tiefgefrieren und durch die Mikrowelle jagen - der emotionalste Moment in einem der größten Konzerte der jungen Geschichte der SAP Arena.«
Nun jagt tatsächlich ein Highlight das nächste, denn im direkten Anschluss geht das Stück fast nahtlos in "Further On Up The Road" ("EC Was Here", 1975) über, wo wiederum vor allem die Youngster die entscheidenden Akzente setzen können. So kommt dieser in den letzten Jahren extrem selten bis gar nicht gespielte Klassiker frisch und unverbraucht über die Rampe.
Konsequenterweise streut Clapton jetzt einen Tempoblocker in Gestalt seines Schmachtfetzens "Wonderful Tonight" ("Slowhand", 1977) ein, erfreulich kurz und bündig gehalten und mit einer wahrhaften 'Slowhand'-Gitarre gespielt, bei der ihm wirklich niemand das Wasser reichen kann.
Le grande finale, das majestätische "Layla" ("Layla And Other Assorted Love Songs", 1970) in seiner elektrischen Originalvariante pustet uns mit ungeahnter Kraft und Power entgegen, Clapton shoutet sich die Seele aus dem Leib, von seinen beiden Junggitarristen kongenial begleitet … wieder legt sich ein Hauch von seligen Derek & The Dominos - Zeiten über die unpersönliche Arena. Und das ruhige, stimmungsvolle Outro dieses Songs habe ich in definitiv noch keiner Fassung mit solcher Brillanz gehört!
Aber um ja keine Melancholie aufkommen zu lassen, donnert uns direkt danach ein weiterer 'Crowdpleaser' namens "Cocaine" ("Slowhand", 1977) entgegen, den ich noch nie mit einer solchen Schärfe, Wucht und Dynamik gehört habe. Hier zeigt sich im Vergleich endgültig, welch überragende Band Eric Clapton diesmal zusammengestellt hat.
Leider nähert sich jetzt rasant der Schluss, EC ist in den letzten Jahren nie der Mann für große Überraschungen (von Bandbesetzungen einmal abgesehen) gewesen, so dass mit dem absoluten Klassiker "Crossroads" ("Wheels Of Fire" - Cream, 1968) unter abermaliger Mitwirkung von Robert Cray die einzige Zugabe gespielt wird, wiederum in einer einzigartigen Interpretation und daher neben der definitiven Cream-Fassung durchaus mit einer Daseinsberechtigung.
Was bleibt?
Ich habe erstaunliche hundertzwanzig Minuten Live-Musik genossen, die quasi zu keinem Zeitpunkt langweilig waren und ein relativ bunt gemischtes Programm boten.
Die Musiker haben alle durch die Bank mehr als überzeugt, wobei insbesondere Derek Trucks und die Rhythmusfraktion hervorstechen konnten. Der E-Piano Veteran und langjährige Weggefährte Claptons, Chris Stainton, präsentierte häufiger als in der Vergangenheit sein Können und sein Tastenkollege Tim Carmon durfte leider nur einmal den Billy Preston - Gedächtnispart spielen. Ansonsten präsentierte sich Eric Clapton in einer sehr guten und aufgeräumten Verfassung, mit sich und der Welt im Reinen, gewährte seinen Mitstreitern entsprechend viel Raum, ohne es sich nehmen zu lassen, die entscheidenden Akzente selbst zu setzen
Die Tatsache, dass fast gar kein Neumaterial präsentiert wurde und der Schwerpunkt eindeutig in den Siebzigern lag, untermauert allerdings meine eingangs in der Überschrift aufgestellte These - Eric Clapton könnte nun erhobenen Hauptes in die wohlverdiente Rente gehen, er braucht sich und uns nichts mehr zu beweisen und weiß eine neue Generation hinter sich, die sein Erbe sehr wohl weiter tragen und fortentwickeln kann. Und wer weiß, vielleicht kann er ja bei den Youngstern das ein oder andere Mal vorbeischauen und die Finger wieder locker spielen. Schließlich will seine Frau vermutlich nicht ganz alleine die diversen Windeln des Nachwuchses wechseln.
Welcome Back Home, Eric!
Setlist:
01. Pretending
02. I Shot The Sheriff
03. Got To Get Better In A Little While
04. Old Love (mit Robert Cray)
05. Everybody Oughta Make A Change
06. Motherless Children
07. Back Home (akustisch) *
08. I Am Yours **
09. Nobody Knows You When You're Down And Out **
10. Running On Faith **
11. After Midnight
12. Little Queen Of Spades
13. Further On Up The Road
14. Wonderful Tonight
15. Layla
16. Cocaine
17. Crossroads (mit Robert Cray)
* Song vom neuen Album "Back Home"
** elektrisch & akustisch
Eric Clapton, Support: Robert Cray Band / Live 2006, 25.07.06,
Color Line Arena, Hamburg
Olaf "Olli" Oetken, 06.08.2006, Fotos: © Ralf Bender
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