Wanted! Dead or Alive! Jesse Clark - auf diese Weise hätte der Rezensent liebend gerne den amerikanischen Singer/Songwriter steckbrieflich suchen lassen, der rund drei Jahre nach der Veröffentlichung Rezensionsexemplare seines Erstlings an Musikmagazine verschickt, um dann fast völlig abzutauchen. "James Bond" mag seine Freude an solchen Vexierspielchen haben - wer aber einfach nur ein paar Infos über einen Künstler sucht, dessen CD man gerne dem geneigten Lesepublikum vorstellen möchte, kann leicht die Nerven verlieren.
Erst mal sieht alles noch ganz gut aus: Die CD-Hülle des Promo-Exemplars weist eine MySpace-Adresse auf… nach erfolgreichem Anklicken dieser Webpräsenz findet man dort nur Gejammer über das umständliche Handling der Seite und einen Verweis »Find me on Facebook!« - nächster Versuch beim Gesichtsbuch… absolut nichtssagend - eine Geburtsurkunde enthält mehr Infos. Wochen später: Doch ein paar Einträge bei MySpace. Der Rezensent kann den engagierten Detektiven, Sheriffs und Geheimdienstlern jetzt immerhin die Info geben, dass Jesse Clark in Oklahoma beheimatet ist und, wohl in jugendlichem Leichtsinn, dem Rat einer bekannten Discogruppe gefolgt war, "In The Navy" zu dienen… und außerdem ein weiteres Album mit Bandunterstützung plant.
Das war's dann auch schon mit brauchbaren Angaben über den Künstler und vielleicht sollte man ihn auch unter "Akte X" ablegen, denn selbst seine Record Company schweigt sich beharrlich über ihn aus… vielleicht ist er gar ein Außerirdischer und aufgrund seiner interstellaren UFO-Expeditionen nicht greifbar?
Denn, genau so schwierig, wie seine Lebensdaten usw. zu eruieren, ist es, irgendwo an seine Musik heranzukommen: Er ist bei keinem der gängigen CD-Versände oder einem namhaften Download-Shop gelistet - es bleibt also nur der Direktkontakt zur Plattenfirma!
Viel Spaß, falls das Erwerben des Tonträgers ebenso aufregend wird wie die Jagd auf den singenden Flüchtigen selbst.
Warum aber hat sich der Rezensent monatelang die Arbeit gemacht, Infos zu finden, den Mann aufzuspüren, anstatt einfach das Promo-Exemplar in die Tonne zu kloppen? Ganz einfach: "Live & Solo" ist durchaus ein schönes Album, dem man auch Erfolg wünscht. Der Titel der CD ist tatsächlich programmatisch zu verstehen: Ein Mann, eine Gitarre und eine folktypische Stimme. Onkel Dylan mag, nach einem Workshop 'Sing like Bruce Springsteen', durchaus Pate gestanden haben für die Stücke, die wirklich live eingespielt sind - allerdings ohne Publikum.
Sollte die Ankündigung des Konzerts ebenfalls so geschickt gelaufen sein, wie das sonstige Marketing von Jesse Clark, ist es kein Wunder, dass niemand klatscht - es war einfach niemand da. Höchstwahrscheinlich hat der Gitarrist und Sänger noch selbst die Regler der Anlage bedient.
Die Songs sind allesamt Geschichten aus dem Alltag - traurige und melancholische Stories von Liebe, Freundschaft und dem Alltag in Amerika. Hier und da kleine Reminiszenzen an bekannte Songs - so gleicht ein Intro verblüffend dem von Wish You Were Here - aber Clarks Stücke weisen durchaus eigenes Profil auf. Die Gitarrentechnik ist schlicht, aber nicht primitiv. Vielmehr unterstützt sie die Texte und Geschichten durchaus treffend.
Dass die Grundstimmung eher melancholisch und die 'Helden' der erzählten Begebenheiten eher Loser sind, gehört zum Genre - und verwundert nicht, wenn man das ganze Drumherum diesr Veröffentlichung betrachtet.
Aber, da die Songs wirklich schön zu hören sind, streiche ich wenigstens das 'Dead or' aus dem Steckbrief und würde mich freuen, Herrn Clark tatsächlich mal 'Alive' zu erleben - vielleicht noch mit zwei, drei weiteren Zuhörern im Raum.
Line-up:
Jesse Clark: (guitar, vocals, songwriting)
Tracklist |
01:Ghetto (2:29)
02:Crawl (2:56)
03:Unperfection (3:03)
04:The Woman In You (3:00)
05:Nashville (3:21)
06:Far From Front Page (1:40)
07:I'll Hold You (3:54)
08:Michelle (2:53)
09:California (2:21)
10:Mail Call (3:19)
11:I Will (2:26)
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