Joe Cocker, die leibhaftige Windmühle mit der großen, verrosteten, tiefschwarzen(?) R&B - Röhre, wer kennt ihn nicht?
So schrieb doch einst die führende Popularmusikpostille 'Rolling Stone':"... der lebende Beweis, dass man aus Sheffield kommen und trotzdem wie ein Schwarzer aus Mississippi singen kann ..." (aus Graves, Schmidt-Joos, Halbscheffel:'Das neue Rocklexikon 1', 'Rowohlt', Ausgabe 1998).
Und sein Landsmann und Peer-Group - Kollege Eric Clapton formulierte gar: "The most gifted singer England has ever produced" (aus dem DVD-Booklet).
Aber an John Robert Cocker schieden und scheiden sich immer noch die Geister.
Was vermutlich mit seiner wechselvollen, mit vielen Brüchen versehenden Gesamtkarriere zu tun hat, die nicht immer (musikalische) Highlights hervorbrachte.
Ganz im Gegenteil, Joe Cocker gehört heutzutage zu den überlebenden 'Rockdinosauriern', die mehrfach künstlerisch wie gesundheitlich auf der Kippe standen und mittlerweile doch ihren Frieden gefunden haben. Und so klingen sie dann auch, sofern neue Plattenproduktionen in Angriff genommen werden. Da macht der 'alte' Joe keine Ausnahme. Eben ausgesprochen sophisticated!
Nun, da mag der wahre Rockfan etwas verächtlich mit der Nase rümpfen, es gibt ja schließlich auch Ton- und Bilddokumente aus Zeiten, die so rein gar nicht sophisticated für Joe Cocker waren.
Für den Rezensenten etwas überraschend gehört auch Joe Cocker's Premiere beim prestigereichen 'Montreux-Jazz-Festival' im Jahre 1987 dazu, also in Zeiten, wo ich persönlich den guten Mann bereits im sicheren Hafen des finanziell segensreichen Mainstream wähnte. Immerhin hatte er wenige Jahre zuvor im Duett mit Jennifer Warnes mit dem Soundtrack-Beitrag (aus 'An Officer And A Gentleman') "Up Where We Belong" grammykompatibel abgeräumt und uns damaligen Jungspunden im 1986er Aufreger "9 ½ Weeks" die heiße Kim Basinger Stripnummer "You Can Leave Your Hat On" (im Original von Randy Newman) in coolster 80ies Ästhetik beschert.
Zudem kam im April 1986 das Album "Cocker" raus, welches neben besagter Stripnummer auch für damalige Zeiten modern produzierte Schlachtrösser wie "Shelter Me", aufgemotzte Balladen wie "Don't You Love Me Anymore" oder klassische Soul(rock)-Tunes wie Marvin Gaye's "Inner City Blues" abwarf.
Nur, es gab und gibt meines Wissens nicht so wahnsinnig viele Live-Dokumente aus dieser Zeit, und an der Stelle kommt die hier zu besprechende DVD aus der 'Live At Montreux' - Reihe ins Spiel.
Tatsächlich war Joe Cocker damals noch nicht über den Berg, befand sich aber immerhin auf einem guten Wege, ohne seine einmalige Intensität verloren zu haben (im Gegensatz zu heute).
Der hier dokumentierte Auftritt Cocker's besticht dabei durch eine gelungene Mischung aus 'Sophisticated-Tunes' und richtigen Vulkanausbrüchen, die bei mir eine Gänsepelle nach der anderen verursachen.
Und das Programm zeichnet sich durch eine exquisite Songauswahl aus, wie ich sie persönlicher leider nie live erleben durfte.
Eröffnet wird der Reigen durch die geschmackvolle Interpretation von Dylan's "Dear Landlord", woran sich das sexy "You Can Leave Your Hat On" anschließt. Leider ohne Strip, aber damals gab es noch keine Videoleinwände für eventuelle optische Einspielungen. Und einen nackten Joe Cocker hätte gewiss niemand sehen wollen, obwohl er damals schließlich 'erst' 43 Lenze zählte. Aber die vergleichsweise sehr gute Bildqualität bringt es an den Tag - der Zahn der Zeit hatte früh zu nagen begonnen!
Es folgt der unverwüstliche Dave Mason Stomper "Feelin' Alright" von Cocker's 1969er Debütalbum "With A Little Help From My Friends".
Dann kommt der 1984er Minihit "Civilized Man" vom gleichnamigen Album, wie so häufig dem Protagonisten perfekt auf den Leib geschrieben.
Nun beginnt ein ziemlich ruhiger, nichtsdestotrotz intensiver, erstaunlich schlackefreier Teil des Konzerts. Besagtes "Inner City Blues" mit hypnotischem Bass, Jimmy Webb's emotionales "Just Like Always" und das ebenfalls schon angesprochene "Up Where We Belong", hier in einer wesentlich erdigeren, Gospel angehauchten Version, was sicherlich auch den beiden sehr guten Backingsängerinnen Janice Hughes und Maxine Green zu verdanken ist, die allerdings für meinen Geschmack über das gesamte Konzert 'zu laut' abgemischt sind, so dass sie manchmal zu dominierend aus dem Gesamtsound hervorstechen.
Danach wird die Dramaturgie gewechselt. Dylan's "Seven Days", bei Cocker erstmals auf dem zu Recht hochgelobten 1982er Comebackalbum (das wievielte Comeback war das eigentlich?) "Sheffield Steel" vertreten, rockt gewaltig und gibt der superben, vergleichsweise jungen Band, Cliff Goodwin (Gitarre), Eric Parker (Schlagzeug), John Troy (Bass), Larry Marshall (Orgel und Keyboards), Charles Girodano (Piano) und Ric Cunningham (Saxophon und Keyboards), mal so richtig die Gelegenheit, sich (immer noch kontrolliert) auszutoben.
Joe begleitet das Ganze mit einem geradezu 'kauenden', beißend giftigen Shouting, wobei er seinen seit Woodstock erprobten 'Urschrei' ausgiebig kultiviert.
Natürlich sind 18 Jahre nach Woodstock und seinen Achterbahnfahrten Brüche in der Stimme, aber Joe Cocker fightet sich bemerkenswert souverän durchs Programm.
So ertönt anschließend das schmissige "Shelter Me", deutlich schlanker und somit zeitloser als auf dem 1986 "Cocker" - Album, allerdings nur als Ouvertüre für den Cocker - Song schlechthin, "With A Little Help From My Friends", obwohl das ja ursprünglich ein Lennon/McCartney Song für 'the little drummer boy' Ringo Starr war. Ein in der Interpretation von Joe Cocker bis heute unsterbliches Stück und natürlich auch in Montreux eins von zwei absoluten Highlights.
Jetzt folgt wieder ein radikaler dramaturgischer Bruch und Joe interpretiert eine absolut emotionale, geradezu fragile Version seines 1974er US-Top 5 Hits "You Are So Beautiful".
Um dem Ganzen aber die Krone aufzusetzen, haben sich Joe Cocker und seine Mannen noch einen richtig wirkungsvollen Pfeil im Köcher aufbewahrt.
Denn nun wird der endgültige Beweis angetreten, weshalb auch Joe Cocker unbedingt auf das 'Montreux-Jazz-Festival' gehört.
Flugs betreten Mr. Harp-(Blues)Legende James Cotton und seine damalige Band die Cockersche Bühne und intonieren mit allen zusammen ein denkwürdiges "Watching The River Flow". Wiedereinmal ein Dylan - Song und weiterer Beleg dafür, welch fantastische Vorlagen dieser Mann der (Musik)Welt geliefert hat.
Joe Cocker und alle anderen Beteiligten treten wiederum den Beweis an, was aus solchen Vorlagen alles herauszuholen ist! Ein Fest in Blues, ich tanze schier auf meinem kaputten Sofa.
Danach kann eigentlich nur noch ein seelenvoller Rausschmeißer kommen und ich werde nicht enttäuscht, denn ein längst tropfnasser Joe Cocker stimmt, lediglich vom Piano begleitet, Randy Newman's "Guilty" an, was mir in dieser Situation fast die Tränen in die Augen treibt.
Da kann ich nur abschließend das Resümee ziehen, dass sich meinetwegen an dem Künstler Joe Cocker die Geister scheiden mögen, an dieser DVD gibt es aber nichts zu 'scheiden', sie ist Dokument einer unbestreitbar großen Persönlichkeit des (Rock)Business und verdient sich daher, nicht zuletzt durch einen fantastisch transparenten, luftigen, ursprünglichen und realistischen Sound (PCM Stereo) großartige 8 RockTimes Uhren.
Warum nicht die volle Punktzahl 10?
Die Gesamtspielzeit beträgt für das Medium bescheidene 73 Minuten und es gibt absolut keine Extras!
Technik:
Screen Format 4:3
DTS Digital Surround Sound
Dolby Surround 5.1
PCM Stereo
XBOX Compatible
PS2 Compatible
Spielzeit: 73:00, Medium: DVD, Eagle Vision, 2005
1:Dear Landlord 2:You Can Leave Your Hat On 3:Feelin' Alright 4:Civilized Man 5:Inner City Blues 6:Just Like Always 7:Up Were We Belong 8:Seven Days 9:Shelter Me 10:With A Little Help From My Friends 11:You Are So Beautiful 12:Watching The River Flow 13:Guilty
Olaf "Olli" Oetken, 22.08.2005
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