John Coltrane spielte viele Jahre mit dem Schlagzeuger Elvin Jones zusammen.
So war es fast naheliegend, dass dieser Ravi Coltrane den zweiten Sohn von John und Alice Coltrane in seine Band aufnahm. Ich hatte das Glück, die Jazz Machine des Drummers im Jahre 1991 live zu erleben, mit Ravi als Mitglied. Natürlich waren alle im Publikum gespannt auf das, was man vom Sprössling des großen Meisters geboten bekäme. Sicher ist es nicht einfach, einen großen Namen zu tragen, zumal dann die Erwartungshaltung sehr hoch gesteckt ist. Nun, gleich vorweg, die Erwartung wurde nicht vollends erfüllt. Ich erinnere mich an einen zaghaften Musiker und es schien, als wolle er alles im Vortrag vermeiden, was irgendwie an seinen Vater erinnern könnte. So wirkte er für mich mitunter gehemmt und nur selten brach es aus ihm heraus - er schien offensichtlich auf der Suche zu sein. Hinzu kam, dass in der Band noch Sonny Fortune als weiterer Saxofonist eingesetzt war und dieser das Ruder klar an sich riss. Ravi spielte keineswegs schlecht, doch wirkte er mitunter wie mit einer Ladehemmung behaftet.
Mittlerweile hat der am 6. August 1965 Geborene mit diesem Debüt für Blue Note Records sein sechstes Soloalbum veröffentlicht und ein Profil gefunden.
Die Zeit mit Elvin Jones, mit M-Base und Steve Coleman führte zur Ausprägung seiner individuellen Entwicklung. So zögerte er zwischenzeitlich auch nicht, Einflüsse seines Vaters einfließen zu lassen, und zeichnete sich durch die Suche nach neuen Ideen und Klangvorstellungen, Ausprägungen des Stils aus, die auf Tradition fußend, stets eine Erforschung der Zukunft beinhaltete. Das ehemals von mir als 'zaghaft' Interpretierte ist immer noch vorhanden und genau das trägt für mich Spuren der Spiritualität seines Vaters, mit jener Art Coolness vorgetragen, die als modaler Jazz eingestuft wird.
Auch ist Ravi Coltrane im Gruppenspiel freier geworden, wie z. B. die Ausgestaltung des Eröffnungstitels beweist. Improvisatorische Freiheit bestimmt hier die Musik, wie auch bei weiteren Titeln der CD. E.J. Strickland am Schlagzeug bewegt sich in Richtung Paul Motian und lässt den Rhythmus schweben. Leichte Fusion-Elemente bestimmen bereits den zweiten Titel. Der Trompeter Ralph Alessi bestimmt mit kraftvollem und einfallsreichem Solo einen großen Teil des Stückes. Hier ist es nun der Schlagzeuger Eric Harland, der federnd-elastische Elemente einbringt und die Musik unterschiedlich antreibt. So bietet er den Solisten viel Freiraum, wobei er gleichzeitig mit dem jeweiligen Soloinstrumentalisten kommuniziert und ein gemeinsames, dichtes Spiel voller Ideenreichtum zu hören ist, so dass dem Musikfreund stets viel Abwechslung geboten wird - das ist schon sehr hochklassig! Sein Vater hatte einst eine einzige Platte für Blue Note aufgenommen ("Blue Train"). Ich hoffe, Ravi wird das Potenzial des Labels nutzen und seine persönliche Entwicklung hier fortsetzen.
Doch weiter mit dieser Platte. Eine sehr schöne Ballade wird uns mit "The Change, My Girl" geboten. Die Musik schwebt dahin und die Musiker schaffen auf dieser Basis eine angenehm leicht beschwingte Atmosphäre, die es vermag, dem Balladenkontext neues, frisches Leben einzuhauchen. Denn in dieser Ruhe liegt durchaus eine Spannung, die Aufmerksamkeit erfordert, ohne aufzuregen. Schöne Momente sind es, die die Ecken und Kanten ausmachen und 'abgerundet' auf diesem Wolkenteppich der Sanftheit erscheinen. Es sind keine Experimente, die diese Musik bestimmen, vielmehr bewerkstelligen es die Musiker, einfach nur in die Tiefe zu gehen, zwischen den Zeilen zu lesen, Entdeckung in eine andere Richtung zu treiben - sagen wir einmal: Eindringen in das, was wir vielleicht bereits als Endzustand ansehen. Hier scheint gar nicht einmal die jeweilige Komposition im Vordergrund zu stehen. Ich empfinde es eher so, dass die Komposition aus den Augenblicken, aus den miteinander sich verflechtenden Ideen entsteht. Das macht die Dichte aus, das traumhafte Verständnis zwischen Musikern, ohne darauf zu schielen, Höchstleistungen zu erzielen. Hier geht es nicht um 'höher, schneller, weiter', hier spüre ich Verständnis und Kommunikation - Dinge, an denen es in unserer Gesellschaft immens mangelt. Diese Musik ist exemplarisch für eine positive Ausrichtung.
Zwei Titel werden von Joe Lovano, der auch co-produzierte, mit seinem Tenorsaxofon unterstützt. So ergänzen sich die beiden Tenoristen und schaffen gemeinsam zusätzliche Farbtupfer, wobei auf "Fantasm" nur noch die Pianistin Geri Allen die beiden begleitet. Ich war eigentlich nie ein Freund der Spielweise der Dame, zumindest in den letzten Jahren, doch auf dieser Platte hat sie m. E. an Strahlkraft zugelegt. Einen Höhepunkt stellt für mich der Titel "Spring & Hudson" dar - ein Duett zwischen Tenorsaxofon und Schlagzeug, das vor Spielfreude strotzt und leider viel zu kurz ist. Wie wäre es mit einer ganzen CD in dieser Besetzung?
Nun denn, aber auch so bin ich zufrieden mit einer Musik, die zu begeistern weiß und ein Zeugnis über den hohen Stellenwert des heutigen modernen Jazz ablegt. Bravo!
Line-up:
Ravi Coltrane (soprano sax, tenor sax)
Joe Lovano (tenor sax - #9,10)
Luis Perdomo (piano - #1,3,4,7,11)
Drew Gress (bass - #1,3,4,7,11)
EJ Strickland (drums - #1,3,4,6,7,11)
Ralph Alessi (trumpet - #2,5,8,9)
Geri Allen (piano - #2,5,8-10)
James Genus (bass - #2,5,8,9)
Eric Harland (drums - #2,5,8,9)
Tracklist |
01:Roads Cross [Coltrane, Perdomo, Gress, Strickland] (5:05)
02:Klepto [Alessi] (7:30)
03:Spirit Fiction [Coltrane, Perdomo, Gress, Strickland] (2:28)
04:The Change, My Girl [Coltrane] (6:46)
05:Who Wants Ice Cream [Alessi] (6:32)
06:Spring & Hudson [Coltrane] (2:21)
07:Cross Roads [Coltrane, Perdomo, Gress, Strickland] (4:03)
08:Yellow Cat [Alessi] (6:50)
09:Check Out Time [Coleman] (7:26)
10:Fantasm [Motian] (4:08)
11:Marilyn & Tammy [Coltrane] (5:42)
|
|
Externe Links:
|