Robert Cray / Twenty
Robert Cray?
"Erna, wer war noch mal schnell dieser Robert Cray?"
"Mensch Erwin, dat is doch dieser Schwatte mit der samtigen Stimme, und ausschauen tut der, so n' netter und sympathischer Kerl, einfach zum Knuddeln."
Tja, so ist das mit dem Robert, dem Cray.
Es wird vermutlich alles mit ihm in Verbindung gebracht, aber nicht der Blues. Wenn überhaupt, nimmt er unter den Bluesern den Platz des Streichelzoos inmitten der Raubtierfütterung ein.
Ist das gerecht? Und hatte der nicht mal n' Hit? Immerhin kennt Erna den Robert Cray.
Jawohl, 1986 geriet "Strong Persuader" zum erfolgreichsten Bluesalbum in 20 Jahren, "Slowhand" Eric Clapton coverte den Titelsong, engagierte Robert Cray als Anheizer für seine Live-Shows und arbeitete in den nächsten Jahren überhaupt mehrfach mit ihm zusammen.
1988, nachdem spätestens der alte John Lee Hooker im vierten Frühling mit "The Healer" einen überraschenden kommerziellen Bluesboom ausgelöst hatte, mutierte das Titelstück seines nachfolgenden Albums "Don't Be Afraid Of The Dark" zum veritablen Radiohit, so dass auch der Autor dieser Zeilen endlich Wind von der Sache bekam und fortan den guten Robert Cray wohlwollend begleitete.
Natürlich war spätestens mit Nirvana, Soundgarden, Pearl Jam und Konsorten nicht nur der Hard-Rock, Melodic-Rock, NWOBHM oder Sleeze-Rock im Eimer, auch der Blues verschwand so schnell wieder aus den Augen der Öffentlichkeit, wie er einige Jahre zuvor dorthin gekommen war.
Stellt sich nur noch die Frage, war "Strong Persuader" oder "Don't Be Afraid Of The Dark" überhaupt Blues, oder war das seichter Pop-Blues-Soul-Rock?
Ehrlich gesagt, das war und ist mir persönlich völlig schnuppe, denn der Mann macht überwiegend hervorragende Musik im Schnittfeld von Blues-Soul-Pop-Funk-Rock, war seinerzeit mit seinen Produktionen ziemlich kommerziell ausgerichtet und macht heute nur noch das, was er wirklich will. Er muss sich schließlich auch nichts mehr beweisen, immerhin räumte er nicht weniger als insgesamt 5 Grammys ab und kann auf eine relativ zahlreiche und treue Anhängerschaft zählen, siehe nur Erna und meiner einer.
Allerdings verlor er auch vor 4 Jahren seinen Plattenvertrag, was ihm schlechterdings genauso schnuppe war und machte mit seiner Band, die seit sage und schreibe nunmehr 16(!) Jahren zusammen spielt, einfach weiter, kam bei 'Sanctuary Records' unter und veröffentlichte dort 2003 sein hochgelobtes Album "Time Will Tell", auf dem die musikalischen Proportionen noch mehr Richtung "Blue Eye Soul" verschoben wurden.
Jetzt, zwei Jahre später, steht der nächste Streich ins Haus.
"Twenty" heißt irreführender weise das brandneue Album, ist es doch schließlich "erst" das 14te seiner Karriere.
Und es ist ein wiederum großartiges Album geworden.
Einmal mehr erweist sich Robert Cray als Meister der angenehmen, weichen, smoothen, homogenen, akzentuierten und feingeistigen Töne, dominiert von seiner charakteristischen, sehr souligen und samtigen Stimme, ergänzt durch viele verschiedene Farbtupfer seines ebenfalls sehr charakteristischen Gitarrenspiels, welches vor allem von Leuten wie B.B. King und Albert King beeinflusst scheint und sich doch durch eine ganz eigene Note auszeichnet.
Weitere Farbtupfer tragen Jim Pugh an der stellenweise wunderschön warm klingenden Orgel, Karl Sevareid punktuell am jazzigen Kontrabass und Kevin Hayes am rhythmischen, atmosphärischen und unaufgeregten Schlagwerk mit ganz viel Feeling bei.
Es gibt aber auch durchaus neue, überraschende Schattierungen des Crayschen Musikkosmos zu bewundern.
So besticht der Opener "Poor Johnny" durch einen relaxten Reggae-Groove, veredelt durch Roberts wunderbar fließende, geradezu singende Gitarrenlicks, "That Ain't Love" müsste in einer gerechteren Welt eigentlich zu einem zweiten "Don't Be Afraid Of The Dark" werden, "Does It Really Matter" punktet durch sonnig soulige Grooves, die das Teil unweigerlich zu einem Hit für CabriofahrerInnen machen, "It Doesn't Show" wiederum weiß durch einen extrem smoothen, fast Late-Night Bar-jazzigen Sound mit minimalistischer Instrumentierung zu begeistern und "I'm Walkin'" reißt uns dann aus aller Lethargie und ist Dancefloor pur, wer bei dieser an Stevie Winwoods beste Zeiten gemahnender Groovebombe den Allerwertesten nicht hochkriegt, dem ist definitiv auf dieser Welt von niemandem mehr zu helfen.
Mit dem Titelstück "Twenty" folgt schließlich das Herzstück dieses Albums. Spätestens hier wird nämlich klar, dass Robert Cray neben ausgefeilten Kompositionen und Arrangements auch großen Wert auf die Texte legt, was im weiten Bereich der Bluesmusik nicht unbedingt selbstverständlich ist.
In diesem Stück trocknen sich nämlich die Mütter die Tränen, deren Söhne in sinnlose "rich mans" Kriege ziehen, hier spricht er vom "war terror", mahnt mehrfach an, endlich mit dem Lügen und scheinheiligen Getue aufzuhören und bekennt ganz offen, dass dieses Land (die Vereinigten Staaten von Amerika) momentan nicht das Land sei, welches ihm vorschweben würde.
Letztlich wird die Geschichte eines jungen GI's erzählt, der im Irak-Krieg sinnlos sein Leben lässt. Dazu passend gestaltet sich übrigens auch das CD-Cover, welches einen einsamen Soldaten im Wüstensturm abbildet.
Das ist harter Tobak, den Robert Cray in butterweiche, traurig und melancholisch klingende Musik verpackt, mit dramaturgischen Aufs und Abs. Wirklich ein Stück zum Zuhören, was spätestens nach dem dritten Durchlauf tief unter die Haut geht!
Ein zusätzlicher Pluspunkt dieses Albums ist der sagenhafte Klang.
Wenn wir in der RockTimes zukünftig die audiophile Platte des Monats küren sollten, dann ist diese Scheibe erster Anwärter! Die Aufnahme ist unglaublich transparent, atmosphärisch und räumlich, lotet alle Facetten aus, geht in die Tiefe und tönt nach allem, aber gewiss nicht nach einer schnöden Compact-Disc!
Ja, ja, Erna, du hattest recht damit, den guten alten Robert Cray nicht zu vergessen.
Und ob nun Blues oder nicht, das ist wirklich komplett wurscht, solange er unsere Ohren mit derart gehaltvoller Musik umschmeichelt.
Von mir gibt es auf der berühmt berüchtigten RockTimes-Uhrenskala exakt 8 von 10 Zeitmesser für Musik und Interpretation, 9 ½ (gibt es tatsächlich auch halbe Uhren?) für den Klang!


Spielzeit: 47:03, Medium: CD, Sanctuary Records, 2005
1:Poor Johnny (5:01) 2:That Ain't Love (4:43) 3:Does It Really Matter (3:54) 4:Fadin' Away (3:56) 5:My Last Regret (3:50) 6:It Doesn't Show (3:54) 7:I'm Walkin' (3:54) 8:Twenty (6:46) 9:I Know You Will (4:13) 10:Forgot To Be Your Lover (2:17) 11:Two Steps From The End (4:29)
Olaf "Olli" Oetken, 06.06.2005