Von 0 auf 2.
So kometenhaft schlug "Detours" in den US-Charts ein und unterstreicht damit einmal mehr den institutionellen Status von Sheryl Crow in der heutigen Rockwelt.
Das sechste Studioalbum der Amerikanerin offenbart sich politischer, bewegender, zugleich persönlicher und sensibler denn je. Vielschichtiger, kantiger, rauer und vor allem tiefstgehend erscheinen die mit ihrem früheren Produzenten und Co-Autor Bill Bottrell eingespielten 14 Titel.
Alles beginnt mit der minimalistisch akustischen, traurigen Bestandsaufnahme "God Bless This Mess". Ohne viel Federlesen geht es dann 'an die Arbeit', wenn sich Crow unmissverständlich auf ihre politischen Schwerpunktthemen - Macht- und Profitgier, Raubbau an Umwelt und Rohstoffreserven und die Zivilisationsproblematik - einschießt. Das wortgewaltige "Shine Over Babylon" ist so ein Geschoss oder der sarkastisch scharfzüngige Rundumschlag "Gasoline (Will Be Free)": Charmin' Sheryl wetzt die verbal-strategischen Messer, fingiert den finalen, weltwirtschaftlichen Öl-Kreislauf, beschwört die Verkettung düsterer, haarsträubender Szenarien und Entwicklungen in Amerika, London, Riad und zurück auf den Farmen in Tennessee oder den Zuckerrohrplantagen in Argentinien. Im Midtempo kühler, dezent verschleppter Rhythmen shuffelt sie über die Kontinente und steht schlussendlich vor dem Weißen Haus und der fatalen, nüchternen Erkenntnis:
»You got the bastards in Washington
afraid of popping that greed vein
'cause the money's in the pipeline
and the pipeline's running dry
and we'll be the last to recognize
where there is shit there's always flies.«
Abgezockte Songwriterqualitäten kann man also der gereiften, arrivierten 46-jährigen inzwischen einwandfrei bescheinigen. Crow will ihren Erfolg offenbar nicht länger ausschließlich durch perfekt komponierte und arrangierte Mainstream-Hochglanzwerke gesichert wissen und setzt indes auf ein gepfeffertes Stück couragierter Radikalität. Das gelingt ihr beim Benzin-Science Fiction-Thriller mehr als passabel!
Im nächstfolgenden Song weist sie gleich den einzigen Ausweg als Rettung vor der Apokalypse und skandiert im großen Chor: »If we could only get out of our heads and into our hearts«.
Knapp am Rande der Banalität vorbeigeschrammt, aber in voller Überzeugung! - Er könnte halt so einfach sein - der Anfang. Will man ihr widersprechen?
Ms. Crows gesellschaftlich-ethisches Bewusstsein erstreckt sich noch weiter und beleuchtet in "Peace Be Upon Us" auf bedacht vorsichtige Weise die Brisanz des Gefahrenpotenzials weltweit geschürter Religionskonflikte. Sicher nicht zufällig holt sie für diesen Song einen arabischen Kollegen ins Boot, um mit ihm gemeinsam eine Strophe und den Refrain in dessen Landessprache zu singen. Überraschend und sehr hörangenehm - dieser Touch World Music im Crow'schen Soundmosaik.
Detours.
Die Umleitung führt auf der zweiten Hälfte des Albums mit dem gleichnamigen Titel geradewegs in das Seelenleben Sheryl Crows. In den letzten Jahren ist aus dem attraktiven, femininen Rockstar unfreiwillig eine Meisterin der Bewältigung harter, persönlicher Schicksalsschläge geworden. Mehrere gescheiterte Beziehungen - zuletzt die zu Lance Armstrong - waren stets gefundenes Fressen für die Medienwelt. Rückschläge wie diese und ihre Krebserkrankung, die sie glücklicherweise gut überstanden hat, bringen hinter dem Bild der erfolgreichen Ausnahmekünstlerin einen verletzlichen, zerbrechlichen und zögerlich gewordenen Menschen zum Vorschein.
Bewundernswert offen reflektiert Sheryl ihren Schmerz und die Lektion bitterer Wahrheiten - so im alles Innere zerreißenden "Diamond Ring". Ihre unglaublich durchdringende, selten kraftvollere Stimme dominiert das Stück und verströmt den erbarmungslosen, eiskalten 'shivers-down-your-spine'-Effekt.
In "Now That You're Gone" wechselt sie souverän das Genre und offeriert feinsten R&B. - Da ist es dann wieder, dieses Wahnsinnsorgan, auf "... Gone" ein wahrer Gipfelstürmer! Amy und Alicia dürften noch ein ganzes Stück wachsen müssen, ehe sie ihre selbst entworfenen, meterhohen Fassaden durchgestylten Showperformings auch nur überblicken können, um sich auf Crows Hochebene vorzuwagen. Der Schlüssel ist Glaubwürdigkeit und die nährt sich eben bestens von gelebtem Leben.
"Make It Go Away", erklärend als "Radiation Song" bezeichnet, zwingt den Hörer hinein in die beklemmende Atmosphäre des unheimlichen Raumes zwischen Leben und Tod und die unheilvoll Betroffene sucht nach der Antwort auf das 'Warum':
»Sometimes I wonder which hurts worse
the thought of dying or reliving every hurt
was love the illness
and disease the cure?«
Sheryl Crows 'Vorteil' des selbst Erlebten, verschafft ihr die Möglichkeit, ihrem Gegenüber eine vage reale Ahnung des Ausmaßes einer solchen Erfahrung zu vermitteln.
Glamourös vollführt die Lady Rock-Queen einen eleganten Spagat von stattlicher Spannbreite zwischen gnadenlos gekonnter klang-melodiöser Gefälligkeit und ultracoolen, groovenden Vintagesounds, zwischen persönlicher, authentischer Emotionalität und punktgenauer, durchdacht fundierter Wirtschafts- und Sozialkritik. Mit diesem intelligenten Gemisch von "Detours" im Tank fährt sie ihre Erfolgskurve sicherlich weiterhin rasant und - ohne Umwege - steil nach oben.
Tracklist |
01:God Bless This Mess
02:Shine Over Babylon
03:Love Is Free
04:Peace Be Upon Us
05:Gasoline
06:Out Of Our Heads
07:Detours
08:Now That You're Gone
09:Drunk With The Thought Of You
10:Diamond Ring
11:Motivation
12:Make It Go Away (Radiation Song)
13:Love Is All There Is
14:Lullaby For Wyatt
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