Manchmal kreuzen im Rahmen der Redaktionstätigkeit seltsame Platten unseren Weg, die einen wirklich bis an die Grenzen herausfordern. Nicht, weil sie so anspruchsvoll wären, sondern weil sie uns mit lange gereiften Abneigungen konfrontieren. Man könnte es sich ja einfach machen, die Sache kurz und bündig hinter sich bringen. Der Reiz liegt aber gerade in der Auseinandersetzung mit solchen Musiken - neben dem zu besprechenden Produkt auch mit seinen eigenen, manchmal geradezu liebevoll gehegten Vorurteilen.
Nein, als ausgewiesener Experte für Britpop würde ich mich nicht bezeichnen, Ambitionen in dieser Richtung hege ich schon mal gar nicht und das an Größenwahn grenzende Gelaber der Gebrüder Gallagher von Oasis bringt regelmäßig meinen Verdauungstrakt in hellste Aufregung. Eigentlich keine sonderlich guten Voraussetzungen für eine Plattenkritik...
Steve Cradock kommt genau aus dieser Ecke. Mit seiner Band Ocean Colour Scene feierte vor allem in den Heydays des Britpop - Mitte der Neunziger - große Erfolge. Zudem fiel er dem Urvater der Szene, Paul Weller, auf, der ihn flugs als Leadgitarristen verpflichtete. Mit "Travel Wild - Travel Free" legt Cradock nun sein drittes Soloalbum vor, bei dem seine Ehefrau Sally als Hintergrundsängerin omnipräsent ist. Mit dieser zusammen hatte er - nebenbei angemerkt - vor ein paar Jahren den Support für Amy McDonalds damalige Deutschlandkonzerte bestritten.
"Travel Wild - Travel Free" verbindet auf sehr interessante Art und Weise den Britpop von ... (nein, ich nenne diesen Bandnamen jetzt nicht noch einmal!!), Blur und Radiohead, mit dem Psychedelic Pop der späten Sechziger sowie dem sogenannten Mod-Revival der Siebziger. Überdeutlich sind die Zitate aus der Sgt.-Pepper-Phase der Beatles, auch die Satzgesänge der Beach Boys schleichen sich - »Uhuhuhuuu!!« - ein. The Mamas & The Papas scheinen "California Dreamin'" zu 'flöten' oder man meint beinahe, versehentlich The Piper At The Gates Of Dawn in den Player geschoben zu haben, wie beim wohl besten Stück des Albums: "Dreaming My Life Away". Diese nicht unspannende Gemengelage macht aus "Travel Wild - Travel Free" auf jeden Fall eine aparte Angelegenheit, die sich wohltuend von dem üblichen Trallala aus dem alltäglichen Popradio abheben kann.
Handwerklich ist das alles gut gemacht, aufnahmetechnisch wie kompositorisch. Steve Cradock hat offenbar ein Faible - was die Harmonien und Melodieführungen betrifft - für das Einfache, Direkte. Reduziert man die dreizehn Songs auf das Wesentliche, mögen die Strukturen zwar zumeist recht simpel sein, auf die pfiffigen Arrangements trifft das allerdings selten zu. Einige Stücke sind sehr kurz, haben wohl nur Zwischenspielcharakter. Einiges dreht sich sogar richtig gut ins Ohr. Nehmen wir nur mal das treibende "Sheer Inertia" und das folgende "I Am The Sea", die ein kleinwenig das Lebensgefühl der Mod-Subkultur zu transportieren scheinen oder "Street Fire", bei dem Steve Cradock offenbar mit einem Gitarrensynthesizer experimentiert. Die sphärische Titelsong ist ganz tief im psychedelischen Pop der Spätsechziger verwurzelt und fällt mit einer dezenten Bläsersektion positiv auf. Ziemlich cool ist auch das bereits angesprochene "Dreaming My Life Away", das sehr schön mit folkigen Grundmustern spielt.
Was mir durchgängig nicht gefällt, sind die ziemlich zittrig-dünnen Synthesizersounds, die mich eher an Billigkeyboards aus der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses erinnern und den Takes einen leicht 'trashigen' Touch verpassen.
Wie schon gesagt: Meine Musikwelt ist das nicht und daran wird "Travel Wild - Travel Free" wohl langfristig wenig ändern. Allerdings bestärkt die Scheibe meine These, dass es alles andere als verlorene Zeit ist, den Blick über den berühmten Tellerrand zu heben. Die hier von Steve Cradocks verabreichte psychedelische 'Pille' wirkt dahingehend durchaus bewusstseinserweiternd...
Line-up:
Steve Cradock (lead vocals, guitars, keyboards)
Sally Cradock (background vocals)
Cassius Cradock (flute)
Sunny Cradock (poem)
Tony Coote (drums)
Andy Crofts (vibes)
Rich Mills, Sam Smith, Ray Beavis (brass section)
Aidan Sinclair (add. drums - #1)
Tracklist |
01:Anyway The Wind Blows (3:41)
02:Sheer Inertia (2:46)
03:I Am The Sea (2:28)
04:The Magic Hour (2:57)
05:10,000 Times (3:35)
06:Out Of Mist (1:14)
07:Street Fire (3:02)
08:Doodle Book (3:24)
09:Running Isn't Funny Anymore (2:40)
10:Travel Wild - Travel Free (3:50)
11:Elizabethan (0:47)
12:Shark Fin Island (2:52)
13:Dreaming My Life Away (4:00)
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