Bobby Darin / Bobby Rocks
Bobby Rocks Spielzeit: 82:02
Medium: CD
Label: Bear Family Records, 2008
Stil: Rock'n'Roll & More

Review vom 25.05.2008


Grit-Marina Müller
Das berühmt-berüchtigte, kleine, schwarze Notizbüchlein eines echten Playboys enthält bekanntlich ein umfangreiches Verzeichnis geheimnisvoller Schönheiten, alphabetisch differenziert nach ihren Namen und den dazugehörenden Telefonnummern.
Bobby Darin - dem weiblichen Geschlecht stets zwanglos zugetan - hielt es bei seinen Aufzeichnungen mit der vereinfachten Form des Prinzips der reimenden Spezifikation - so wie bei diesen Damen:
"Pretty Betty"
"I Ain't Sharin' Sharon"
"Plain Jane"
"Judy, Don't Be Moody" oder
"Pity Miss Kitty"
um nur einige zu nennen. In den guten alten Fünfzigern hat man die Dinge irgendwie nie unnötig überkompliziert. Darin war, wie viele der damaligen Kollegen, auch kein Freund von übermäßiger Zeitverschwendung. Seine Rock'n'Roll-Klassiker überschritten in der Titellänge seltenst die 2 1/2 Minuten-Marke, geschweige denn die 3 Minuten-Grenze auch nur anzuvisieren. Eine Art Geschwindigkeitsrausch - hat er vielleicht geahnt, dass sein irdisches Dasein nur ganze, kurze 37 Jahre währen würde?
Die hier nun vorliegende Collection liefert einen Querschnitt aus Bobby Darins Schaffensphase zwischen 1956 und 1963.
Als Kind der sozialen Unterschicht New Yorks in schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen (Genau wie es übrigens bei Eric Clapton war, hielt er seine Mutter bis zum Erwachsenenalter für seine Schwester und seine Großmutter für seine Mutter. Seinen Vater lernte er nie kennen.), hatte er zudem bereits im Kindesalter mit rheumatischem Fieber und einer beginnenden Herzerkrankung zu kämpfen. Das alles schien dem 1936 im Zeichen des Stier Geborenen nichts anhaben zu können. Im Gegenteil: Sein unbändiger Wille, dem schmählichen Ort der eigenen Herkunft zu entkommen, stachelte in frühester Jugend den Ehrgeiz an, sein Glück in der Musik zu versuchen. Darin besaß zeitlebens einen todsicheren Instinkt für den Geist und Trend des Moments und konnte jenes Gespür mehr als einmal in schillernde Erfolge verwandeln.
Der musikbegeisterte, junge Bobby formierte seine erste Band in der High School. Man spielte Pop-Standards der 50er, Calypso, Folk und schließlich Rock'n'Roll. Robert Walden Cassotto (Darins bürgerlicher Name) brachte sich selbst das Schlagzeug- und Klavierspiel bei, sang aber mit immer größer werdender Vorliebe die präsentierten Titel und entwickelte sich dabei in den folgenden Jahren zu einem stimmlichen wie stilistischen Chamäleon par excellence. Er kreuzte Elvis' Weg und den von Frank Sinatra, schrieb zu Beginn seiner Laufbahn Werbejingles, bei deren backing vocals die junge, frisch entdeckte Connie Francis zu hören war. Seine schauspielerischen Leistungen brachten dem Tausendsassa Golden Globe- und Oscar-Nominierungen ein. Die Variabilität seines künstlerischen Spektrums sucht ihresgleichen.
Anfängliche Misserfolge - der erste Vertrag bei Decca wurde nach unerfüllten Top-Ten-Erwartungen aufgelöst - konnten Bobby nicht aufhalten. "Splish Splash" eröffnete endlich die Wasserspiele im Hitspringbrunnen. Ahmet Ertegun nahm Darin mit dieser spritzig sprühenden Fontäne für Atlantic Records unter Vertrag und produzierte ihn höchst persönlich von diesem Zeitpunkt an.
Bobby Darin war ein wirklicher Sportsmann, der es verstand, athletisch souverän auf jeden bekannten Rock'n'Roll-Zug mit der beliebten Streckenführung spitzenmäßiger Chartplatzierungen aufzuspringen. Die eingangs erwähnte "Pretty Betty" ist mit einiger Wahrscheinlichkeit in Little Richards "Tutti Frutti"-Abteil entstanden und "Don't Call My Name" reimt sich nicht nur verdächtig gut auf Fats Dominos "Ain't That A Shame". Auf dem eigenen, kreativen Gleis unterwegs, konnte Darin Tempo und Fahrstil der gemachten Stars erstklassig mithalten: Der allzu bekannte "Dream Lover", "She's Tanfastic" oder der amtlich rollende "Bullmoose" belegen dies ebenso wie später, 1961, "Multiplication" aus dem Kinokassenschlager "Come September", der Bobby Darins Leinwandkarriere auch noch in die sichere Erfolgsschiene rangierte.
Auf der Überholspur gar fuhr er mit dem von ihm und Woody Harris geschriebenen "Early In The Morning", eine eilig verfasste Adaption von Ray Charles' "I've Got A Woman", die für den zurecht in alle Himmel gelobten, charismatischen Buddy Holly zu einem seiner größten Hits werden sollte.
Ein weiterer interessanter Titel auf der "Bobby Rocks"-Anthology ist "Hush, Somebody's Calling My Name". - Interessant ob der vielschichtigen Historie: Einst aus der Feder des Trios Belford Hendrix-Clyde Otis-Cynthia Young stammend, basierend auf einem alten Gospel-Thema, wurden verschiedene Versionen (unter anderen) aufgenommen vom Wisemen Sextette, 1923!, später in den Vierzigern von den Galilee Singers und dem Golden State Jubilee Quartet. Einige Jahre später, nach Darins Aufnahme von 1958, fand Joe South seine Inspiration für "Hush", das wiederum Billy Joe Royal seine bekannte Hit-Version bescherte. Die RockTimes-Generation lernte noch später, viel später, eine gewisse Band names Deep Purple kennen, die "Hush" in einen ganz anderen Dezibel-Klangkörper transformierte. Und auch heute gibt es in der jüngeren Rockwelt zahllose Variationen des Titels. Hörenswert beispielsweise ist "Hush" von Kula Shaker als Bonus-Track auf ihrem Debüt-Album "K". Was für ein weit gespannter, chronologischer Bogen! Was für eine Kategorie von Ausnahmequalität eines einzigen Stücks!
Zurück zu Bobby. Der 'Hans Dampf in allen Gassen' sah früh voraus, dass der Rock'n'Roll-Train schon bald jeden vielversprechenden Bahnhof hinter sich lassen würde, um langsam in die Weiten der Vergänglichkeit zu entschwinden. Schon 1959 war es höchste Zeit für Bobby Darin also, einen ersten gewagten Absprung zu riskieren und das Verkehrsmittel zu wechseln. Selbstbewusst stieg er in eine swingende Großraumlimousine auf dem glitzernden Big-Band-Boulevard, und fortan ließ der 'tuxedoed fingersnapper' den bis dato unangreifbaren Herrscher dieses Reichs, Frank Sinatra, verblüfft am sinnbildlichen Bühnenrand stehen. Mr. Darin, der fingerschnippende Crooner im zeitlosen Siegergewand, nahm Mackie Messer ("Mack The Knife") aus Brechts Dreigroschenoper für sein Album "That's All" auf und schaffte sich mit diesem Geniestreich im Handumdrehen ein überdimensionales, neues Standbein. Den Vorbehalten und aller Skepsis in seinem Umfeld zum Trotz erreichte und belegte diese 'Nummer' wochenlang unumstritten Platz 1 der bekannten Billboard-Notierungen. Bobbys Freund und Co-Autor Neil Sedaka beschreibt Darins Ambitionen:
»He always expressed the opinion that he's like to get into a little higher quality. He loved rhythm and blues. He loved Ray Charles, he loved Fats Domino. But I think it was just an entrèe. He didn't have the drama and the tragedy that Sinatra went through, but we all knew that his time would come«.
Schade und etwas unverständlich, dass der Klassiker in dieser sonst herausragenden Sammlung mit Firstclass-Digipack und -Hintergrunddetails, leider fehlt. Eine Hörprobe von swingin' Bobby gibt es immerhin mit der 59er Aufnahme "Clementine".
Weitere unbedingt empfehlenswerte Interpretationen des Multistylisten aufzuzählen, würde jeden vernünftigen Rahmen sprengen, beim besten Willen. Stellvertretend genannt seien deshalb die Version von Lonnie Donegans "Rock Island Line" und Rudy Clarks "Since You've Been Gone", was für ein Shuffler!, Bobbys eigener lässiger, bluescooler "Oo-Ee Train" sowie die top-of-the-time Darin-Harris-Komposition "Queen Of The Hop". Eine sichere Wahl trifft man allerdings auch mit "Ruby Baby" oder "Keep A Walkin'" und tappt schon wieder in die Falle: Es reimt, schnippt, swingt, bluesrockt, rockt, rollt, 36 mal am Stück und ist - ununterbrechbar! Was für eine lebendige, einzigartige Zeit!
Bobby Darin wurde 1990 in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen und 'befand' sich in wahrhaft illustrer Gesellschaft neben den Who, Four Seasons, Kinks und Simon & Garfunkel.
Wieviel Neugier, Spaß und Genugtuung würde ihm - dem Visionär - wohl die Anwesenheit in dieser speziellen Runde bereitet haben... .
Tracklist
01:Bullmoose (original 45 version)
02:Splish Splash
03:Mighty Mighty Man
04:Judy, Don't Be Moody
05:I Want You With Me
06:Pretty Betty
07:Early In The Morning
08:Plain Jane
09:Queen Of The Hop
10:I Ain't Sharin' Sharon
11:Wear My Ring
12:Pity Miss Kitty
13:I Found A Million Dollar Baby (In A Five and Ten Cent Store)
14:You Know How
15:Dream Lover
16:Hush, Somebody's Calling My Name
17:Now We're One
18:Keep A Walkin'
19:Don't Call My Name
20:All The Way Home
21:Brand New House
22:She's Tanfastic
23:Oo-Ee Train
24:Multiplication
25:You're Mine
26:Sorrow Tomorrow
27:So Mean
28:Bullmoose (LP version)
29:Ruby Baby
30:Since You've Been Gone
31:Rock Island Line
32:Silly Willie
33:Queen Of The Hop (alternate take)
34:Splish Splash (alternate take)
35:Plain Jane (alternate take)
36:Clementine
Externe Links: