Wer nach dem ersten Hördurchgang die schweizerischen Progressive-Rocker dAWN bereits vorschnell als lupenreinen Genesis-Klon abheften möchte, dem sei dringend ein zweiter, besser gar dritter Durchlauf empfohlen! Der Vierer aus Montreux kombiniert nämlich auf ebenso geschickte wie ansprechende Weise diese 'klassischen' Prog- mit moderneren Neoprog-Elementen zu einem pittoresk anmutenden Artrock.
Großen Anteil hat daran Keyboarder Nicolas Gerber, der mit warmen Retrosounds von (unverzerrter) Hammond, Mellotron, Korg- und Moog-Synthesizern enorm sphärisches Kolorit einbringt und damit alle Stücke dominiert. Natürlich erinnern diese mächtigen klanglichen Burgmauern, mit fein ziselierten Türmchen und Erkern ausgeschmückt (um im Bild zu bleiben), an den frühen Tony Banks, jedoch ist das Songwriting clever genug, nicht einfach billig abzukupfern.
Das Epos "Cold" und der dramatische Titelsong beweisen dieses bereits eingangs. Über allem schwebt René Degoumois', der sich mit seiner Gitarre zumeist vornehm im Hintergrund hält, relativ hohe Stimme, die die leicht düsteren Texte - eben "Darker" - sehr elegisch transportiert. Dabei könnte dieser durchaus noch etwas stärker an seiner Ausdruckskraft feilen, um die Spannungsbögen - ruhig auch mit etwas mehr Pathos - zu straffen. Da die beiden vorgenannten Herren alle acht Songs komponiert haben, wundert es kaum, dass die Strukturen eindeutig von Gesangs- und Keyboardpassagen bestimmt werden.
Bassist Julien Vuataz, der an den Texten beteiligt war, ragt allerdings mit seinen elastischen, höchst melodiösen Basslinien ebenfalls hervor. Dankenswerterweise wurde, zu Gunsten eher feinsinnig-schwebender Atmosphären, auf monumentale Taurus-Bässe verzichtet. Einzig Manu Linders facettenreiches Schlagwerk dürfte etwas präsenter abgemischt sein - von dieser Seite fehlt es mir etwas an Druck und Dynamik. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass "Darker" von keinem Geringeren als dem Grammy-dekorierten Toningenieur Bob Katz gemastert wurde.
Die relativ kompakten Stücke "Yesterday's Sorrow", "Lullabies For Gutterflies" und "Lost Anger" besitzen Intro- bzw. Intermezzo-Charakter und leiten somit auf die Longtracks über. Hierbei ragt vor allem das verstörende, fast zwanzigminütige Antikriegsepos "8945" hervor, das die Denkweisen, die zu den Abwürfen der verheerenden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki geführt haben, anprangert. Das folgende "Out Of Control" stellt in seiner einerseits kraftvoll-treibenden, andererseits melodieverliebt-verspielten Art einen Neoprogger par excellence dar. Die erfrischenden, stark an Supertramp erinnernden Gesangspassagen von "Endless" stehen in diametralem Widerstreit zu dem enorm beklemmend-düsteren Mittelteil. Doch zum langsam ausblendenden Ende bekommt dAWN noch einmal die Kurve zu hoffnungsfroheren Klängen...
Neben den Genesis-Freaks sollten auch mal die Freunde von Arena, IQ und Marillion ein Ohr riskieren. Mit "Darker" ist dAWN ein guter Zweitling gelungen, dem man von manchen Seiten vielleicht etwas wenig Originalität vorwerfen wird, aber - sind wir mal schonungslos ehrlich - die hat bereits seit längerem im Progressive-Genre eher Seltenheitswert. Freuen wir uns doch einfach über weit mehr als eine Stunde guter Musik, die "Darker" nun wirklich bietet.
Line-up:
René Degoumois (vocals, guitars)
Nicolas Gerber (keyboards)
Julien Vuataz (bass)
Manu Linder (drums)
Tracklist |
01:Yesterday's Sorrow (2:25)
02:Cold (9:43)
03:Darker (10:56)
04:Lullabies For Gutterflies (4:31)
05:8945 (18:58)
06:Out Of Control (7:45)
07:Lost Anger (2:22)
08:Endless (10:49)
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