Sowohl Bandname als auch Albumtitel können erstmal ins Grübeln bringen - ist das nun eine Band, die 'sterbe!' heißt mit ihrem Album "Immer noch", oder ist tatsächlich der banale deutsche Artikel 'die' und das Adjektiv 'still' wie lautlos gemeint? Nun, auch wenn letzteres inhaltlich nicht zutrifft, denn lautlos sind sie keineswegs, ist wohl die deutschsprachige Variante gemeint. Neue deutsche Härte, dieser Stilrichtung ist die ursprünglich 1995 gegründete Band zuzurechnen und zählt mit Rammstein, Leichenwetter, Megaherz und einigen anderen zu den Begründern dieses Genres. Die Besetzung wechselte im Lauf der Jahre mehrfach, die neueste Umbesetzung ist der Ex- Megaherz Sänger Matze 'Jablonski' Elsholz, der 2007 zur Band dazu kam.
Und damit ist eigentlich auch schon die Grundrichtung klar - ein paar Effekte mit den Keyboards, ansonsten ein ganz deutlicher Metaleinschlag und deutsche Texte.
Spannend wird es durch den Gesang - im Wechsel und/oder mehrstimmig ergänzen sich alle Bandmitglieder mit ihren unterschiedlichsten Stimmen und geben so ein prägnantes Gesamtbild ab.
Die Scheibe wird eröffnet mit "Schönem Schein", einem schleppenden Song, der vom Gegensatz zwischen dem rauhen Gesang und einem melodischen Chor lebt.
Infernalisch die Eröffnung der nächsten Nummer, bös und brachial - doch was ist das? »Konrad sprach die Frau Mama...«. Der Text weckt Kindheitserinnerungen und tatsächlich, es ist der Text des Daumenlutschers aus Dr. Heinrich Hoffmanns Kinderbuch "Der Struwwelpeter". Nun ist dieses Buch ja schon lange nicht mehr unumstritten, [die!] unterstreicht mit der Vertonung wie brutal eigentlich der Text ist.
Das melodiöse "Lüg mich an" mit seinen dominierenden Keyboards erinnert an den Unheiligen Graf, wird jedoch im Verlauf des Liedes rauher, dreckiger und kratziger als die typischen Unheilig-Nummern.
Ein Schiff wird kommen - diesmal nicht in der Schlagerfassung, sondern "durch den Wind" in bester Industrialfahrt. Der "Prügelknabe" mit seinem tanzbaren Rhythmus wirft die Frage auf, wer hier tanzt - der Knüppel oder der ausweichende Knabe.
Klassische Töne leiten "Dam Dam" ein, eine heftigst aufgepeppte Version von "Marmor, Stein und Eisen bricht". Drafi Deutscher, der 'böse' Bube der 'heilen' Schlagerwelt, wäre mit dieser Adaption durchaus einverstanden gewesen.
Die Konfusion einander überlagernde Radiosender ist der Opener von "Jeder mit Jedem", das dann mit einem klaren Break in eine harte, schnelle Gitarrenorgie übergeht, das Schlagzeug rattert sich einen ab, heiserer Schreigesang mit dunkler Antwort werden von fetten Keyboardteppichen abgelöst.
"Still!" das kann ja nicht ganz ernstgemeint sein, schnell, laut, fast hektisch - die Gitarren wechseln sich mit Keyboards ab, die an einen überfliegenden Hubschrauber erinnern.
Patric Busch drischt auf sein Schlagzeug ein, als würde er im eiskalten Winter einen Riesenberg Holz hacken. Ein hoher, nörgelnder Gesang spult alle Ermahnungen ab, die ein Kind zu hören bekommen kann:
»ach bitte sei doch nicht so laut
sonst fahren alle aus der haut
ach bitte zappel nich.. so rum
bleib bitte stumm«
Die protestierende Antwort kommt rauh und laut zurück:
»ICH WILL NICHT LEISE SEIN
ICH BLEIBE HIER
ich will aus vollem halse brüllen
will aus vollem halse schreien
will die luft mit lärm erfüllen
meine schreie ausspeien
ich will nicken ich will zucken
vor der stille wegducken
will die welt mit lärm erfüllen
und dich anbrüllen«
Auflehnung gegen Vorschriften und Autoritäten zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Auch im "Teufelswerk" wird der Gesang im Dialog eingesetzt, wie schon in "Still!" gibt es die Stimme, die Konventionen und Gebote vorträgt und die Gegenstimme, die die Auflehnung dagegen rausschreit und grunzt.
In "Alles in einen Topf" werden wir wieder von Kindheitserinnerungen eingeholt "Was rumpelt und pumpelt da in meinem Bauch herum" zitiert Grimms Märchen vom Wolf und den sieben Geisslein.
Hochinteressant sind die Fragmente aus der Kinderwelt in Kombination mit dieser harten, dreckigen Mucke. Zeigt sich so doch ganz deutlich, dass auch die 'harmlosen' Kindergeschichten genau die Brutalität in sich tragen, die harter, mit bösem Image spielender Musik gern vorgeworfen wird. Es finden sich massenhaft versteckte Anspielungen auf deutsche Literatur, Kultur und Gepflogenheiten auf diesem üppige ausgestatteten Silberling, der neben einem Hidden-Track auch noch ein Live-Video von "Jeder mit jedem" beinhaltet. Insgesamt ein rundum gelungenes Werk, das für mehr als eine Stunde Vergnügen gut ist.
Line-up:
Matze 'Jablonski' Elsholz (Gesang)
Jorge LaPlata (Gitarre, Gesang)
Patric Busch (Schlagzeug, Keyboards & Gesang)
Matthias 'MR. Bones' Fieberg (Bass, Gesang)
Tracklist |
01:Schöner Schein
02:Daumenlutscher
03:Lüg mich an
04:Herzlos
05:Durch den Wind
06:Prügelknabe
07:Dam Dam (Marmor, Stein und Eisen)
08:Jeder mit Jedem
09:Tiefer Schmerz
10:Still!
11:Teufelswerk
12:Kadavergehorsam
13:Alles in einen Topf
14:Mein letzter Wille
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