Die Foo Fighters sind sozusagen das Geschenk von Kurt Cobain
JVA Oldenburg Die Happy zu Gast im Alcatraz des Nordens



Artikel vom 21.05.2010


Thomas Völge
Die Happy Bevor die Band Die Happy am 08.05.2010 zum abendlichen Gig nach Hamburg reiste, legten sie einen Pitstop in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg ein, um dort in der Kapelle der Hochsicherheitsanstalt ein Unplugged-Konzert für die Inhaftierten zu geben. RockTimes traf Sängerin Marta und Gitarrist Thorsten vor dem Auftritt, den sie nahezu ohne Gage absolvierten, um über ihre Eindrücke im Knast und über Bandinternes zu plaudern.
RockTimes: Ich gehe davon aus, dass ihr erstmalig in einer Justizvollzugsanstalt auftretet. Was ist euer erster Eindruck?
Marta: Ja, das stimmt. Als ich durch den Hauptgang gelaufen bin, war das schon ein bedrückendes Gefühl. Man hat zwar irgendwelche Vorstellungen aus Filmen oder Erzählungen, aber wenn man sich dann konkret hier drin befindet, ist das schon ein komisches Gefühl.
Thorsten: Ging mir auch so. Ich war ja schon Mal vor einem Monat hier, um mir anzuschauen, wo der Auftritt stattfinden soll. Das ist schon ein mulmiges Gefühl, vor allen Dingen wenn du durch all die Schleusen läufst und merkst, dass du dich nicht frei bewegen kannst. Es muss immer jemand aufschließen und du kannst nicht frei entscheiden, was du als nächstes machen willst. Ich hatte ja auch die Gelegenheit, mir mal einen Zellenblock anzusehen. Und auch wenn es oberflächlich an nichts fehlt, dann ist doch die Tatsache sehr bedrückend, zu wissen, dass ab 20:00 Einschluss ist und die Gefangenen dann bis morgens um 06:00 Uhr in ihr 'kleines Zimmer' eingesperrt sind. Und das womöglich für die nächsten sechs oder sieben Jahre.
Die Happy RockTimes: Euer aktuelles Album ist seit April 2009 auf dem Markt und heißt "Most Wanted", also ein Best-Of-Album aus 16 Jahren Bandgeschichte. Welches ist rückblickend euer Lieblingsalbum und welche sind eure Lieblingslieder?
Marta: Lieblingstitel kann man nicht sagen. Wir haben jeden Song mit sehr viel Liebe geschrieben. Mein Lieblingsalbum ist komischerweise immer das letzte was wir gemacht haben. Also das sechste, was ja auch den Titel "Six" trägt. Aber auch unser "Best Of-Album", weil es sämtliche Phasen unserer Bandgeschichte widerspiegelt. Viele unserer Fans sagen, dass das erste Album auch das beste war. Dies ist anscheinend bei jeder Band so. Aber ich mag es halt nicht mehr, wie meine Stimme damals geklungen hat. Daher ist es schön, dass wir diese alten Titel jetzt in neuem Soundgewand aufgenommen haben und ich sie auch wieder gerne singen mag.
Thorsten: Wenn wir jetzt mal das Best-Of-Album und das Unplugged Live-Album ausklammern, würde ich sagen "Bitter To Better" ist mein Lieblingsalbum, weil es am geilsten klingt und die Songs am ausgereiftesten sind. Lieblingstitel habe ich nicht, es gibt so ein paar Songs, wo ich denke, dass sie unglaublich schön sind, wie z.B. "Whatever". Und sonst mag ich sie eigentlich alle.
RockTimes: Eure Bandgeschichte zeichnet eine starke Bühnenpräsenz aus. Was bedeutet es euch, live zu spielen und habt ihr eine Lieblingslocation?
Marta: Live Spielen ist das wichtigste überhaupt. Das war uns immer schon das wichtigste. Wir haben in den letzten 10 Jahren an die 880 Konzerte gespielt. Es ist eben das 'direkteste', was du als Musiker machen kannst und spürst anhand der Reaktionen im Publikum, wie die neuen Titel funktionieren. Es ist halt toll, wenn du den Leuten etwas geben kannst, woran sie Spaß haben. Was die Lieblingslocation angeht, war es das Highfield-Festival in Erfurt, wahrscheinlich auch deswegen, weil alle Rahmenbedingungen top waren. Es haben geile Bands nach uns gespielt, das Wetter war top und die Fans mit ihrer Die Happy-Laola waren superklasse. Ein tolles Erlebnis.
Thorsten: Ja, das sehe ich auch so. Beim live spielen hast du das direkte Feedback der Fans. Lieblingslocation was die Clubszene angeht auf jeden Fall die Große Freiheit 36 in Hamburg. Da haben wir traditionell am 30.12. gespielt. Aber durch die Vorbereitungen für die Silvester-Party können wir dort leider nicht mehr spielen. Das ist sehr schade.
Die Happy RockTimes: Arbeitet ihr während einer Tour an neuen Songs oder komponiert ihr ausschließlich im Studio?
Marta: Wir komponieren überall wo uns was einfällt. Wir haben ja die Aufnahmefunktion an unseren Handys. Nur es reicht halt nicht, eine Gesangsidee einfach drauf zu singen, sondern du musst ja auch die Gitarrenakkorde darunterlegen, um zu wissen wie es klingen soll. Das machen wir dann im Studio oder zu Hause am PC und schicken uns dann die Ideen hin und her.
Thorsten: Ganz genau, wir schreiben überall, wenn wir eine Idee haben. Jürgen (Schlagzeug) setzt sich zum Beispiel oft ans Klavier, wenn er von einer Party kommt. Neulich gab er mir eine Handy-Aufnahme mit dem Titel "Pianoballaden 1 bis 10". Die klangen alle gut aber auch alle gleich (lacht!)
RockTimes: Gibt es Planungen für ein neues Album?
Throsten: Wir haben gerade schon die erste Session in einem Studio in Münster hinter uns. Dort wo wir auch das erste Album gemacht haben. Das neue Album soll am 24.09.2010 rauskommen und anschließend sind wir dann auch auf großer Herbst- und Wintertour.
RockTimes: Ihr werdet gleich unplugged spielen. Wählt ihr die Setlist dann nach anderen Kriterien aus? Gibt es Songs aus eurer Diskographie, die sich besonders eignen, um sie unplugged zu arrangieren?
Thorsten: Alle Songs, die nicht ein tragendes Riff als Songelement haben, lassen sich auch unplugged spielen. "If", der Opener von unserem zweiten Album zum Beispiel, hat ein ganz schleppendes Riff, diesen haben wir aber trotzdem unplugged gespielt, weil wir ihn durch ein Piano und eine zweite Gitarre verstärkt haben. Ohne diese Verstärkung hätte dieser Song nicht wirklich funktioniert. Daher versuchen wir schon, eine ruhigere Setlist zu machen.
Die Happy RockTimes: Zum Schluss habe ich noch ein paar Stichwörter und ihr antwortet mir, was euch spontan dazu einfällt.
Alternative Rock:
Marta: Ich mag diese 'Vorwörter nicht. Alternative Rock, EMO Rock, Punk Rock, obwohl Punk Rock noch am ehesten Sinn macht.
Thorsten: Also mir fällt da spontan Pearl Jam ein. Viele sagen zwar, das ist Grunge, aber Pearl Jam sind für mich die Begründer des Alternative Rocks.
RockTimes: Kurt Cobain:
Marta: Ein Genie, das leider zu früh gegangen ist. Aber er hat so viel Geiles in die Welt raus gelassen, auf diese Weise ist er unsterblich.
Thorsten: Also ich bin auch ein großer Fan von Kurt Cobain. Ich habe auch noch ein Bild von seinem letzten Auftritt zu Hause hängen. Nichtsdestotrotz sehe ich das positiv, denn ansonsten hätte er uns einen großen Rockstar vorenthalten, nämlich Dave Grohl von den Foo Fighters. Die Foo Fighters sind sozusagen das Geschenk von Kurt Cobain.
RockTimes: Led Zeppelin:
Marta: Natürlich eine geile Band.
Thorsten: (spielt den Anfang von "Stairway To Heaven" auf Gitarre). Das ist so der erste Song, den du als Gitarrist lernst. Eine wichtige Band, obwohl ich jetzt kein großer Led Zeppelin-Fan bin, aber es ist natürlich eine prägende Band gewesen. Auch unsere Wurzeln sind darin begründet.
Die Kapelle der Justizvollzugsanstalt Oldenburg am 08.05.2010, ca. 17:00 Uh
Die Happy Gut gelaunt und untereinander feixend bauen die Mitglieder der Anstaltsband die Musikanlage ab und räumen ihre Instrumente zusammen, wohl wissend, dass sie heute Teil eines außergewöhnlichen Events waren. Haben sie ihren Mitgefangenen doch kurz zuvor noch eine improvisierte Version des Party-Klassikers "Mit 18" von Marius entgegen geschmettert. Und das Ganze mit freundlicher Unterstützung von einer der fleißigsten und besten Livebands Deutschlands. Im Anschluss an das Konzert wurden gemeinsame Erinnerungsfotos geschossen und untereinander gescherzt. Doch was war passiert?
Die Anstaltsband wollte die Früchte ihrer intensiven Proben unter der Anleitung eines externen Musiklehrers live vor Publikum präsentieren. Dazu hat sich der glückliche Umstand ergeben, dass Die Happy dem Ruf eines Mitarbeiters der JVA Oldenburg gefolgt sind, um gewissermaßen den 'Hauptact' des heutigen Tages zu bestreiten. Also der Reihe nach: Zunächst bot die Anstaltsband den Zuhörern in unterschiedlichen Besetzungen an den Instrumenten und Gesang bekannte Coverversionen und eigenes Material. Dabei hat mich der Text des Liedes "Nur noch 96 Tage" am meisten beeindruckt. Darin ging es um einen Inhaftierten, der 20 Jahre gesessen hat und nunmehr noch die besagten 96 Tage bis zu seiner Entlassung verbüßen muss. In diesem Lied werden auf sehr nachdenkliche Weise die Ängste geschildert, welche die neue 'Freiheit' mit sich bringen wird.
Die Happy Im Anschluss betreten Die Happy die "Bühne" und können zügig beginnen, weil Thorsten (Gitarre) und Ralph (Bass) ihre Instrumente nur einstöpseln müssen und Jürgen einfach das Schlagzeug der Anstaltsband benutzt. So muss sich Marta nur das Mikro greifen und schon können Die Happy loslegen. Und das bei passabler Soundqualität, dank der privaten Anlage eines Mitarbeiters. Die Setlist besteht unter anderem aus den unverwüstlichen Bandklassikern wie "Supersonic Speed", "Perfect" oder "Violent Dreams". Von der Titelauswahl gefällt mir die Gänsehautballade "Whatever" am besten. Dieser Song war mir bis dahin nicht geläufig, ging aber sofort auf sehr angenehme Weise ins Ohr. Es ist mir völlig schleierhaft, warum das nicht ein Riesenhit geworden ist. Aber noch viel wichtiger als die Setlist war die Initiative der Band, auch die Zuhörer einzufangen und nicht einfach nur die Songs zu spielen. Das war besonders Martas Verdienst. Durch ihr charmantes Auftreten verbunden mit dem nötigen Witz und Schlagfertigkeit, gelang es ihr scheinbar mühelos, den Nerv der Inhaftierten zu treffen und ein Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern. Dazu erhob sie sich im Verlauf des Konzerts immer öfter von ihrem Stuhl, um die Distanz zu den Zuhörern zu verkleinern, und sie gleichzeitig zum Mitklatschen und zum Mitsingen zu animieren. So war innerhalb kürzester Zeit eine tolle Stimmung in der Kapelle erzeugt und viele der Anwesenden konnten für eine kurze Zeit die Tatsache hinter sich lassen, dass sie sich im Knast befanden.
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