Dinner Auf Uranos sind streng genommen eigentlich Nocte Obducta ohne Black Metal. So, wer sich jetzt darunter etwas vorstellen kann, und auf die Musik der Mainzer stand, als sie sich noch Nocte Obducta nannten, sollte aufhören dieses Review zu lesen und sich auf den Weg machen, um "50 Sommer - 50 Winter" zu besorgen.
All den anderen, die Nocte Obducta nicht kennen, werd' ich mal einen kurzen Einblick ins Detail geben: 1995 gegründet, brachte man es bis zur Auflösung 2008 immerhin auf sieben Longplayer, jeder allerdings so unterschiedlich wie es nur wenige Bands aus der schwarzmetallischen Szene schaffen.
War "Lethe (Gottverreckte Finsternis) " noch im Fahrwasser der leider immer noch größeren Agathodaimon (hier spielten auch einige Mitglieder von Nocte mit) angesiedelt, so wurde spätestens mit ihrer zweiten "Taverne (Im Schatten Schäbiger Spelunken)" klar, mit welcher Ausnahme-Formation man es zu tun hatte. Keine der Scheiben war wie die andere, und doch verband alle die gleiche Spiritualität und Wesenheit. Zwar wurde auch schon mal die infernalische Black Metal-Keule ausgepackt, wie bei "Schwarzmetall (Ein Primitives Zwischenspiel)", aber es gab immer Trademarks und Melodien, die einen sofort erkennen ließen, mit welcher Band man es zu tun hatte.
Dies sollte bis zuletzt so bleiben. Leider löste man sich 2007 auf, brachte aber immerhin 2008 noch ein letztes Statement in Form von "Sequenzen einer Wanderung" heraus. Allerdings hegte man schon in dieser Zeit den Gedanken an die "Mahlzeit auf dem achten Planeten", und näherte sich schon ein wenig an Dinner Auf Uranos an, indem man den letzten Scheiben immer sanfteren Tönen Platz einräumte. Nun endlich bekommen die Nocte-Fans wieder neue Labsal für Hirn und Seele.
Man fühlt sich direkt geborgen und heimisch beim ersten Silberteller von Dinner Auf Uranos, denn hier, wie auch bei der Vorläufer-Band, sind Passagen und Melodien, die man als Fan der Mainzer schon seit Jahren zu lieben gelernt hat, wieder vertreten.
Allerdings, und das könnte einige verschrecken, wird nicht mehr ganz so wild zu Werke gegangen. Nein, es sind nun endgültig die ruhigen recht verträumten Momente, die "50 Sommer-50 Winter" bestimmen. Also könnte man fast schon sagen, die Band um Marcel, der sich auch nicht mehr 'Traumschänder' nennt, ist ihrem Black Metal-Korsett entwachsen. Allerdings nicht ohne die typischen Gitarren und deren Sound mitzunehmen. Denn die gewisse Art, wie hier Melodien erklingen und zelebriert werden ist genauso, wie seit Jahren bestimmend für Nocte-Platten, nur halt nicht mehr nach Black Metal klingend, sondern oft sphärisch und auf gewisse Weise flüsternd. Immerhin hat man sich umbenannt, und führt den Hörer nicht komplett in die Irre, so wie es z.B. Ulver getan haben.
Aber man sollte diese Band nicht zu sehr mit deren wilderen Vorläufern vergleichen.
Insbesondere die Stimme von Marcel, der auch hier wieder auf Deutsch seine Texte vorträgt, ist der größte Unterschied zum Black Metal-Pendant. Allerdings ist hier wie da eine Gemeinsamkeit, denn bei beiden Bands ist die Musik eigentlich Untermalung für die lautmalerischen Texte.
Beim ersten Hören musste ich mich allerdings sehr an die Stimmfarbe gewöhnen, denn Marcel klingt, leider muss ich den Vergleich ziehen, ein wenig nach Heppner, denn ähnlich wie dieser betont er seine Wortschöpfungen. Aber das ist nur anfänglich so, denn man gewöhnt sich sehr schnell an die Stimme und lässt sie mit der Musik verschmelzen.
Wer einen Anspieltipp haben muss, dem möchte ich "Texas Della Morte" ans Herz legen, denn jener Track ist mit seinen bluesigen Gitarren und der etwas an Tito und Tarantula erinnernden Melodie wohl am ehesten was zum kennen lernen.
Obwohl, eigentlich sind alle sechs Lieder Anspieltipps, denn je öfter man "50 Sommer - 50 Winter" hört, zeigt sich jedes der Stücke als echtes Juwel der vertonten Kunst. Und Kunst ist das, was die Mainzer hier vom Stapel lassen allemal. Denn die Texte an sich könnten auch als Gedichte überzeugen (auch wenn sie vielleicht dem einen oder anderen als 'schwülstig' erscheinen mögen), und die Musik ist ebenfalls nicht von dieser Welt.
Zusammen allerdings ergeben sich wunderschöne Klangwelten, die einem eine meterdicke Gänsehaut bescheren. Auch wenn das Album recht langsam und verhalten beginnt, weiß die Scheibe mit der zunehmenden Laufzeit immer mehr zu gefallen, und gipfelt im über zwanzigminütigen Übersong "Töte das Jahr für mich" - einem Strudel der Emotionen, ganz ganz großes Kino. Wer hierbei nichts empfindet, ist wahrscheinlich im Koma oder schon tot!
Apropos Kino, wenn man sich Zeit nimmt für "50 Sommer-50 Winter", entstehen wunderschöne Bilder vor dem geistigen Auge, und das ist für mich ein echter Garant, dass man es mit wirklicher Kunst zu tun hat! Denn es gibt nichts Schöneres, als sich von einem Album davon tragen zu lassen, meinetwegen auch zum Dinner auf einem anderen Planeten!!!
Wer Bands wie Godspeed You! Black Emperor im Großen oder Apsis im Kleinen liebt, wird mit einer dreiviertelstündigen Reise belohnt.
Für mich jetzt schon, zusammen mit der neuen Anathema, eine der Platten des Jahres, zumindest in der Kategorie des Alternative Rocks.
Line-up:
Marcel (vocals, keyboard, programming)
Heidig (bass)
Stefan (guitar, vocals, programming)
Matze (drums, programming)
Tracklist |
01:6786
02:Zwischen dem Salz und Montpellier
03:Texas Della Morte
04:Frost I
05:Töte das Jahr für mich
06:Frost II
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Externe Links:
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