"Ich will kein Märchenonkel mehr sein!" - damit kündigte Ronnie James Dio 1991, zur Reunion mit Black Sabbath und dem folgenden Album "Dehumanizer", die Trendwende hin zum Reality-Stil an. Die Tour 1992 verlief dann gut.
Bis auf die Tatsache, dass ein gewisser Ozzy Osbourne gerade auf seiner 'No More Tours'-Tour war; der finalen Abschiedstournee. ähem...
Ob es sich nun im Nachhinein als Bullshit herausstellte oder nicht - am Schluss seines letzten Konzertes wollte er noch einmal zusammen mit seinen alten Sabbath-Kollegen auftreten und einige Klassiker zum besten geben. Schließlich hatte der Verfall seiner Stimme da grade erst begonnen.
Das konnte Dio ja noch verkraften, der seine Soloband für Black Sabbath auf Eis legte, als er das Potenzial des neuen, modernen Sabbath-Sounds erkannt hatte. Aber da war noch was: Black Sabbath, in der derzeitigen Besetzung mit Dio und Vinny Appice am Schlagzeug, sollte auf Ozzy's Konzerten den Opener für ihn spielen. ...Ich bin, gelinde gesagt, kein großer Ozzy-Fan, und werde mir jetzt jedes weite Ausschweifen dazu sparen.
"Black Sabbath muss für niemanden öffnen", meinte Dio daraufhin zum Rest der Band - schon gar nicht für Ozzy. Wenn man Ozzy immer Glauben schenken konnte, so war Tony Iommi ( Black Sabbath) ein verkrüppelter, einbeiniger Schwuler.
Es ging dabei auch um Ehre, und davon hat ein Ronnie James Dio mehr als genug. Zudem hat er bei dem Ganzen Heckmeck auch das gewittert, was danach auch noch fast eingetreten wäre - die Reunion mit Ozzy und sein Rauswurf.
Die Show wurde, nachdem man Dio nach seiner Verweigerung schweigend fallengelassen hatte, vom Judas Priest-Sänger Rob Halford gegeben. Der kleine Ronnie war wieder allein, und verdammt sauer.
Wieder zurück unter dem Dio-Banner, blieb er beim Reality-Konzept. Vinny Appice wurde zurückgeholt, Ex-Dokken-Bassman Jeff Pilson rekrutiert - und, ja, was war denn das?! Die Dio-Fans kippten weltweit von den Stühlen, als sie diesen neuen Gitarristen mit seinen grottenschlechten Solis hörten: Tracy Grijalva, kurz Tracy G. So gar nicht wie Ritchie Blackmore. Gar nicht Classic Metal, gar nicht Retro.
Das erste Album unter diesem Line-Up, "Strange Highways" - einfach hervorragend und der logische Nachfolger zu Sabbath's "Dehumanizer". Es war anders, aber brillant.
Aber Dio trieb es zu bunt und ließ sich zu weit aus der Kurve tragen, 1996 brachte schließlich "Angry Machines" und das Ende für Tracy G bei Dio.
Ach du meine Güte, da stimmte doch was nicht. Schon der erste Titel: kein schneller Opener, sondern gleich die volle Breitseite progressiver Dio-Moderne.
Wer das Live-Album "Dio's Inferno" von 1997 besitzt, wird den Unterschied hören. Tracy G kann keine vernünftigen Solis spielen, obwohl er sich Mühe gibt, und eine Band wie Dio braucht einfach Solis. Tracy G wurde deshalb nicht akzeptiert, aber Dio glaubte weiterhin an ihn. Er wollte ihn zwar nicht ersetzen, jedoch einen zweiten Gitarristen hinzuholen, was der mopsige Mexikaner ablehnte - und so trennte man sich im Guten.
Was wir hier haben, ein Album, das nicht mal mehr Ronnie selbst mag, ist tatsächlich Dio's progressivstes, modernstes Werk. Man muss alle Dio-Klischees beiseite nehmen und die Songs so nehmen, wie sie sind.
Vinny Appice liefert eine seiner besten Performances, ganz einfach. Jeff Pilson scheint der Stil zu liegen. Und auch wenn Dio's Stimme nicht wie sonst zur Geltung kommen KANN, so präsentiert er sich fehlerlos; gewöhnungsbedürftig, aber hungrig in all den kantigen und komplexen Tracks.
Tracy G's Stil, mag er auch nicht jedem gefallen, ist sehr originell, roh und heavy. Das Potenzial sowie das bereits Geleistete dieser Gruppe wird nach wie vor gnadenlos unterschätzt. Sogar die Prog-Rocker, die sich immer drüber beschwert haben, dass Dio sich ständig gleich anhört, waren nicht zufrieden.
"Angry Machines", genau wie genau wie "Dehumanizer" und "Strange Highways", spricht von Dingen, die sein werden, und Dingen, die bereits sind - von den Maschinen, die unser Schicksal bestimmen. Die Lyrics stehen außer Frage; genial.
Tracks wie das (für Dio) superschnelle "Don't Tell The Kids" wirken heute noch befremdlich, aber interessant. Und "Black"? Unfassbar, was Dio sich hier traute. "Hunter Of The Heart" ist noch relativ straight und ironischerweise der Song, der am meisten Zeit beansprucht hat.
Und da! Narrenfreiheit für Jeff Pilson für "Stay Out Of My Mind" mit einer endlos-Bridge. "Big Sister" erzählt stampfend von Gedankenüberwachung, und "Double Monday" vom schlimmsten Tag deines Lebens. Dann kommt "Golden Rules", der heimliche Titeltrack von "Angry Machines", heavy donnernd mit unheilverkündendem Intro. Zu kritisch? Mag vielleicht auch ein Grund für die schlechten Verkaufszahlen sein, womit Dio ironischerweise Recht gegeben worden wäre, denn laut 'Big Sister' dürfte niemand dieses Album hören. Nach "Dying In America" kommt dann das versöhnlich stimmende "This Is Your Life". Eine der schönsten Balladen ever, grade weil sie nicht im Radio-Sinne stattfindet, sondern einen mehr auf der subtileren Ebene anspricht. ...War das alles gerade wirklich passiert?
Sagt was ihr wollt - Dio könnte "Alle Meine Entchen" singen und ich würd's mir anhören. ...Hardcore-Fans besorgen sich natürlich den Bonustrack "God Hates Heavy Metal" ;-)
"...So I Know He Must Hate ME!"
Spielzeit: 45:34, Medium: CD, Steamhammer, 1996
1:Institutional Man 2:Don't Tell The Kids 3:Black 4:Hunter Of The Heart 5:Stay Out Of My Mind 6:Big Sister 7:Double Monday 8:Golden Rules 9:Dying In America 10:This Is Your Life
Christoph Segebard, 10.07.2005
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