Distorted Harmony/ Utopia
Utopia Spielzeit: 54:48
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2012
Stil: Prog Metal, Prog Rock


Review vom 10.10.2012


Ingolf Schmock
Auch wenn im modernen und verjüngten Israel die jüdischen Klagegesänge und antisemitischen Dogmen das Alltagsgeschehen verkrusten, so erbricht dessen raue Schale immer häufiger unter dem kreativen Drang vielschichtige und vom Serum dreier Weltreligionen genährte Künstler.
So verlangt dieser, insbesondere musikalisch überquellende Schmelztiegel schon längst nicht mehr nach Moscheen oder Synagogen, sondern nach überdimensionierten Poparenen, experimentierfreudigen Klubs, und vom stählernen Lärm erfüllten Pilgerstätten Nieten- und lederuniformierter Glaubensjünger. Erstarrte politische Strukturen der Völkerverständigung im Lande werden von der grenzüberschreitenden Macht der Musik scheinbar mühelos ignoriert und salopp demontiert. Die Jugend kanalisierte ihren Unmut gegen ein verknöchertes Greisen-Establishment schon von jeher in stilistisch raueren musikalischen Umgangsformen, wobei sich die pfeilschnell mutierenden Triebe hartriffiger Konsumphänomene unermüdlich ihren Weg durch den undurchdringlich scheinenden Dschungel gesichtsloser Studiokonfektionen bahnten.
So wird auch in Israels hauptstädtischen Übungskellern den zwar folklorefreien, jedoch pegelsatten, im Schweiße der Schöpfer geborenen Griffbrettattacken und deren kompositorisch verspielter Offenheit gehuldigt. Die Chancen der Jungspunde Distorted Harmony aus Tel Aviv bei YouTube jedenfalls, mit ihrer frisch verquickten musikalischen Duftmarke bei den nimmermüden Stöbernasen hart erprobter Genreliebhaber gewisse Begierden zu wecken, dürften durchaus pfundig ausfallen. Mit dem Erstlingswerk "Utopia" steigen die mit Exotenstatus behafteten Metal-Frischlinge nun in den zäh umkämpften Ring ihrer mittlerweile etablierten Konkurrenten, um in friedlicher Absicht und vernehmbarem Ingenium ein attraktives Plätzchen zu besetzen.
Längst wurden unwiederbringlich alle Nuggets aus dem einst unerschöpflich erscheinenden Flussbett einiger sich infernalisch vermehrenden Hard Rock-Enklaven geschürft und dauererprobte Bolzbrocken bis zur Übelkeit wiedergekäut. Dennoch zollen unsere noch recht unverbrauchten musikalischen Helden allen faustschwingenden Gralshütern eines dem chirurgischen Anspruch und der beinharten Akribie geschuldeten Schwermetalls ihren Tribut und bestärken die zweifelhafte Geschwisterliebe zwischen muskulöser Aggression und handwerklich kunstvoller Selbstbeweihräucherung. Umso befriedigender ist es, dass sich die Protagonisten nicht bis zum Erbrechen in Fingerfertigkeits-Exzessen und ondulierten Soundungetümen verlieren, sondern ihren drangvollen Spieltrieb vornehmlich im Zaume, anstatt eines ungezügelten Galopps halten. Mit geradezu soldatischer Disziplin lavieren diese über weite Strecken durch die von eifrigen und verkopften Metal-Gefolgschaften ausgetrampelten Pfade, wohlachtend der unumgänglichen Verlockungen Siebziger-Kunstrock-Pedanten, um am Ende selbst ein wenig vom güldenen Schein vergötterter Genretrendsetter zu erhaschen.
Auch wenn sich so manche angeblich originelle Neuerung zurückliegender Studioergüsse als Mogelpackung entlarvte, ist der Wille, sich dem Gleichklang zu widersetzen, dennoch ungebrochen. Die fünf Israelis treten den vermeintlich übermächtigen Genre-Stammhaltern jedoch breitbeinig und mit erfrischend handwerklichem Vermögen entgegen und protzen auf ihrem tönenden Gesellenstück gleich mal mit ausschweifend kommerzinkompatiblen Brocken, wobei der Kürzeste mit lächerlichen siebeneinhalb Minuten wohl schon jeden Metaller-Kulinaria-Zwischenstopp an der Pommesbude aus dem Rahmen sprengen dürfte. Scheinen die mittlerweile Etablierten ihr Pulver schon verschossen zu haben, so laden die Rotzlöffel mit erhöhter Relevanz zum Fach und leidenschaftlichem Erkundungstrieb kräftig nach, setzen zumindest musikalisch den unzähligen Variationen fortschrittlicher und hartleibiger Klangkosmen ein kleines Krönchen auf. Dabei glaubt man durchaus, Bekanntes wiederzuerkennen. So lösen sich Dream Theater-like scharfkantig progressive Rifflawinen gemächlich im Säurebad auf, taktieren aus der Trickkiste eines Konservatoriums und Klassik-geborene Tastengeflechte die Vielzahl symphonischer Komponenten und zerhacken grobmotorische Kopfnick-Ausbrüche die in unsäglichem Eklektizismus getauchten Schönklang-Melodien. Darüber hinaus scheut sich das oftmals klagende sowie aus Leid erwachsene Falsett von Misha Soukhinin mitnichten vor dick aufgeschmiertem Pathos, erwächst seiner jugendlichen Unverkrampftheit sogar etwas sympathisch Erfrischendes.
Erwartungsgemäß dürften die instrumentalen Zutaten den in bildungsbürgerlicher Retromania sowie im Jazz verwurzelten Freigeist-Geneigten wie auch den traditionsbewussten und kompositorische Komplexität tolerierenden Metaller gleichermaßen entzücken. Wenngleich sich die munteren Untergrund-Debütanten samt ihrer musikalischen Visitenkarten wohl schwer für den dicht belagerten Pantheon metallischer Rock-Kulturen qualifizieren mögen, so empfiehlt sich deren tadelloser und unexotischer Bewerbungssilberling jeder einflussreichen Industrie-Hoheit.
Dieses Mal noch vermochten sich die Künstler, dank der lang gereiften Eigenproduktion, eines Label-Abhängigkeitsverhältnisses zu erwehren und stellten den Album-Download demonstrativ für lau ins weltweite Netz. Den nächsten Wurf sollten die hoffnungsvollen Heißsporne jedoch nicht für 'nen Appel und ein Ei verschleudern, indes bedenken, dass wohl auch im Online-Zeitalter und freien medialen Umgang mit Musik der Nährwert des Studio-Brötchen-Belages stimmen sollte.
Line-up:
Misha Soukhinin (vocals)
Guy Ladau (guitar)
Yoav Efron (keyboards)
Iggy 'Jalapeño' Cohen (bass)
Yogev Gabav (drums)
Daniel Markovich (saxophone) [guest]
Tracklist
01:Kono Yume
02:Breathe
03:Obsession
04:Blue
05:Unfair
06:Utopia
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