Dixie Chicks / Taking The Long Way
Taking The Long Way
Die Dixie Chicks sind die erfolgreichste weibliche Band weltweit, haben unter anderem sieben Grammies auf ihrem Schrank sowie mit dem Album "Wide Open Spaces" das meistverkaufte Country-Album und damit einen der Top 100-Seller sämtlicher Kategorien aller Zeiten abgeliefert. Aber auch die neueste CD "Taking The Long Way" war nach vier Wochen bereits eine Million mal über den Tisch und mit Platin veredelt.
Und trotzdem dürfte die Dixie Chicks in Europa außer der Country-Fanschar kaum jemand kennen, wäre da nicht ...
... genau! - Natalie Maines legendärer Spruch: »Just so you know, we're ashamed the president of the United States is from Texas«, den sie beim einem Londoner Konzert im März 2003 vom Stapel ließ. Danach war ihnen der Hass aller US-Reps samt ihrer Redneck-Anhängerschaft, der Fluch des gesamten bigotten Bible Belts, die Aufmerksamkeit der Geheimdienste, der Boykott der maßgeblichen Bush-treuen Medien, aber auch die Sympathie und Anerkennung Millionen liberaler Musikfreunde weltweit sicher (trotz einer offiziellen, halbseidenen Entschuldigung an die Adresse Bushs), darunter auch meiner.
Was mich dann auch mit früheren Veröffentlichungen der drei Country-Sirenen in näheren Kontakt brachte. Gleich vornweg, oft sind die nicht im Neugebauer´schen Haushalt gelaufen, die Singerei war einfach nicht meins. Da half auch der Sympathie-Bonus nur vorübergehend.
Die Zeiten danach waren nicht so einfach für die erfolgsverwöhnten Damen. Deutlich weniger Konzertbesucher und verkaufte Platten (es wurde nur ein Live-Album und eine Live-DVD veröffentlicht), kaum Radioplay, was sie jedoch nicht zur 'Läuterung' im Sinne des Kriegstreibers und seiner Lobby brachte. Im Gegenteil: "Taking The Long Way", also den beschwerlichen Weg in Kauf nehmend, meldeten sie sich jetzt zurück. Mit dem eingangs geschilderten, durchschlagenden Ergebnis, das ihren Kritikern und Möchtegern-Schergen wochenlang Hasspickel in die Visagen trieb. In der ausgekoppelten (natürlich inzwischen Hit-)Single "Not Ready To Be Nice", den Emily Robinson ausdrücklich als autobiografisch bezeichnet, stellen sie unmissverständlich fest, dass sie nicht bereit sind, »schön zu tun«. Weder um des nationalen Friedens, noch um der Karriere willen.
»Bravo Mädels!« Auch ich reihe mich gern in die Reihen der Schulterklopfer ob dieser Gradlinigkeit ein. Die Millionen auf der hohen Kante haben wohl mitgeholfen, das Kreuz durchgedrückt zu lassen.
Das neue Album wurde von Rick Rubin produziert, der Mann der einerseits für so fette Sachen wie Run DMC, Knackiges, wie die Red Hot Chillis oder Unterirdisches, wie Slipknot, verantwortlich zeichnete, aber andererseits auch Johnny Cashs American Recordings so trefflich spröde und puristisch in Szene setzte.
Bei den Chicks gerierte er jedoch allzu poppige Arrangements, die alte Country-Mentalität ist über weite Strecken verschwunden. Die Damen tauchen bei allen 14 Songs als Co-Autorinnen auf, bei denen sie sich nach eigener Aussage an älterem Material orientierten. Ein gewisser 'Southern California Style' schwebte ihnen dabei vor, angelehnt an den Eagles, Tom Petty sowie den Mamas And The Papas. Auch äußerlich setzen sie sich vom Country-Lager (das die Chicks, konservativ wie ehedem, nach dem Bush-Vorfall fallen ließ) ab. Mondäne, wie Models geschminkte Ladies blicken seltsam blutleer vom Plattencover und ihren Homepages herab.
Mittlerweile ist die Scheibe bei mir in verschiedenen Playern und zu unterschiedlichen Gelegenheiten gelaufen, einen konsequenten Hördurchgang hat sie bisher jedoch nicht geschafft. Nicht in der Küche, noch im Arbeitszimmer, nicht im Auto und auch nicht zur Party-Untermalung. Trotz einiger Highlights, das mich immer anmachende Slide- oder Mandolinenspiel und einiger härterer Töne, die üppigen 66 Minuten am Stück sind einfach zu viel. Ich halte diese jubelnden, hohen Stimmen im Dreierpack nicht lange aus, vor allem nicht die leicht schneidende des Oberhuhns Natalie Maines.
Es sind nicht die nach wie vor countryhaften Gesangslinien, aber spätestens wenn die meist mehrfach übereinander geschichteten Chorstimmen dazukommen, möchte ich dann doch lieber Emmy Harris hören. Oder, wenn's schon Pop sein soll, die Bangles.
Die Songs an sich sind o.k., Mr. Rubin hat immer reichlich geschmackvolle Zutaten seiner Studiocracks und hochwertigen Gäste (u.a. John Mayer, Bonnie Raitt und Keb' Mo') auf Lager. Fiddles, Pedal Steels, Schrammelgitarren, majestätische Flügel oder auch mal ein Banjo obendrauf. Allerdings geraten manche Titel zu wahren Mini-Pop-Opern, etwa "Not Ready To Make Nice" mit "Ironic"-Intro, Orchester-Plüsch und sich aufbauschenden Stimmen-Overdubs wie seinerzeit bei Melanie und ihrem "Ruby Tuesday".
Rubin lässt gewaltig den Phil Spector raushängen. Da ist ein zurückhaltender Song wie "Lullabye" schon eine Erholung, obwohl da auch zum Ende hin immer mehr aufgeladen wird. Zuckerbäckers Schlaflied.
Mit "Lubbock Or Leave It" kommt endlich mal Schwung in den Laden, ein satter Country-Rocksong, bei dem das Banjo den Drive vorgibt. Zwar langsamer, aber dennoch von gleicher Qualität, setzt "Silent House" das erfreuliche Zwischenspiel fort. Zum Finale wartet mit "I Hope" eine weitere angenehme Überraschung. Das klingt 'very soulful', viel Gefühl, statt der ansonsten vielen Spuren. Der Song wurde vorab als 'Katrina-Benefit' veröffentlicht.
"Taking The Long Way" startete durch auf Platz Nr. 1 der US-Charts, sowohl auf dem Pop- als auch auf dem Country-Sektor; die Chicks haben damit wohl die alten Fans zurückerobert, aber auch viel neue hinzugewonnen.
Den Mädels gilt nach wie vor meine Sympathie für ihre kritische und auch soziale Haltung (u.a. haben sie 2003 dem Amerikanischen Roten Kreuz eine Million Dollar überwiesen), aber ein Fan ihrer Musik werd ich sicher nie. Meine Frau und meine Katzen übrigens auch nicht.
Die Chicks sind:
Natalie Maines
Emily Robison
Martie Maguire


Spielzeit: 66:01, Medium: CD, Open Wide/Columbia, 2006, Country Pop
1:The Long Way Around 2:Easy Silence 3:Not Ready To Make Nice 4:Everybody Knows 5:Bitter End 6:Lullaby 7:Lubbock Or Leave It 8:Silent House 9:Favorite Year 10:Voice Inside My Head 11:I Like Iit 12:Baby Hold On 13:So Hard 14:I Hope
Norbert Neugebauer, 03.08.2006