Dixie Dregs / Dregs Of The Earth
Dregs Of The Earth Spielzeit: 43:21
Medium: CD
Label: Arista Records, 1980
Stil: Fusion


Review vom 03.12.2011

  
Steve Braun
Wenn mich jemand nach meinen drei Lieblingsbands fragen würde, was zum Glück keiner tut, käme die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Gov't Mule, Little Feat und die Dixie Dregs. Keine einzige Zeile ist bis dato über die Dixie Dregs in RockTimes zu finden gewesen - das wird sich mit diesem Tag ändern! Die unendlich schwierige Frage ist nur: Welches ihrer Meisterwerke soll ich nehmen? Bis auf die "Industry Standard" von 1982 gab es nämlich keinen einzigen Hänger der Band, die wegen ihrer Herkunft und (vor allem) wegen ihres Vertrags bei Capricorn Records völlig zu Unrecht oftmals dem Southern Rock zugerechnet wurde. Ich hab mich für die "Dregs Of The Earth" entschieden. Schweren Herzen musste ich Klassiker wie die "What If" oder "Unsung Heroes" links liegen lassen - die "Full Circle" fiel knapp durch das Raster, weil eine unserer Vorgaben für die Advents-Scheiben - ein 'Mindestalter' von zwanzig Jahren - nach Möglichkeit nicht unterschritten werden sollte.
Das Leben ist hart, aber dafür ungerecht: Genau so könnte man die Karriere der Dixie Dregs zusammenfassen. Aufrecht gingen sie sang- und klanglos im Mainstream-Müll der 80er Jahre unter. Das Interesse an ihnen ist allerdings nach dem Einstieg von Gitarrist Steve Morse bei Deep Purple beträchtlich gestiegen. Die Sterne stehen aber nicht günstig, dass es im Rahmen der allgemein grassierenden 'Reunionitis' zu einer Reformation dieser Truppe kommen könnte. Zwar gibt es gelegentliche Auftritte von Steve Morse, Dave LaRue und Rod Morgenstein, aber wichtige Mitglieder wie Andy West und Allen Sloan sind aufgrund beruflicher Verpflichtungen unabkömmlich - der arme T Lavitz erlag im vergangenen Jahr einem Herzinfarkt.
Begonnen hatte alles in den späten 60ern, als Steve Morse und Bassist Andy West gemeinsam mit anderen in Augusta/Georgia eine Highschool-Band gründeten, die sich The Dixie Grit nannte. Kurz darauf stieß noch der Keyboarder Mark Parrish, der mit dem zweiten Album verspätet zu den Dixie Dregs zurückkehren sollte, dazu. Neben eigenen Songs coverten sie vor allem Klassiker von Led Zeppelin und Cream. Das Ding überlebte nicht lange, da Steve Morse von der Highschool flog, weil er sich weigerte, sich die Haare schneiden zu lassen, und sich daraufhin nach Miami orientierte.
Wenige Jahre später trafen sich Morse und West an der University of Miami wieder und gründeten The Rock Ensemble. Hier trafen sie mit dem Geiger Allen Sloan (Sloanov) und dem Drummer Rod Morgenstein zusammen. Die Keyboarder gaben sich allerdings die Klinke in die Hand. 1975 wurden die Dixie Dregs gegründet.
In dieser frühen Phase entstanden bereits spätere Klassiker wie "Odyssey" und "The Great Spectacular". Ansonsten coverte man Songs wie Jessica und Free Bird in instrumentalen Versionen. Anfang 1976 nahmen sie die Demo-EP "The Great Spectacular" auf, die wenig später zur Eintrittskarte bei Capricorn Records wurde. Als glücklicher Zufall stellte sich das Treffen mit dem damaligen ABB-Keyboarder Chuck Leavell nach einem Gig der Dregs in Nashville wenige Monate später heraus. Diesem fielen gemeinsam mit dem damaligen Roadmanager der ABB, Twiggs Lyndon, fast die Augen aus dem Kopf, als sie dieses Quintett aus Miami hörten und mit offenen Augen, Ohren und Mündern im Publikum saßen. Der Kontakt zu Phil Walden von Capricorn war schnell hergestellt und zu Weihnachten 1976 lag ein unterschriebener Plattenvertrag unter dem Weihnachtsbaum der Dixie Dregs. Bereits im Frühjahr 1977 erschien die erste offizielle LP "Freefall". Die Basis-Besetzung Steve Morse, Andy West, Allen Sloan und Rod Morgenstein sollte für viele Jahre - genauer gesagt bis 1982 - zusammen bleiben.
Anfang 1978 verdichteten sich hierzulande die Gerüchte, dass die Dixie Dregs auf dem renommierten Montreux Jazz Festival auftreten würden. Im weblosen Zeitalter war es noch ziemlich abenteuerlich, an die notwendigen Eintrittskarten zu kommen. Irgendwie gelang es meinen Bandkollegen und mir und wir machten uns im Juli mit einem klapprigen R4-Kastenwagen, randvoll gefüllt mit alternativen Rauchwaren und Dosenbier, auf die Reise. Um es jetzt wirklich abzukürzen: Die Dregs waren nahezu völlig unbekannt und wurden von den Jazz-Snobs mit allenfalls höflichem Applaus begrüßt. Nach einem fulminanten 45-Minuten Set stand Montreux Kopf - alle waren sich einig, dass sie hier gerade einem Urknall beigewohnt hatten. Ein neuer Stern war geboren worden!
Einige Titel aus Montreux wurden ein Jahr später auf der "Night Of The Living Dregs" veröffentlicht - und dann kam 1980 die "Dregs Of The Earth"...
...und wie!! Gleich mit "Road Expence" wird dem Hörer ein lupenreiner Hard-Rocker - die härteste Nummer, die die Jungs bis dato aufgenommen hatten - um die Ohren geschlagen. Gitarrenmelodien und -soli lassen zu keinem Zeitpunkt den Gesang vermissen. Der rein instrumentale Sound war das Markenzeichen der Dixie Dregs. Die "Dregs Of The Earth" war die erste Scheibe für das neue Label Arista und dessen Plattenbossen war das Produkt zu wenig kommerziell. Es begann das sukzessive Sägen an dem Trademark der Dregs, was die Band 1982 entnervt das Handtuch werfen ließ.
Mit "Pride O' The Farm" folgt eine irrwitzige 'raw-hide' Bluegrass-/Jazz-Nummer - ihr habt richtig gelesen, auf jedem Album der Dregs ist so ein abgefahrenes Ding zu hören. Violine, Piano und Gitarre werfen sich die Soli derart im Zeitraffertempo zu, dass dem Hörer fast schwindelig wird! Das schwer pumpende "Twiggs Approved" ließe sich noch am ehesten dem oben beschriebenen Southern Rock zuordnen. Die Nummer ist eine Hommage an ihren alten Freund und Roadmanager Twiggs Lyndon, dem sie ihren Deal bei Capricorn zu verdanken hatten. Dieser war Wochen zuvor beim Sky-Diven etwas zu tief 'getaucht' und wurde jetzt mit einem druckvollen Swamper posthum geehrt.
"Hereafter" ist einer der schönsten und komplexesten Songs, die die Dixie Dregs jemals geschrieben haben und 'toppt' damit sogar das gewiss schwer zu überbietende "Night Meets Light" von der 1978er "What If". Das Ding ist vertrackt bis ins kleinste Detail: seidenweiche Mini Moog- und Violinensoli, die einen extremen Kontrast zu gegenläufigen Riffs und Rhythmen bilden - 'geradeaus' spielt hier keiner...
Mit "The Great Spectacular" findet ein weiterer 76er Demo-Song den Weg auf ein offizielles Album - ein 'straighter' Hard-Rocker, der gnadenlos nach vorne rockt. Höhepunkt ist Steve Morse' wahnwitziges Gitarrensolo, dass sehr schön verdeutlicht, was sein unverwechselbares Single-Tone-Fingerpicking ausmacht. "Broad Street Strut" stolziert wie eine pfauenhafte Diva auf dem Kudamm daher: Barock-opulent und trotzdem verspielt, Sloans Violine lässt den Charme der Wilden Zwanziger nur so triefen - herrlich!
Der Höhepunkt von "Dregs Of The Earth" ist fraglos "I'm Freaking Out", ein fulminanter, geradezu lukullischer, jazziger Hard-Rocker. Auf neun Minuten kann hier vor allem T Lavitz glänzen: Das Piano hackt verzwickt im Stil eines Dave Grusin, während die satten Hammond-Einschübe an Jon Lord erinnern - was für ein Fön!!
Ist das Jazz- oder Hardrock, was die Dixie Dregs damals zelebrierten? Die Band hat diese oft gestellte Frage stets amüsiert. Und sie beantworten sie selbst... mit einer klassischen Barock-Nummer. 'Wir passen in keine Schublade' - Songs wie "Old World" sind auf jedem ihrer Alben zu finden. Einer gemeinsamen Leidenschaft von Steve Morse und Allen Sloan, die sich erneut auf unnachahmliche Weise duellieren, wird hier gefrönt.
Ich hatte mir immer gewünscht, dass die Dixie Dregs noch einmal zusammenfinden, aber diese Hoffnung habe ich mittlerweile begraben - und vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Andy West ist ein extrem erfolgreicher Software-Entwickler im Silicon Valley, Prof. Dr. Allen Sloanov ein begnadeter Chirurg, T Lavitz ist tot - Steve Morse als Mastermind hin oder her: Was wären die Dixie Dregs ohne diese Drei? Ergötzen wir uns lieber an ihren neun Alben (offizielle Bootlegs eingerechnet) und der Montreux-DVD sowie der einzigartigen Schönheit ihrer Musik.
Line-up:
Steve Morse (electric and acoustic guitars, banjo, pedal steel)
Andy West (fretted and frettless bass)
Allen Sloan (acoustic and electric violins, viola)
Rock Morgenstein (drums and percussions)
T Lavitz (acoustic and electric piano, organ, synthesizer, clavinet)
All Songs written and produced by Steve Morse
Tracklist
01:Road Expence (3:24)
02:Pride O' The Farm (3:42)
03:Twiggs Approved (4:34)
04:Hereafter (6:26)
05:The Great Spectacular (3:22)
06:Broad Street Strut (3:58)
07:I'm Freaking Out (9:08)
08:Old World (2:00)
Externe Links: