 Das letzte Konzert vor der Sommerpause in der Bluesgarage brachte noch mal ein absolutes Highlight auf die Bühne von Isernhagen. Die amerikanische Southern Rock-Legende Doc Holliday machte im Rahmen ihrer "Rebel Souls"-Tour anlässlich ihres 25-jährigen Bühnenjubiläums wieder mal Station vor den Toren der niedersächsischen Landeshauptstadt. Mir war das letzte Konzert von Bruce Brookshire und seinen Mannen vor zwei Jahren noch in sehr guter Erinnerung. (Mit "Simple Man" ist übrigens ein Song dieses Gigs auf dem ersten Bluesgaragen Sampler von Eckhard 'Wallbreaker' Gallus dokumentiert und festgehalten.)
 Damals traten Doc Holliday nur in Trio-Stärke an und verwandelten die Bluesgarage trotzdem in ein Tollhaus. Dieses Gastspiel war durch die Personalreduzierung etwas ganz Besonderes geworden, hatten die Zuhörer dadurch doch die ganz seltene Gelegenheit, einen Akusik-Part der Band live mitzuerleben. Darauf mussten wir heute wohl verzichten, denn heute waren alle Mann an Bord, sodass man diesmal wohl mit den typischen Gitarrenschlachten zwischen Bandboss Bruce Brookshire und John Turner Samuelson rechnen durfte. So jedenfalls meine Vermutung, denn das letzte Konzert von Doc Holliday in voller Besetzung, das ich persönlich miterlebt habe, fand im Jahr 1993 statt, und daran kann ich mich beim besten Willen nicht mehr so richtig erinnern.
 Auch die Tatsache, dass dieser Auftritt für eine geplante Live CD/DVD mitgeschnitten werden sollte, erhöhte meine persönliche Spannung noch um Einiges. In Erwartung eines vollen Hauses machten wir uns schon etwas früher als gewöhnlich auf den Weg und planten auch den Ferienbeginn in fünf Bundesländern mit ein, der eventuell zu Staus auf dem Highway führen konnte, denn eine verkehrsbedingte Nichtteilnahme an einem Doc Holliday-Konzert kam für uns natürlich überhaupt nicht in Frage. Doch alle in Betracht gezogenen Schwierigkeiten erwiesen sich im Nachhinein als null und nichtig. Die Autobahn war so frei wie selten, keine Baustelle hielt uns auf, und auch in der Bluesgarage war noch kein größeres Gedränge zu verzeichnen. Also war alles im Lot. Selbst die Sonne brannte ausnahmsweise nicht ganz so unbarmherzig auf uns herab.
 Drinnen im Saal herrschte diesmal etwas mehr Gewusel als sonst üblich. Vier Leute bereiteten die Videokameras für den Gig vor und suchten die passenden Standorte für die Installation der Geräte aus, und in der Ecke vom 'Hausaufnahmeleiter' Eckhard drängelte sich nun auch noch die offizielle Mitschnittscrew von Doc Holliday herum. Auf den Vergleich der beiden Live-Aufnahmen bin ich jetzt schon sehr gespannt! Stichwort: 'Absolutely Live Recordings'. Ansonsten tat sich publikumsmäßig noch nicht allzu viel. So blieb noch genug Zeit, um uns ein wenig umzusehen, und gleich war auch ein Foto von der leeren, oder besser gesagt menschenleeren, Bühne fällig. Ich habe selten so perfekt ausgerichtete Gitarren gesehen. Dieses Bild musste man einfach festhalten
 So langsam füllte sich die Bluesgarage. Diesmal war das 'ältere' Publikum absolut in der Überzahl. Trotzdem tauchten nur recht selten Stetsons auf. Auch Südstaatenflaggen oder Uniformen der Konföderierten Armee waren eher eine Seltenheit. Das hatte ich bei meinen letzten Konzerten von Lynyrd Skynyrd noch ganz anders im Gedächtnis. Die Anwesenheit des Fachpublikums dieser Musikrichtung war aber dennoch anhand der zahlreichen Tour-Shirts deutlich auszumachen. Da leuchteten uns doch einige der ganz großen Namen entgegen. Von Blackfoot, über Molly Hatchet und Lynyrd Skynyrd war eigentlich alles vertreten, was im Southern Rock von Bedeutung ist. Lediglich die Allmans Brothers Band habe ich nicht entdecken können. Aber wann die sich das letzte Mal in Good Old Germany haben sehen lassen, das ist ja schon fast gar nicht mehr nachvollziehbar.
 Um 22:10 Uhr (10 Minuten Verspätung bei einem Konzert in der Bluesgarage? - Sehr ungewöhnlich und selten bei Henry zu erleben) erstirbt die Musik aus der Retorte, (diesmal sinnigerweise übrigens Rock aus den Südstaaten der USA, um uns gleich in die richtige Stimmung zu versetzen) und "Jessica" kündigt wie üblich den Beginn des Konzertes an. Höchste Zeit, meinen Platz vor der Bühne einzunehmen. Diesmal hatten wir Fotografen nicht ganz so viel Bewegungsfreiheit, wie sonst üblich, denn die Videomitschnitte für die DVD wurden natürlich auch von hier aus mit zwei Kameras aufgenommen und genossen absolute Priorität. Vollkommen klar. Trotzdem gab es noch genug Platz und Gelegenheit, etliche brauchbare Bilder zu schießen. Außerdem war es auch sehr interessant, die gefilmten Nahaufnahmen zu sehen. Ich glaube da kommt ein sehr guter Konzertfilm auf uns zu!
 Ganz außen am linken Bühnenrand nahm Daniel 'Bud' Ford Aufstellung, groß, breit, ein Bär von einem Mann, mit langen Haaren und Vollbart. Der Linkshänder ist ein Paradebeispiel, wie man sich einen Southern Rocker in seinen Träumen vorstellt. Allein bei seinem Anblick weiß man schon, was musikalisch auf einen zukommt! Mit seiner stoischen Ruhe erinnert dieser Mann direkt an einen Bill Wyman oder John Entwistle, bei denen man auch jede einzelne Bewegung auf der Bühne zählen konnte. Dicht daneben schultert Leadgitarrist John Turner Samuelson sein Instrument. Auch er langmähnig, in Cowboystiefeln steckend und die Arme tätowiert, ein typischer Fall von Südstaaten Rocker. Während Organist Eddie Stone die rechte Seite der Bühne belegt, bleibt noch eine ganze Menge Platz für Bruce Brookshire himself, seines Zeichens Kopf der Band und zuständig für Gesang und Lead- bzw. Slidegitarre. Und diesen Platz nutzt der kleine Mann (heute kam er mir aber auch besonders klein vor!) mit der großen Stimme auch voll aus. Ständig in Bewegung tobt er zwischen seinen Bandkollegen hin und her und verbreitet so einen mächtigen Schwung und Elan. Zwischendurch kommuniziert er durch seine reichhaltige Gestik immer wieder mit dem Publikum, das immer wieder begeistert darauf reagiert.
 Schon gleich beim Opener "Ain't No Fool" springt der Funke auf die Zuhörer über, und jedes Solo wird frenetisch abgefeiert. Egal, ob die Post dabei so richtig abgeht und Brookshire und Samuelson dabei ihre Saiten nacheinander oder zusammen fast zum Glühen bringen, oder ruhigere, countryhafte Töne mit mehrstimmigem Harmoniegesang angeschlagen werden, die Begeisterung ist überschwänglich. Immer wieder treffen sich die beiden Gitarristen auf der Bühne und treiben einander, dicht an dicht stehend, gegenseitig und sehr publikumswirksam zu Höchstleistungen an. Keine Frage, auch jede dieser Aktionen wird stürmisch beklatscht und bejubelt. Überhaupt scheinen mir die Leute im Saal heute besonders motiviert und stürmisch zu sein. Und das bei Temperaturen, die einem schon beim Schlussapplaus nach jedem Song den Saft aus allen Poren treibt.
 Auch vom Sound her war das Konzert im Großen und Ganzen okay. Die Drums von Danny 'Cadillac' Lastinger donnerten volles Rohr aus den Boxen und ließen zusammen mit den Bassläufen die Grundmauern der Bluesgarage erbeben. Der Gesang kam klar und deutlich rüber. Lediglich die Gitarren hätten im Vergleich zu den Keyboards etwas mehr Saft vertragen können, denn in manchen Passagen gingen sie gegenüber dem Orgelsound doch etwas unter. Das waren aber nur Kleinigkeiten, die auch nicht oft zu hören waren und deshalb auch kaum ins Gewicht fielen.
 Musikalisch gab es den erwarteten Querschnitt durch die Bandhistory. Alle wichtigen und guten Songs aus fünfundzwanzig Jahren waren dabei. Die Eigenkompositionen "It Suits Me Too", "Highway Call", "Redneck R & R Band", "Southern Man" und "Song For An Outlaw" fehlten ebenso wenig, wie die Coverversionen von Thin Lizzys "Jailbreak" oder dem "Statesboro Blues" von den Allmans. (Übrigens der einzige Titel von der aktuellen CD "Rebel Souls", da aber in einer gänzlich anderen Fassung!) Den Vogel aber schoss wieder Mal "Lonesome Guitar" ab. Wie erwartet sang das Publikum den Refrain lautstark mit und wurde dadurch von der Band natürlich mit den üblichen Textspielchen in den Song eingebunden. Egal, was man von solchen Praktiken hält, zur guten Laune trägt so etwas immer bei.
 Obwohl ich manchmal den Eindruck hatte, dass aufgrund der DVD-Aufnahmen so manche Bewegungen und auch die Mimik teilweise etwas gekünzelt dargeboten wurden, muss ich aber ganz klar feststellen, dass Doc Holliday wieder ein klasse Konzert auf die Bühne der Bluesgarage brachte. Vielleicht täusche ich mich ja auch nur, und die Band ist eben einfach immer so freundlich. Das sind aber auch alles nur Nebensächlichkeiten, die nichts mit der Qualität der Musiker zu tun haben. Doc Holliday steht nach wie vor für gute Musik und sehr gute Live-Auftritte. Diese Band sollte man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen, wenn sie in unseren Breiten unterwegs ist.
Setlist:
- Set 1: -
Ain't No Fool
Never Another Night
Fire On The Mountain
Run For Your Life
Good Woman Is Hard To Find
Southern Man
It Suits Me Too
Highway Call
Redneck Rock'n'Roll Band
Roll Over Beethoven / I'm A Rocker
- Set 2: -
Pride And Joy
Song For The Outlaw
Jailbreak
Statesboro Blues
Keep On Running
Lonesome Guitar
Redneck Rock'n'Roll Band (Zugabe)
Doc Holliday - Rebel Souls Tour, 22. Juli 2006, Blues Garage Isernhagen
Jürgen Bauerochse, 27.07.2006
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