Künstlernamen können auf einer äußerst spannenden Geschichte beruhen, aber in vielen Fällen auch äußerst banal sein. Als Außenstehender frage ich mich manchmal bei dem einen oder anderen Pseudonym: Warum? So auch in dem vorliegenden Fall. Benannt nach dem vor angeblich über 300 Jahren ausgestorbenen, flugunfähigen Vogel, der ausschließlich auf den Inseln Mauritius und Réunion im Indischen Ozean lebte und sich mit Vorliebe von vergorenen Früchten ernährte, gab sich ein Indie-Rock-Psychedelic-Folk-Duo aus San Francisco, bestehend aus Meric Long (Gesang, Gitarre) und Logan Kroeber (Gesang, Schlagzeug), den kinderleicht auszusprechenden Namen The Dodos. Aus meiner Sicht ein wirklich cooler Name, der hängen bleibt, dennoch stelle ich mir auch hier die Frage: Warum dieser Name? Vielleicht finde ich - wie so oft - in der Musik die Antwort.
Mit bereits fünf Alben in sieben Jahren - wobei Long das Debüt "Dodo Bird" (2005) noch solo bestritt - kann man diesen beiden intelligenten Vögeln aus Kalifornien alles andere als Trunkenheit oder gar Faulheit vorwerfen. Viel eher haben sich die beiden Musiker in einen experimentellen Rausch gespielt, der auch auf dem in diesem Sommer erschienenen sechsten Werk namens "Carrier" für die Nachwelt festgehalten wurde. Wer bei The Dodos jedoch traditionell einfach gestrickte, eingängige Pop-Muster à la Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Bridge-Refrain erwartet, der braucht an dieser Stelle nicht mehr weiterzulesen.
Meric Long hatte sich einige Zeit dem Studium von westafrikanischen Trommeltechniken und Country-Blues-Fingerpicking gewidmet, Logan Kroeber - selbst Drummer und experimentierfreudig - kommt aus dem Metier Progressive Metal. Und die Ausgangslage für die Entstehung von "Carrier" war tragisch: Beide Musiker mussten im Vorfeld den plötzlichen und unerwarteten Tod ihres Freundes und Gitarristen Chris Reimer verkraften, dessen immenser musikalischer Einfluss als Inspiration für "Carrier" diente. So wurde diesem auch posthum die neue Platte gewidmet.
Reimers Wirken führte dazu, dass Long das Songwriting in einer für ihn völlig neuen Arbeitsweise anging. Zunächst schrieb er die Songtexte und kreierte Bilder vor seinem inneren Auge. Anschließend erschuf er den musikalischen Rahmen für jene Texte. Dabei ließ sich Long allein von den Klängen seiner Gitarre leiten und legte den Fokus bewusst nur auf dieses Instrument. Und beherzigte Reimers Worte, stets Geduld und Enthusiasmus für die Entwicklung eines Songs mitzubringen.
Für die Aufnahmen zog es Long und Kroeber in John Vanderslices Telephone Recording Studios in San Francisco, um ein rein analoges Klangbild zu kreieren. Dort fanden sie mit dem Magik*Magik Orchestra eine enorm unterstützende Gemeinschaft vor, die auch auf einigen der neuen Tracks zu hören ist. Herausgekommen ist mit "Carrier" eine Scheibe voller überraschender Tempi-Wechsel und rhythmisch-komplexer Arrangements. Wer sich traut genauer hinzuhören, kann hier in vielschichtige Klangsphären eintauchen, die sich den meisten Hörern wahrscheinlich nicht beim ersten oder zweiten Durchlauf, vielleicht aber auch nie erschließen mögen. Und genau hier liegt ein Knackpunkt dieser Platte: Sehr vertrackte, sehr verkopfte, nicht für den Mainstream taugliche Songstrukturen wurden hier gemalt. Bewusst werden Grenzen und Erwartungen ignoriert, was auf der einen Seite abweisend, weil nicht eingängig, aber auf der anderen Seite auch anziehend sein kann, weil dies neue spannende Hörerlebnisse birgt. Diese schwanken zwischen fiebrig und konzentriert, schroff und feinsinnig, holprig und elegant fließend. Dennoch scheint der Sound der Dodos mittlerweile ein wenig zugänglicher zu sein als der von früheren Werken.
Bereits das Eröffnungsstück "Transformer" offenbart eine rhythmische Komplexität mit kuriosen Taktwechseln und tönt wie eine Aneinanderreihung von gegenläufigen Gitarren- und Schlagzeugmustern. Auch "Substance" gründet nicht auf einem einfachen 4/4-Takt. Hier steht das Schlagzeug deutlich im Vordergrund, während das Gitarrenspiel etwas abseits zwei ineinander geflochtene, verträumt-orchestrale Bahnen aus Fingerpicking und Akkordgesäusel zieht. Die Vorabsingle "Confidence" baut sich Stück für Stück zu einem drängenden Distortion-Stampfer auf, der in einem berauschenden Finale mündet und zu Recht als Single ausgekoppelt wurde. "Relief" glänzt mit einem ultraschnellen Fingerpicking, dessen Töne sich zu einem davoneilenden Klangrinnsal vereinen. Dazu Longs elfenhafte Stimme, die den Hörer wieder weich einhüllt, bevor nach zwei Minuten eine verzerrte Gitarre, Bläser und ein Bombast-Schlagzeug in Richtung Zukunft auf- und alle zuvor aufgebaute Atmosphäre wegbrechen.
Die Songs auf "Carrier" zeugen von einem großartigen Kompositionstalent. Allerdings habe ich die ganze Zeit das Gefühl, vor einer verschlossenen Tür zu stehen, dessen passenden Schlüssel ich nicht besitze. Und dabei lockt unendlich verführerisch das zwischen den Türritzen hell durchschimmernde Licht - am Ende will ich diese Tür einfach nur noch wütend eintreten. Irgendetwas fehlt mir - ich wünsche mir beim Hören einen dritten Musiker herbei, der eine zusätzliche, kompensierende Etage in diesem Klanghaus errichtet, sodass die beiden anderen mit ihren kreativen Riesenköpfen nicht mehr ständig an die tiefhängende Decke stoßen. Longs kuschlig warme Stimme bringt zuckersüße Melodien hervor (vor allem ausgerechnet beim alle Angst nehmenden Stück "Death"!) und harmoniert prächtig mit den akzentuiert-gezupften Klängen seiner Klampfe und Kroebers kniffligen Drumlinien. Doch bei vielen Stücken stoßen die zwei an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wodurch sie ihre Musik nur durch das Aufreißen weiterer Verstärker steigern lässt - das nimmt den Liedern ihren Schwung und bremst deren Durchschlagkraft. Und das ganze Herumexperimentieren mit den Sounds wurde mir bei Songs wie "The Current" oder dem in alle Himmelsrichtungen driftenden "The Ocean" einfach zu anstrengend.
Dies ist eine Platte, für die man sich Geduld und Ruhe nehmen muss, um überhaupt Zugang zu finden. Zusammengefasst habe ich eine mir ausreichende Antwort auf meine eingangs gestellte Frage bekommen: The Dodos sind schräg, nachtaktiv, oft berauscht und können nicht fliegen - noch nicht.
Line-up:
Meric Long (vocals, guitars)
Logan Kroeber (drums)
Magik*Magik Orchestra (string arrangements, French horn - #6,10,11)
Anna Hillburg (trumpet - #2)
Nick Mirov (cello - #9)
Tracklist |
01:Transformer
02:Substance
03:Confidence
04:Stranger
05:Relief
06:Holidays
07:Family
08:The Current
09:Destroyer
10:Death
11:The Ocean
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