 Eines der Konzerthighlights des neuen Jahres, speziell was das Genre Blues oder Blues Rock angeht, findet heute Abend statt. Prädestiniert für solche Ereignisse ist seit Jahrzehnten das Quasimodo in Berlin. Die Band, die sich die Ehre gibt, hat mich schon in meiner Jugend fasziniert. Dr. Feelgood heißt die Formation, und keine Angst, es werden keine Spritzen verteilt oder Begutachtungen in irgendwelchen Körperöffnungen vorgenommen. Obwohl es zu damaliger Zeit nicht unbedingt meine Lieblings-Musikrichtung war, habe ich sie im Konzert gesehen, und mir einige LPs zugelegt. Die Band hatte etwas und ihre Konzerte waren sensationell. Großen Anteil an ihrem damaligen Erfolg hatte ohne Zweifel Lead-Sänger Lee Brilleaux, der leider viel zu früh verstorben ist. Einen Sänger zu ersetzen ist immer das Schwierigste in einer Band, da Stimme und Ausstrahlung oft deren Handschrift trägt. Wenn dann im Laufe der Jahre die verbliebenen Mitglieder ebenfalls ausgetauscht werden müssen stellt sich am Ende die Frage, in wie weit der Name einer Band noch gerechtfertigt ist, wenn nicht wenigstens ein Original-Mitglied fungiert.
 Deswegen ist die Überraschung um so gelungener, als sich der Bühnenvorhang öffnet und kein Geringerer als 'The Big Figure' himself, Gründungsmitglied John Martin, hinter seinem Schlagzeug Platz nimmt. Im Verlauf des Abends legt er ein Pensum vor wie ein Schwerarbeiter und von Konditionsmangel ist bei ihm absolut nichts zu sehen. Ebenso wie bei seinen Kollegen Robert Kane und Steve Walwyn, die sich auf der Bühne bewegen, als hätten sie soeben ihre erste Goldene Schallplatte bekommen. Lediglich Bassist Phil Mitchell hält sich dezent zurück, was aber in seinem Handwerk als Vier-Saiten-Zupfer öfter zu beobachten ist.
An meiner Seite steht dieses mal Fotografin Mona Wolters und wir beide haben in Vorahnung unsere großen Geschütze aufgefahren. Anscheinend sehr zum Missfallen von Sänger Robert Kane, der uns erst einmal eindringlich darauf hinweist nichts zu filmen, wobei wir so viel fotografieren dürfen wie wir möchten. Also nehmen wir die Band heute Abend hemmungslos ins Kreuzfeuer und werden mit posenden Musikern und tollen Bildern belohnt.
 Kaum hat Kane das Mikro in der Hand, schon lässt er die Sau raus. Langsame Songs gibt es nicht einen einzigen während der Show und es dauert auch nur wenige Minuten, bis der erste Hit gelandet wird. "Roxette" spielt das Quartett so gut, wie es damals in die LP-Rille gepresst wurde. Meine Erinnerungen an das Konzert vor fast dreißig Jahren kann ich plötzlich abrufen als wäre es gestern gewesen. Frontmann Robert Kane ist grandios. Seine Bewegungen zur Musik, seine Mimik, der Gesang und das Spiel mit dem Publikum sind kaum zu übertreffen. Ich kann meine Augen und meine Kamera nicht von ihm lassen, und weiß mich nicht zu entscheiden, ob ich die Musik genießen, oder mich an seinem Charisma erfreuen soll. Er ist der perfekte Entertainer und wäre nicht so vollkommen, wenn er seinen Bandkollegen nicht den gehörigen Freiraum lassen würde. So kommt mehrfach Gitarrist Steve Walwyn in den Genuss, die Bühne für sich zu beanspruchen. Seine Lieblingsgitarre dabei scheint eine  Fender Telecaster zu sein, die wohl das gleiche Alter hat wie er selbst. Da er direkt vor mir steht kann ich seine Fingerfertigkeit bis ins kleinste Detail bewundern. Ab und zu wechselt er zu einem anderen Modell, gibt dem hungrigen Volk im ausverkauften Quasimodo die Slide Gitarre, und reißt die Menge zu Szenen-Applaus hin. Das er dazu auch noch gut singen kann, lässt er kurz vor Schluss ebenfalls hören.
Wie man es ja von britischen Blues-Rockern gewohnt ist, tritt die Combo im feinen Zwirn auf und bereits nach dreißig Minuten sind alle völlig durchgeschwitzt. Klatschnass kleben die weißen Oberhemden an den Körpern der Akteure und da die Versorgung mit Flüssigkeiten auf der Bühne mangelhaft ist, wird nach acht Songs eine Pause von geschätzten zwanzig Minuten eingelegt. Schade, wie ich finde, denn es ist gerade eine tolle Stimmung, nachdem mit "Milk And Alcohol" ein weiterer Hit abgefeiert wurde.
 Nach der Pause geht es mit frischer Kleidung und noch mehr guter Laune in die zweite Runde. Robert Kane legt noch eins drauf und spielt sich durch seine Galerie von Harmonicas. Die dazugehörigen Tanzeinlagen werden immer wilder und ausgefallener und selbst der Stille Phil Mitchell lässt sich nun dazu hinreißen ins Rampenlicht zu treten. In einer Frontlinie wird jetzt die Bude gerockt, und im Saal hält es keinen mehr auf den Stühlen in den hinteren Reihen. Vor der Bühne tanzt ein Pärchen zu jedem Song und Sänger Robert Kane überlässt immer öfter die Gesangsparts den sattelfesten und textsicheren Fans. Der Band sind der Spaß und die Spielfreude deutlich anzusehen und das Publikum honoriert die Show mit tosendem Applaus.
 Nach gut zwei Stunden haben sich Dr. Feelgood völlig ausgepowert und ein Konzert abgeliefert, das den Herren Doktoren in ihrem gesetzten Alter absolute Hochachtung verleiht. Niemand im Saal wurde verletzt und musste somit verarztet werden und die Truppe legt auch noch zwei Klassiker als Zugaben oben drauf. "See You Later Alligator" und "Tequila" bringen die Party auf den Höhepunkt. Beide Stücke gehören ja schon seit Jahrzehnten zum Abschluss ihrer Auftritte. Einziger Wermutstropfen ist, wie ich finde, die Tatsache, dass Dr. Feelgood kein neues Material präsentieren. Ihre Konzerte bestehen hauptsächlich aus Material der ersten Generation. Der Band wäre gut daran getan ein Studioalbum mit komplett neuen Songs zu veröffentlichen, sich damit wieder mehr ins Rampenlicht zu stellen und somit jüngeres Publikum anzusprechen. Trotzdem, ist die Band wieder in Berlin, bin ich dabei und freue mich auf jede Menge Action auf der Bühne.
Setlist:
I Can Tell
She Does It Right
Roxette
Baby Jane
Quit While You're Behind
Who Do You Love
Milk And Alcohol
Down By The Jetty Blues
All Through The City
Looking Back
Rolling And Tumbling
Back In The Night
Riot In Cell Block Number Nine
Instinct To Survive
Going Back Home
Down At The Doctors
Shotgun Blues
See You Later Alligator
Tequila
Line-up:
Robert Kane (vocals, harmonica)
Steve Walwyn (guitar)
Phil Mitchell (bass)
John Martin 'The Big Figure' (drums)
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