Dyecrest / This Is My World
This Is My World
Man wird als Reviewer doch noch ab und zu überrascht. Als "This Is My World" von der noch relativ jungen, finnischen Band Dyecrest bei mir eintrudelte, erwartete ich nicht mehr als einen quälenden, zähflüssigen Hör- und Schreibvorgang, da ich aufgrund einiger Hörproben ihres ersten Albums auf eine standardisierte und gesichtslose Band vorbereitet war - und damit auf das Bemühen um Objektivität im Angesicht des drohenden Komas.
Diese Scheibe hatte bereits beim ersten Hören ihren Reiz; hat aber erst beim zweiten oder dritten Durchlauf gezündet - und dann auch richtig. Man nehme 2 % progressiver Elemente, 8 % Power Metal und 85 % guten, klassischen Heavy Metals, kombiniert mit 5 % einer geheimen Zutat - denn ich weiß beim besten Willen nicht, wie sie diesen Sound herstellen. …Wie auch immer, diese spezielle Mischung sollten sie beibehalten, denn sie geht vom ersten bis zum letzten Riff runter wie Öl - und scheint unterwegs auch noch unzählige kleine Blitze zu versprühen, die einen zum Mitbewegen zwingen.
Einmal festgesetzt, kannte meine Begeisterung über diese Band, die so erfrischend ist, dass es einem Sprung ins kalte Wasser gleichkommt, kaum noch Grenzen. Dyecrest sind wild, agressiv, intelligent und technisch versiert. Sehr gitarrenorientierte Songs (kein Wunder bei drei Gitarristen) mit mal schnellen, mal langsamen, bleischweren Riffs und regelrecht tobendem Schlagzeug; dazu kommt noch das wohl größte Highlight: Sänger Kimmo Blom. Er präsentiert sich wie ein Chamäleon, sodass man, nach dem ersten Hören von "This Is My World" schon auf das Line-Up schauen muss, um zu sehen, dass hier nicht mehrere Sänger am Werk sind. Mal brilliert er mit riesigem Stimmumfang, mal packt er ein wütendes, herrlich rauhes Reibeisen-Organ aus, das man Gänsehaut bekommt, mal liegt er irgendwo dazwischen und mal zeigt er viel Gefühl. Ein paar Chöre wurden auch eingebaut, die aber glücklicherweise kein großes Power-Metal-Feeling aufkommen lassen, den Gesang nicht verweichlichen und perfekt passen. Das einzig Konstante in Bloms Gesang ist seine Brillanz.
Ich will mich durchaus nicht als Promotexter für das Dyecrest-Label 'Dockyard 1' bewerben, wenn ich sage, dass das, was die Finnen mit diesem Album abliefern, eine Freude für jeden Metalfan ist. Es ist aufregend, frech und scheint jeden musikalischen Wunsch, den man nur Millisekunden zuvor gedanklich geäußert hatte, zu erfüllen. Wenn man dem Material nur kurz Zeit lässt, zu wachsen und einzuziehen, regt sich der Rocker in einem und stürzt sich gierig auf dieses Feuerwerk, umarmt es voller ungläubiger Freude, saugt es in sich auf.
Ich wünsche mir von Dyecrest, die mir versichert haben, auch Konzerte in Deutschland ins Auge zu fassen, nicht, dass sie ihren Stil verfeinern oder sich in irgendeine Richtung entwickeln - diesmal nicht. Ich wünsche mir nur, dass sie nicht zu dem werden, vor dem ich anfangs Angst hatte und nach ersten Erfolgen, ähnlich wie beispielsweise Astral Doors, kommerzieller und weniger individuell werden.
In dem Fall würde nur dieser Kracher bleiben. Es hat Bartstoppeln, es macht Spaß, es ist heavy, es kriegt 9 RockTimes-Uhren - es ist einfach geil!


Spielzeit: 43:58, Medium: CD, Dockyard 1, 2005
Tracks: 1:Fight Fear With Fire (5:45) 2:Rush Of Life (4:28)3:Hollow (3:52)4:Man Who Was Me (5:09) 5:Dream Of Crown (4:32)6:Failed One (4:42)7:Banished (3:36)8:My Only Sin (3:39) 9:Credulous Soul (3:15)10:Took My Will To Feel (4:00)
Christoph Segebard, 27.01.2006