Dyer Street / West Coast Tragedy
West Coast Tragedy
Musik im Stil der 70er zu machen, haben sich Dyer Street ins Pflichtenheft geschrieben. Und nach dieser Zeit klingt auch der Opener "Virgin Springs". Geradliniger Rock, der wie eine Mischung aus 50 Prozent Foreigner und 20 Prozent Paul Rodgers klingt. Ach so, das ergibt ja noch keine vollen 100%. Die fehlenden dreißig Prozent teilen sich Eddie Money und Bob Welch. Harmonischer Rock also, der nicht nervt und einmal gar durch ein feines Gitarrensolo aufhorchen lässt - aber zu schnell ist's auch wieder vorbei.
"In Another Place In Time" schaltet anfangs bisschen runter, bis Bass, Drum und Gitarre kurz von der Leine gelassen werden. Ansatzweise wird es gar richtig spannend, da wäre mehr drin, denn die Ideen sind da und - kurze Pause, das Keyboard klinkt sich gerade wunderschön ein - stellenweise wird es sogar etwas progressiv. Aber tendenziell wirkt alles noch etwas zu brav.
Na bitte, geht doch: "Midnight From Buffalo" kracht endlich flotter aus den Lautsprechern. Schöne Gitarrenparts und ja, es rockt und man kann headbangen. Die Gitarre wird aus dem einengenden Korsett befreit und auch gesanglich ist es um Einiges spannender. Perfekte Vocals übrigens - Dave Nelson hat schon eine geile Röhre.
Rockig geht es weiter und die beiden Opener sind vergessen. Dyer Street rockt sich warm. Bei "Lovin Cup" steigt der Paul Rodgers-Anteil und Jesse Wray darf die Leadgitarre auch wieder etwas mehr 'quälen'. James Hancock, verantwortlich für Bass und Keyboards zupft perfekt und Dan Lorenze hämmert etwas härter auf die Felle.
Jetzt aber, wow! Vom Tempo her ist "Stranger Than Strange" etwas langsamer, aber unbarmherzig geht es straight nach vorne. Wah-Wahs und Soli, verfremdete Vocals, das hat was von sehr harten Barclay James Harvest. Mein lieber Scholli, das ist ne geile Nummer!
Beim Titeltrack punktet Foreigner wieder etwas - aber mit der Härte, die sie auf ihren ersten beiden Alben hatten. Keyboard, eine klagende Gitarre und die dazu passende Stimme läuten die Ballade "The Darkest Hour" ein. Wer mit seiner Liebsten oder seinem Liebsten mal wieder so richtig eng tanzen will und dabei trotzdem nicht auf die geliebte Rockmusik verzichten mag, wird hier bestens bedient. Keyboard- und Gitarrensoli lassen träumen.
"Dangerous Time" beginnt zwar etwas 'eigenartig': der Daumen will quasi schon zur Skip-Taste, aber schnell zuckt er wieder zurück, weil der Track erst ab- und dann nicht mehr aus dem Ohr geht. Auch das Wippen der Füße nimmt eine beängstigende Frequenz an.
"Wicked World" kracht wieder im Stile der 50 Prozenter. "Hot Blooded" kommt mir in den Sinn und ich denke, das passt. Die Jungs hätten 'damals' sicher jede Rockkneipe gerockt. Aber da das Gestern vorbei ist und Dyer Street im Heute musizieren, gilt das Gleiche: live möchte ich die gerne mal erleben und bin mir sicher, die Clubs kochen.
"You Crossed The Line" ist ein schöner Abschluss. Ruhig und getragen mit perfektem Refrain. Einfach toll, diese Stimme. Wieder was für die traute Zweisamkeit. Die Gitarre 'jault' und schön lang ist die Nummer auch. Hey, nach fünf Minuten gibt es einen Break, es folgt ein sich steigerndes Gitarrensolo, welches erst nach zwei Minuten ausklingt - der Tanz ist zu Ende.
Eine schöne Platte, die dem Anspruch, nach 70ern zu klingen, gerecht wird. Nicht hart, nicht soft - eben so, wie ich das anfangs prozentual auseinanderklabustert habe. Leichte Verschiebungen der Gewichtung mit inbegriffen.
Spielzeit: 65:14, Medium: CD, Dyer Street Records, 2004
1:Virgin Springs 2:In Another Place In Time 3:Midnight From Buffalo 4:Lovin Cup 5:Stranger Than Strange 6:West Coast Tragedy 7:The Darkest Hour 8:Dangerous Time 9:Wicked World 10:You Crossed The Line
Ulli Heiser, 03.03.2005