Gute Dinge altern niemals!! Das mag sich auch Antoine Fafard gedacht haben, als er Aufnahmen aus in den Neunzigern entstandenen Studio- und Live-Sessions seines kanadischen Landsmannes Jerry De Villiers Jr. hörte und entschied, diese als erste Veröffentlichung unter die Fittiche seines neu gegründeten Timeless Momentum-Labels zu nehmen. Recht hat der Wahl-Londoner, denn die hier vorliegenden Takes klingen noch genauso frisch und ebenso relevant wie vor zwanzig Jahren!
Mit seinen langzeitigen Bandkollegen Gerry Etkins und den Cormier-Brüdern hat Jerry De Villiers Jr. diese Eigenkompositionen eingespielt, wobei Etkins nur bei den Live-Takes, 1994 im heimischen Montreal aufgezeichnet, zu hören ist. Die Cormiers haben obendrein die Studio-Einspielungen produziert, während Antoine Fafard selbst bei den Bearbeitung der Live-Titel diesbezüglich nachträglich eingegriffen hat.
Zur Zeit der Entstehung der Aufnahmen zu "The Turning Point - Archives" war Jerry De Villiers Jr. tatsächlich an einem Wendepunkt angelangt. Als hoch angesehenes Mitglied der Montrealer Jazzszene wagte er den Schritt in eine Solokarriere, ohne allerdings seinen Status als überaus gefragter Sessionmusiker zu vernachlässigen - was die Arbeiten mit Größen wie Terry Bozzio, Jerry Goodman, Simon Phillips oder Chad Wackerman bis heute beweisen. Interessanterweise sind all jene auch an den beiden kürzlich bei uns besprochenen Fafard-Soloplatten beteiligt.
Warum die Studio-Takes (#1-7) bis dato nicht veröffentlicht wurden, ließ sich jetzt nicht (mehr) recherchieren. Allerdings sind die Konzertaufnahmen (#8-14) bereits im vergangenen Jahr unter dem Titel "Electric Soul - Live Montreal 1994" erschienen. Da dieses Album hierzulande nur schwer erhältlich ist, dürfte sich das vorliegende Package dem geneigten Fusion-Freund geradezu aufdrängen!
Interessant an "The Turning Point - Archives" ist auch die Tatsache, dass drei Stücke in ihren Urversionen zu hören sind, die ein Jahr später im Studio neu produziert wurden. An diesen lassen sich wohl am eindrücklichsten die Qualitäten der beteiligten Musiker auf beiden Betätigungsfeldern dokumentieren.
Jerry De Villiers Jr. versteht es, mit seinem ausgeprägten Hang zur Melodie zu glänzen. Die 'singende' Gitarre im eröffnenden "When I See You" ist ein beredtes Beispiel hierfür. Die Cormiers drücken den Stücken ebenfalls ihre Prägungen auf: Mathieu mit geschmeidig 'wandernden' Basslinien - Magella mit einem überaus versierten Schlagwerk, das mit zahlreichen richtig überraschenden Momenten aufwarten kann. Nach diesem starken Auftakt, schließt das episch-breit angelegte "White Sands" nahtlos an dieser Euphonie an.
Das federleicht flirrende "Raradina" bringt eine schwerelose Dimension in "The Turning Point". Hier sind vor allem die richtig toll akzentuierenden Dialoge zwischen den drei Bläsern und den (hier von De Villers selbst gespielten) Keyboards hervorzuheben. Demgegenüber verfügt die Live-Version zwar über deutlich mehr Drive, jedoch fallen dort die synthetischen Bläsersätze doch ein wenig ab, auch wenn sie immer noch einen guten Kompromiss darstellen.
"Numb" entpuppt sich als prickelnde Fingerübung für Piano und Gitarre, die aufs angenehmste an Methenys Soloalben in den Siebzigern erinnert. Das geschmeidige 'Fusion-Piece' "Blind City" wird vom wild-freejazzigen "BebHop Blues", höchstens ansatzweise noch als Bebop erkennlich, geradezu konterkariert. Dessen doppelt so lange Live-Version ist schlichtweg der Kracher des Albums! Hier sticht die Kakophonie der Dialoge zwischen Gitarre und Minimoog, diesmal ist es Gerry Etkins, beeindruckend hervor. Auch den "Dog Dance" (irrwitziges Moog Solo!!) gibt es in zweifacher Ausführung und auch hier gilt: Die 'analogen' Bläser stechen die synthetischen deutlich aus.
In der Summe sind die Live-Takes etwas jazziger - sprich: traditioneller - ausgelegt, was "Turning Point " und "Casino" unterstreichen. Aber auch die fusionlastigen Stücke, wie das erneut an Metheny bzw. Jean-Luc Ponty erinnernde "Last Man On Earth", überzeugen. Insgesamt kommt die Bandperformance live etwas dynamisch-direkter rüber, wohingegen Jerry De Villiers Jr. und seine Begleiter im Studio wärmer, 'cremiger', einfach wohliger auftrumpfen. Auch dahingehend bietet "The Turning Point - Archives" eine bunte Klangpalette an.
Niemals - wirklich nicht eine Sekunde - touchiert Jerry De Villiers Jr. mit dieser Scheibe die genretypischen Grenzen zur 'Fahrstuhlmusik'. Alle Stücke sind kernig, verfügen über bissigen Drive wie melodiegeschwängerte Harmonien gleichermaßen. Der Freund jazzrockiger Fusion-Klänge kann also bedenkenlos bei "The Turning Point - Archives" zugreifen.
Line-up:
Jerry De Villiers Jr. (guitars, keyboards - all songs)
Mathieu Cormier (bass)
Magella Cormier (drums, percussions)
Gerry Etkins (keyboards - #8-14)
James Gelfand (keyboards and piano solo - #7)
Jean-Sebastien Fournier (keyboards - #1,2,7)
Eric Alain (saxophone - #3,7)
Francois D'Amour (saxophone - #1,3,7, leader of brass section - #3,7)
Benoit Glazer (trumpet - #3,7)
Jocelyn Couture (trumpet - #3,7)
Tracklist |
From The Studio Archives (1995):
01:When I See You (4:56)
02:White Sand (6:13)
03:Raradina (5:37)
04:Numb (2:31)
05:Blind City (6:17)
06:BebHop Blues (2:39)
07:Dog Dance (4:55)
From The Live Archives (1994):
08:Last Man On Earth (7:41)
09:Big Daddy (4:40)
10:Turning Point (7:20)
11:Casino (9:20)
12:BebHop Blues (4:14)
13:Raradina (3:58)
14:Dog Dance (5:08)
|
|
Externe Links:
|