Und es geht weiter... Jahre nach dem Tod des Trompeters Miles Davis werden weiterhin Platten veröffentlicht, die aber nicht unbedingt als 'Leichenfledderei' zu verstehen sind.
So staune ich auch hier wieder über die gute Qualität der Aufnahmen, jeweils aufgenommen am 28. Oktober 1967 im Konigin Elizabethzaal, Antwerpen (CD 1), am 2. November 1967 im Tivoli Konzertsaal in Kopenhagen (CD 2 - #1-5), und am 6. November 1967 beim Pariser Jazzfestival (CD 2 - #6, 7, CD 3).
Ferner gibt es in dieser Ausstattung noch eine DVD mit Aufnahmen vom 7. November 1967 aus der Stadthalle in Karlsruhe (#1-6) und vom 31. Oktober 1967 aus dem Konserthuset, Stockholm (#7-11).
1967, das war jene Zeit, als sich die damalige Formation der Band bereits einige Jahre bewährt hatte und musikalisch sicher auf einem Höhepunkt war. Interessant ist es hierbei, die Musik der damaligen Platten, "Miles Smiles" und "Sorcerer", mit diesen Live-Aufnahmen zu vergleichen. Allerdings kann ich einen Direktvergleich nur für drei Titel vornehmen, jene, die von den genannten Platten auf "Live In Europe 1967" als Live-Versionen vorliegen.
Zu "Footprints": Im Studio gibt das für Ron Carter typische Bassspiel bereits die Richtung hin zur Fusion vor, dazu swingt Tony Williams gewaltig und zieht viele Register seines Könnens und allein diese beiden bilden einen gewissen Gegensatz innerhalb des Titels. Wie ist das nun live gebracht worden? Viel freier und ungezügelter: Williams bestimmt den Charakter mit seinem wilden 'Drumming' sehr und auch Hancock spielt expressiver. Wayne Shorter glänzt mit beherzten Soli, nur der Bass ist relativ stark in den Hintergrund gedrängt und bei weitem nicht so präsent wie im Studio. Diese Freiheit zieht sich im Grunde genommen durch alle Aufnahmen, selten, dass man den Trompeter in einer solch frei anmutenden Umgebung auf seinen Studioaufnahmen hörte. Insofern ist "Live In Europe 1967" - wohl nicht nur für mich - ein sehr wertvolles Dokument, das eine gelungene und willkommene Abwechslung im umfassend dargestellten Schaffen von Miles Davis bietet.
Durch die relative Zeitgleichheit der Auftritte muss man zwangsläufig in Kauf nehmen, dass sich Titel wiederholen. Doch wie es im Jazz halt so ist, vermag die Improvisation als Kern der Musik es so zu gestalten, dass die einzelnen Titel jeweils einen unterschiedlichen Charakter aufweisen. Es kommt eben viel auf den Augenblick hinsichtlich Stimmung, Umgebung, Ideen und Zusammenspiel an.
Allein der Vergleich der jeweiligen Opener, "Agitation", untermauert dieses. Und die beiden, die mich ganz besonders begeistern, sind Shorter und Williams, die unglaublich innovativ agieren und für die mitreißendsten Momente sorgen. Gerade der Drummer wächst über sich hinaus und bringt einfach alles, von strikt treibenden Bop-Elementen über freie Passagen bis hin zu rockend-krachendem Spiel, einfach grandios! Man hört eine Band in dieser bestechenden Form, davon kann man einfach nicht genug bekommen! Ich bin schon gespannt auf weitere Bootleg-Ausgaben!
Das hier spielende zweite wichtige Quartett des Musikers hatte offensichtlich einen musikalischen Höhepunkt erreicht, und die Zeit war auch schon fast abgelaufen, denn das 1968 erschienene "Filles De Kilimanjaro" sollte dann einen weiteren Schritt bedeuten. Mit "Miles In The Sky", "Nefertiti" und "In A Silent Way" weitete sich der Schritt zur Fusion aus und schon stand der Meilenstein Bitches Brew vor der Tür!
Schön ist es, die beschriebenen Höreindrücke durch die enthaltene DVD auch visuell nachvollziehen zu können. Hierbei soll es sich um die einzige filmische Dokumentation dieser Formation aus den Jahren 1965 bis 1968 handeln. Ungewöhnlich dürfte für einige von uns farbverwöhnten Fernsehkonsumenten sein, nun auf schwarz-weiß umstellen zu müssen - also sechs mal Karlsruhe und fünf mal Stockholm. Während alle Musiker, außer Miles, in schicken Anzügen mit Fliege glänzen, trägt der Meister in Deutschland einen grauen Anzug mit Breitnadelstreifen und in Schweden auch den kleinen Schwarzen mit Krawatte. Ja, auch das gehörte zum guten Ton, selbst wenn die Musik noch so frei wurde.
Auffällig ist der schlaksig-lange Carter, er überragt sie alle mit seiner Körpergröße.
Technisch qualitativ sind die Karlsruher Aufnahmen besser, auch weil hier mit Bildeinblendungen schon mal getrickst wird: doppelter Trompeter, Bass über Piano und so weiter. Die Stockholmer Aufnahmen wirken bildlich etwas milchig, aber es ist unglaublich spannend, diese Schätze zu betrachten, und ich staune immer wieder über die Leichtigkeit, mit der Williams sein Schlagzeug bedient. Das war in der Tat eine wahre 'Supergroup'!
Line-up:
Miles Davis (trumpet)
Wayne Shorter (tenor saxophone)
Herbie Hancock (piano)
Ron Carter (bass)
Tony Williams (drums)
Tracklist |
CD 1:
01:Agitation [Davis] (5:27)
02:Footprints [Shorter] (9:37)
03:'Round Midnight [Monk/Williams/Hanighen] (7:38)
04:No Blues [Davis] (11:15)
05:Riot [Hancock] (3:40)
06:On Green Dolphin Street [Kaper/Washington] (8:26)
07:Masqualero [Shorter] (8:54)
08:Gingerbread Boy [Heath] (5:56)
09:Theme [Davis] (1:16)
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CD 2:
01:Agitation [Davis] (6:15)
02:Footprints [Shorter] (9:01)
03:'Round Midnight [Monk/Williams/Hanighen] (7:16)
04:No Blues [Davis] (14:41)
05:Masqualero [Shorter] (10:01)
06:Agitation [Davis] (6:36)
07:Footprints [Shorter] (10:36)
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CD 3:
01:'Round Midnight [Monk/Williams/Hanighen] (8:07)
02:No Blues [Davis] (13:01)
03:Masqualero [Shorter] (10:09)
04: Fall In Love Too Easily [Cahn/Styne] (10:34)
05:Riot [Hancock] (3:39)
06:Walkin' [Carpenter] (9:01)
07:On Green Dolphin Street [Kaper/Washington] (9:05)
08:The Theme [Davis (8:23)
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DVD:
01:Agitation [Davis] (6:43)
02:Footprints [Shorter] (6:03)
03:I Fall In Love Too Easily [Cahn/Style] (11:34)
04:Gingerbread Boy [Heath (5:34)
05:The Theme [Davis] (0:28)
06:Agitation [Davis] (6:57)
07:Footprints [Shorter] (9:06)
08:'Round Midnight [Monk/Williams/Hanighen] (8:31)
09:Gingerbread Boy [Heath] (7:35)
10:The Theme [Davis] (1:34)
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Externe Links:
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