Earth Wind & Fire / All Time Best
All Time Best Spielzeit: 73:59
Medium: CD
Label: Sony Music, 2012
Stil: R'n'B

Review vom 20.11.2012


Steve Braun
Der 'Homo Musikfreakensis' zeichnet sich vor allem durch seine scheuklappenfreien Ohren, die ihn begierig jeglichen neuen musikalischen Einfluss aufsaugen lassen, und seine geradezu legendäre Toleranz gegenüber Vertretern von Unterspezies aus. Und weil dem so ist, duckt man sich bei jeder Gelegenheit, bei der man diese Fähigkeiten unter Beweis stellen könnte, besser weg. Das ist heute noch so aktuell wie in den Siebzigern! In den Kreisen, in denen ich in dieser güldenen Dekade zu verkehren pflegte, war es selbstredend überaus politisch korrekt, die Musik der Schwarzen 'gut' zu finden, auch wenn man sie - einem Gruppenzwang folgend - aufrecht wie der Pferdefüßige das Weihwasser mied. Mit einer Platte von Earth Wind & Fire bspw. auf dem Schulhof einzulaufen, hätte die eigene Reputation nachhaltig beschädigt. Merkwürdig nur, dass man im Halbdunkel so viele bekannte Gesichter mit zur treibenden Rhythmik der Musik zuckenden Körpern sah, wenn seinerzeit die Hired Help Band mit rabenschwarzem Funk und Soul in lokalen GI-Clubs auftrat. Und keiner wollte es natürlich gewesen sein, denn Funk akzeptierte man bei Sonnenschein nur von progressiven Jazzern.
Es ist die Gnade des Alters, alles hören und vor allem darüber schreiben zu können, was einen im tiefsten Inneren befriedigt und einfach nur zu genießen. Mensch, tut das gut...
Earth Wind & Fire, 1969 in Chicago gegründet, begann als eine stark vom Motown-Sound der sechziger Jahre geprägte, anfangs recht erfolglose Band. Die Songs der ersten vier, fünf Alben liefen fast ausschließlich bei 'schwarzen' Radiostationen und einzig über diese Zielgruppe konnte man sich mehr schlecht als recht in den Billboard-Top-100 platzieren.
Relativ frustriert nahm man 1975 den Soundtrack "That's The Way Of The World" zu dem gleichnamigen Film auf, in denen die Bandmitglieder quasi sich selbst spielten, und der eine ätzende Abrechnung mit der Musikindustrie darstellen sollte. Das Album schlug granatenmäßig ein - der Kinostreifen floppte (erwartungsgemäß)... doch danach ging es wie ein Zäpfchen ab. Auch durch die einsetzende Discowelle landete Earth Wind & Fire Hit auf Hit und heimste Grammy auf Grammy ein. Und diese Erfolgsspur hat die Band auch heute nicht verlassen, selbst wenn das letzte US-Gold mit dem 1987er "Touch The World" eingefahren werden konnte.
Sony Music legt nun im Rahmen der 'Reclam Musik Edition'-Serie mit "All Time Best" eine Best-of-Compilation vor, der ironischerweise ausgerechnet der einzige Nummer-Eins-Hit Earth Wind & Fires, das 75er "Shining Star", 'abhanden' gekommen ist.
Die Stärke dieser Zusammenstellung ist gleichzeitig ihre Schwäche. Klingt vielleicht paradox, ist aber so! Chartbreaker auf Chartbreaker wird abgefeuert, was dem Gute-Laune-Faktor der anvisierten Käuferschicht sicher zupass kommt, aber der musikalischen Breite Earth Wind & Fires nicht unbedingt gerecht wird. So feuert "All Time Best" die volle, überaus geschmeidige Disco-Breitseite ab, doch dabei kommt zu kurz, dass die Truppe - zumindest auf den ersten Alben - durchaus noch nicht so glattgebügelt klang und mit Funk- und gelegentlich sogar Fusion-Salven auch anspruchsvollere Gemüter bedienen konnte.
Und deshalb muss man eingangs zwei Disco-Hits (in den langen Album-Versionen) durchstehen, bis zum dritten Song Bassist Verdine White, der gemeinsam mit Bruder Maurice seinerzeit die Band gründete, zum ersten Mal sein Arbeitsgerät verprügeln darf. Hei, da wird funky geslappt, da setzen die Phenix Horns messerscharfe Cuts, da jault der Mini Moog, da winselt Philip Bailey im hellsten Falsett - es ist eine wahre Freude! Nach dem etwas pomadigen Einstieg in "All Time Best" wird die Kost nun wesentlich gehaltvoller. "In The Stone" konnte sich (bezeichnenderweise!) nicht hoch in den Charts platzieren - klar, hier hat's kleine Widerhaken, die man noch aus Motown-Zeiten kennt und offensichtlich vom Mainstream nicht goutiert wurden. Noch schärfer wurde "Star" - ebenfalls vom Erfolgsalbum "I Am" (1979) - 'abgestraft' und ist dabei mit seinem harten Funk und den akzentuierten Bläsersätzen wohl das Paradestück auf "All Time Best". Die Phenix Horns duellieren sich gegen Ende derart gnadenlos, dass einem das Wasser aus allen Poren tritt...
Das unvermeidbare "September", mit dem man damals sogar hierzulande reüssieren konnte, folgt und beweist: Earth Wind & Fire hatten mehr Sex als das seinerzeitige Sputum der Disco-Prinzchen und die heutigen, zumeist nach Körpermaßen und Haarfarbe gecasteten Plastiksternchen zusammen!!
Ein einziges Stück aus der Frühphase hat es auf diese Compilation geschafft. "Evil" floppte zwar nicht so gnadenlos, wie die vorausgegangenen Singles, war aber für die Band nichts anderes als eine weitere herbe Enttäuschung. Hier transportiert man das, was man heute als 'Smooth Jazz' bezeichnet, auf wunderschön elegante Weise - wie Wade Flemons hier sein Vibraphon traktiert, ist Sonderklasse. Mit zwei ganz im Stil von Chicago gehaltenen Balladen, "You Can't Hide Love" und "Reasons", klingt diese "All Time Best" stimmungsvoll aus.
Über die Sinnhaftigkeit von Compilations wird seit jeher trefflich gestritten. Unbestritten ist allerdings, dass die 'Reclam Musik Edition' hochklassige Musik zu einem Tiefstpreis bietet. Die einfach gehaltene Ausstattung lässt obendrein ein durchaus informatives Booklet (inklusive einer Timeline) nicht vermissen. Da kann man nur den Daumen heben.
Tracklist
01:Let's Groove (5:34)
02:Boogie Wonderland (4:50)
03:Saturday Nite (4:04)
04:In The Stone (4:26)
05:I've Had Enough (4:30)
06:Can't Let Go (3:29)
07:Fall In Love With Me (5:24)
08:Star (4:25)
09:September (3:37)
10:Jupiter (3:13)
11:Got To Get You Into My Life (4:12)
12:Fantasy (4:39)
13:Evil (5:00)
14:That's The Way Of The World (5:47)
15:Can't Hide Love (4:10)
16:Reasons (5:01)
17:After The Love Has Gone (4:28)
Externe Links: