Man nehme Musiker aus z.B. folgenden Bands:
Ärzte - Agitation Free - Al Jarreau - Amon Düül II - Chaka Khan - Embryo - Emsland Hillbillies - Grobschnitt - Helen Schneider - Klaus Doldinger - Les Garcons - Liza Minelli - Lok Kreuzberg - Lolitas - Mikis Theodorakis - Molly Hatchet - Neil Diamond - Pachinko Fake - Pankow - Philip Boa's Voodoo Club - Pseiko Lüde - Taras Bulba - The Convent - Thirsty Moon - Ulla Meinecke Band - Witt - Zentrifugal,
sowie einen Kopf namens Tom Redecker (ja, der von
"SHACK MEDIA") und heraus kommt eine Familie, wie sie von der Herkunft ungleicher nicht sein könnte.
Und trotzdem ist die Electric Family seit nunmehr sechs Jahren ein Zusammenschluß seelenverwandter Musiker.
Den festen Stamm bilden Tom Redecker, Peter Apel, Volker Kahrs, The Voodoo, Thorsten Glade und Rolf Kirschbaum. Das restliche Line Up wechselt immer mal wieder und auf vorliegender CD kommen verstärkt Musiker aus den neuen Bundesländern zum Einsatz.
Schön und lustig war sicher das Zusammentreffen zwischen Ossis und Wessis.
Zitat Tom Redecker beim Interview des Magazins ECLIPSED:
"Und es wurde eine dreitägige, ausufernde, spielfreudige, trunkene Aufnahmeparty, bei der sich völlig neue musikalische Ansätze für jeden Beteiligten fanden. Da wurde endlich die nächste Stufe des Electric Masterplans gezündet, die deutsch-deutsche Ausgabe der ELECTRIC FAMILY".
Wenn ich schreibe, Tom ist der Kopf der Band, dann muß man aber wissen, daß dies kein Leadership im herkömmlichen Sinn bedeutet. Tom selbst sieht sich lediglich als Sprecher der Band und es hätte was von Grateful Dead. Auch dort spielt(e) ja jeder, was er sich ausgedacht hat(te).
"Und das erklärt auch die Länge einiger Songs, denn man darf diese phantastischen Musiker nicht zügeln und ihre solistischen Einlagen kürzen."
Richtig, denn trotz Einflüsse aus Punk, Jazz, Country & Western, Folk, Krautrock, Space, Ethno, Gothik, Trance und Ambiente (Was ist Ambiente? Hat mein Italiener auch, aber der macht keine Musik) ist "Ice Cream Phoenix" eindeutig ein psychedelisches Werk und somit leider absolut untrendy.
Ich muß mich wiederholen, aber es ist ja so, daß Deutschland zur Zeit die Superstars sucht und meint auch einen gefunden zu haben und somit anscheinend keine Lust auf richtige Musiker hat.
Andere erkennen aber sehr wohl den Wert und die Qualität der CD und der Band. Beispielsweise Rockschreiber-Ikone und Buchautor David Fricke, Redakteur beim US Rolling Stone. Der nämlich war so begeistert, daß er die Liner notes geschrieben hat.
Nun aber zur Musik dieses dritten Studioalbums der Electric Family.
Eine Blues Harp a'la Dylan eröffnet den Reigen der acht Songs und plötzlich ist sie da: diese abgrundtiefe, angenehme und beruhigende Stimme Tom Redeckers. Fast spricht er den Gesang. Kontrastpunkte setzt die duettartige Anwort Ulla Meineckes und die Band begleitet dieses "Gespräch". Anfangs dezent, dann steigen immer mehr Familienmitglieder ein. Krönung dann diese schön verzerrte Gitarre. Dieser Opener macht Appetit.
Perfekte Harmonien in "Last phase of the moon". Toms Stimme, der Refrain: Ohrwurm sag ich nur. Hinzu kommen absolut geile Gitarrenläufe und meine Ohren haben das Problem, nicht zu wissen, ob sie den Focus nun auf den Gesang oder die Gitarre setzten sollen.
Nun kommt einer meiner Favs. "Landmark Visons". Froschgequäke und Naturgeräusche lassen mich im Sessel entspannt zurücklehnen. Nicht lange, denn urplötzlich schlägt ein Gewitter zu. Ohne Vorwarnung, denn noch sind meine Boxen nicht in der Lage Blitze darzustellen. Somit muß ich mich mit dem Donnergrollen zufriedengeben. Langsam werden sphärisch anmutende Gitarrenriffs ins Geschehen geworfen. Erst sporadisch. Dann steigert sich das Gesamttempo des Songs, Percussionfundamente werden gebaut und diese Wahnsinnsgitarre hebt langsam ab. "Landmark Visons" hat eine sehr beruhigende Wirkung auf mich. Und diese Gitarre macht süchtig. Ausserdem wird längst vergangen geglaubtes wieder lebendig. Es ist immer wieder faszinierend, wie tief manche Musik in einen Menschen dringen kann. Dieser Titel kommt 30 Jahre zu spät. Ein Pink Floyd mäßiger Monstertitel im Stil der 70er. Trotz 11 Minuten ist mir das zu kurz. Meine Güte, wie geil.
"Dancing Lady" fetzt irgendwie. Wie der Titel vermuten läßt, kann man dazu tanzen. Anke Lautenbach und Johannes Redecker haben es drauf. Wunderschöne Vocals. Dieser Track bleibt im Ohr.
"Airchild": Eine Pedal Steel eröffnet eine achtminütige Mischung aus Country und Psychedelic. Klingt seltsam, ich weiß. Man muß es hören und dann Toms perfekte Stimme in Verbindung mit Hermann Lammers-Meyers Pedal Steel auf sich wirken lassen. Hermann ist im übrigen ein alter Country Haudegen und in Nashville kein Unbekannter. Langsam wird aus dem Countryfeeling ein Country-Psychedelicfeeling. Eingeleitet durch gekonntes malträtieren der Felle und wieder dieser geilen, sphärischen Gitarre. Gänsehauthooklines, Dampf von der Schießbude, eingeworfene Worte, tief aus dem Keller höre ich u.a. das Wort Winnetou. Wenn er diese Gitarre hören könnte, gäbe es sicher bald eine Fortsetzung der Winnetou Filme, denn diese Gitarre erweckt Tote. Auch ein absolutes Highlight auf "Ice Cream Phoenix".
"Wisdom of wolves" ist wieder so eine Ohrwurmnummer. Angenehmer Pop möchte ich fast sagen. Bis astreine Gitarrenhooks den Song dann aus dem Popbereich katapultieren. Diese CD ist immer wieder für Überraschungen gut und zeigt, dass Dramaturgie und Konzept perfekt sind. Es ist mitnichten eine Schema-F CD.
Zu Pink Floyds "Careful With That Axe Eugene" brauch ich sicher nichts zu erzählen. Wer diese Nummer nicht kennt sollte es alsbald nachholen. Sei es nun in der Originalfassung, oder aber in der Electric Family Version. Es lohnt beides.
Leider kommt mit "Axechild - The End" schon der letzte und mit 1:56 Minuten auch der kürzeste Titel der CD. Trotz der Minispielzeit ist "Axechild" ein adäquater Rausschmeißer. Stark komprimiert wird hier das komplette Album gefühlsmäßig nochmal wiedergegeben.
Booklet, Klang, Produktion usw. ist alles vom Feinsten, so daß ich das Album nur wärmstens empfehlen kann. Vergeßt einfach den "Superstar" und widmet euch wieder der Rockmusik. Es lohnt sich.
Und live gibt es die Familie auch in Kürze (Mai)
Spielzeit: 47:37, Medium: CD, Hypertension / Soulfood, 2003
1:Solid Structure, 2:Last Phase Of The Moon, 3:Landmark Visions, 4:Dancin' Lady, 5:Airchild, 6: Wisdom Of Wolves, 7:Careful With That Axe Eugene,
8:Axechild - The End
Ulli Heiser, 30.03.2003
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