Electric Orange / Platte
Platte Spielzeit: 61:01
Medium: CD
Label: sulatron-records, 2007 (2003)
Stil: Psychedelic/Krautrock/Trance


Review vom 31.03.2007


Ulli Heiser
Wie soll man als Rezensent damit fertig werden, dass in letzter Zeit ein Highlight nach dem anderen auf dem Schreibtisch landet, von dort ins Wohnzimmer wandert und die Maschinerie aus Hi-Fi-Equipment, Räucherstäbchen und Shisha anwirft? Nichts mit PC-Player, Kaffee und Review schreiben. Ganz objektiv betrachtet macht ein gehöriges Maß an Subjektivität eine Plattenrezension erst zu dem, was sie sein soll. Wenn die Musik einen berührt, wenn sie als Kunstform, als Begleiter, als Mittel zum Genießen, Abschalten und all den anderen feinen Dingen, die das Leben bereichern, gesehen wird, dann kann man nicht anders, als subjektiv zu schreiben.
So wie bei dieser Scheibe, deren fünf Tracks Spielzeiten aufweisen, die den gemeinen Freund von Strophe-Bridge-Refrain-Nummern zur Verzweiflungstat schreiten lässt.
Kenner schnalzen mit der Zunge, auch wenn sie, wie der Schreiber, die Band bis dato nicht gekannt haben. Zum einen, weil die Platte bei sulatron-records erscheint und das das Label von Dave Schmidt aka Sula Bassana ist (siehe u.a. Weltraumstaunen, Zone Six), oder
Liquid Visions. Man weiß also, was man zu hören bekommt und dass die Musik begeistern wird.
Zum anderen weil man auch mit Sicherheit sagen kann, dass der Klang optimal sein wird, denn niemand Geringeres als EROC hat "Platte" auf seiner Ranch gemastert.
Um auf den Anfang meiner Besprechung zurückzukommen: Man wird als Rezensent ganz einfach damit fertig, indem man sich alle Zeit der Welt nimmt und der Musik die Führung überlässt. Objektiv betrachtet, könnte man jetzt die Vorzüge einer Hammond Orgel aufzählen, schreiben, welchen Klang zu verbreiten ein Leslie-Speaker via Dopplereffekt in der Lage ist, aber das macht keinen Spaß. Bleiben wir subjektiv und genießen Musik, die mit dem 20-minütigen "Kwark" eine fast hypnotische Atmosphäre aufbaut. Monotonem Percussion- und Schlagzeug-Rhythmus wird eine an
Iron Butterfly erinnernde Hammond zur Seite gestellt. Auch die eingeflochtenen Effekte erinnern manchmal an den 'Schmetterling'. Es wabert wie weiland in Locations längst vergangener Zeit und die Spannung, die mit minimalsten Mitteln aufgebaut wird, ist gigantisch. Die Gitarre erinnert an die alten Pink Floyd...
Allerdings darf minimalistisch nicht falsch verstanden werden, denn für den Herzschlag der Kompositionen sorgen zwei Schlagzeuge. Auch bedeutet »Monotoner Percussion- und Schlagzeug-Rhythmus« keinesfalls Langeweile, sondern gekonntes 'Manipulieren' des Hörers, den man auf eine traumhafte Reise schickt.
1992 wurde Electric Orange in Aachen von Dirk Jan Müller gegründet und laut Labelinfo holte sich Dirk zu Beginn Gastmusiker ins Line-up. Bis dann 1994 Dirk Bittner fest einstieg. »Seltenes Zeug aus den Siebzigern« macht den Großteil des Equipments aus. Aber nicht nur daran liegt es, dass diese Musik eine enorme Tiefe vermittelt. Oberflächlich ist was anderes, obwohl man "Kwark" auch hören kann, wenn man seinen täglichen Geschäften nachgeht. Ich rate aber unbedingt zu intensivem Hören, denn dann tut es fast körperlich weh, wenn dieser süchtig machende Drive ein Ende findet. Der "Holzbock" knüpft stilistisch an, erinnert mich aber mehr an Braintickets "Cottonwood Hill". "Platte" ist eigentlich 'Vinylmusik', womit ich meine, dass sie jeden unweigerlich an die Siebziger erinnert und sicher wird dem ein oder anderen ein ungläubiges Staunen ins Gesicht gezaubert, liest man, dass sie aus den Neunzigern kommt. Aber das beweist auch, dass es immer Musik abseits des Zeitgeistes geben wird, dass es Musiker gibt, die Musik der Musik wegen machen. Man wünscht sich aber, dass gerade diese Einstellung belohnt wird und viele Leute, denen Electric Orange noch unbekannt sind, die Band bzw. deren Musik kennenlernen. Gelegenheit gibt es (wo sonst) auf dem kommenden Herzberg Festival.
Ich sprach von 'Vinyl-Musik' - mit dem rollenden und sich wie in Trance schaukelnden "Colomb" ist die Originalversion der "Platte" zu Ende. Auf der Bandseite ist die Langspielplatte nicht mehr erhältlich, daher ein Tipp an Suchende: Gemm ist eine klasse Adresse, wenn man Sachen sucht, die man woanders nicht gefunden hat. Im Falle von "Platte" empfehle ich aber die neue CD-Ausgabe, denn nur da hat es die beiden Bonustracks "Dedicated to MK" und "Flurstück". Ersteres wird dominiert von nicht enden wollenden Tastenklängen und im Gegensatz zu den drei Urtracks sind die beiden Drum Sets nicht mehr so präsent, was allerdings keinen Qualitätsabfall bedeutet. Das 'MK' steht übrigens für den am 17.11.2001 verstorbenen Can-Gitarristen, Michael Karoli. Can- und Tangerine Dream-Fans sollten sich Electric Orange eh' mal zu Gemüte führen. Obwohl, ich bin sicher, in diesen Kreisen ist die Band längst bekannt.
"Flurstück", mit diesen harten Tastenanschlägen des Flügels in Kombination mit einem Harmonium (ach, was für ein geiles altes Instrument!), ist herrlich und hat was bluesiges. Psycho-Blues, Kraut-Blues, was auch immer: Die Nummer ist würdiger Abschluss einer Platte, die in meine Vitrine mit den besonderen Scheiben kommt.
"Fleischwerk", der 2005er Output soll ebenfalls von sulatron-records aufgelegt werden. Doch damit nicht genug, vor dieser Wiederveröffentlichung steht im Sommer ein brandneues Album auf dem Plan. Freut euch also, ich bin schon ganz kribbelig.
Line-up:
Dirk Jan Müller (Hammond, Synthesizer, Leslie, Rhodes, Tonband, Elka, Flügel)
Dirk Bittner (Gitarre, Bass, altes Schlagzeug, Percussion, Harmonium)
Josef Ahns (Gitarre)
Silvio Franolic (Schlagzeug)
Tracklist
01:Kwark (19:55)
02:Holzbock (7:32)
03:Columb (11:54)

Bonustracks:
04:Dedicated To MK (10:39)
05:Flurstück (11:46)
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