Emerson, Lake & Palmer / Original Album Classics
Original Album Classics Spielzeit: 60:13 (CD 1), 70:26 (CD 2), 69:11 (CD 3) Medium: CD-Box
Label: Sony, 2011
Stil: Prog Rock

Review vom 11.05.2011


Günther Klößinger
Unbestreitbar gehören Emerson, Lake & Palmer zu den Dinosauriern des Prog Rock und genießen, ebenso wie ihre Zeit- und Stilgenossen von Yes und Genesis Kultstatus. Zudem waren sie auch die erste Supergroup jenes Genres, denn die drei formidablen Musikerpersönlichkeiten hatten allesamt zuvor in höchst erfolgreichen Bands brilliert: Keith Emerson hatte bereits bei The Nice unverwechselbar georgelt, Greg Lake war Gitarrist und Sänger bei King Crimson und Carl Palmer hatte die Trommelstöcke bei Atomic Rooster geschwungen.
Ursprünglich war eine Vier-Mann-Combo mit Jimi Hendrix an der Leadgitarre angedacht worden, doch der Tod des Ausnahmegitarreros ließ diese Pläne auf tragische Weise scheitern - aus HELP (Hendrix - Emerson - Lake - Palmer) wurde daher 'nur' ELP.
Dieser frühe und krasse Einschnitt in die Projektplanung hielt die Formation dennoch nicht davon ab, sich zu ungeahnten Höhen aufzuschwingen und auch in Sachen Gigantomanie neue Maßstäbe zu setzen. Nicht Kleckern, sondern Klotzen, das war schon immer das Ding diesr Band, die trotz der minimalistischen Dreierbesetzung einen deutlichen Hang zu Klangbombast ihr eigen nennen konnte. Neben der opulenten Show mit ausufernden Licht- und Pyroexzessen beschritt die Gruppe aber auch musikalisch aufregende Wege und bescherte der Rockgeschichte so manchen Klassiker.
Zuallererst wäre da wohl ihre Rockadaption von Modest Moussorgskys Pianosuite "Bilder einer Ausstellung" zu nennen - die ELP-Fassung fand sogar den Weg in schulischen Musikunterricht und ist bis heute eines der beliebtesten Werke klassikorientierten Progressiv Rocks.
Das vorliegende 3-CD-Set ermöglicht einen Einblick in die Qualitäten von Emerson, Lake & Palmer als Liveband über einen Zeitraum von 27 Jahren - und gerade dies macht die Auswahl der "Original Album Classics" so interessant: Bei ihren Studiowerken erlagen die Ausnahmemusiker oft den Versuchungen von Studiotechnik und kühler Perfektion. Kalkül und virtuose Brillanz wurden oft zu Lasten von Feeling und Ausdruckskraft überstrapaziert.
Auf der Bühne hingegen konnte diese Musikmaschinerie sich in ein höchst lebendiges Tier verwandeln, da gab es, der Euphorie magischer Momente geschuldet, Mut zu Gefühl und Improvisation. Dies dokumentieren die drei hier wiederveröffentlichten Livescheiben der Supergroup auf eindringliche Weise. Die erste CD ist gar ein historisches Dokument: Der Auftritt beim legendären Isle of Wight-Festival 1970 war erst der zweite Gig von ELP. Der Moderator kündigt die Show zwar als »Debüt« an, doch wird dies in einem Interview mit Keith Emerson berichtigt.
Deutlich spürbar lag Neugier und Spannung in der hanfgeschwängerten Luft: Zwar waren die drei Typen auf der Bühne allesamt keine Unbekannten - aber wie würden sie gemeinsam klingen? Das erste Album war nämlich zur Zeit des Festivals noch nicht erschienen und so erklangen Stücke wie "The Barbarian" und "Take A Pebble" zum zweiten Mal überhaupt in der Öffentlichkeit. Das Zusammenspiel des Trios war bereits damals von einer unglaublichen Dichte und man darf gar nicht darüber nachdenken, wie jung die Herren zu dieser Zeit noch waren. Höhepunkt des Gigs und damit auch dieser Scheibe war eine frühe Variante von "Pictures At An Exhibition" - das monumentale Epos kommt noch wesentlich rauher und zeitweise ungestümer daher, als die später veröffentlichte Albumfassung - sie ist aber auch ungleich ekstatischer als diese und versprüht eine derartige Aufbruchsstimmung, wie sie später nie mehr erreicht wurde.
Unverwechselbar - wir befinden uns in der Blütezeit experimenteller Rockmusik. Die Popkultur hatte ein ganz neues Selbstbewusstsein entwickelt und sprengte althergebrachte Formen wie das drei-Minuten-Limit für einen Song - stilistische Einflüsse aus Klassik, Jazz, Folk fanden ihren Eingang in die Realität des Rock. Bereits mit The Nice hatte Emerson mit Stilistiken klassischer Musik experimentiert, doch mit "Pictures" hatten er und seine beiden Mitstreiter das definitive Klassik-Rock-Werk jener Tage geschaffen und damit Maßstäbe gesetzt.
Gerade diese frühe Fassung beim wohl berühmtesten britischen Rockfestival überhaupt, zeigt die Musiker von ihrer besten Seite. Mit zunehmender Dauer der Interpretation steigern sich Emerson, Lake & Palmer in einen wahren Spielrausch hinein, und das Stück pulst unaufhaltsam seinem explosiven Finale entgegen. Abgerundet wird diese CD noch von (leider etwas kurzen) Interviewschnipseln, die allerdings wirklich einige wissenswerte Fakten über die Frühzeit der Band vermitteln.
Danach geht der Zeitsprung gleich über 20 Jahre nach vorn: Die beiden Alben "Live At The Royal Albert Hall" und "Live In Poland" entstanden in den neunziger Jahren. Standen die drei Musiker beim Isle of Wight-Festival noch am Anfang ihrer Karriere, waren zum Zeitpunkt dieser späteren Shows der kometenhafte Aufstieg der Gruppe, ihre erfolgreichsten Alben und ihre einflussreichsten Zeiten bereits Geschichte. Bandauflösung, finanzielle und persönliche Krisen hatten ihre Spuren hinterlassen und so mancher munkelte, hinter den diversen Reunions des Sauriertrios stünde nur der schnöde Mammon.
Dies vermag ich zwar nicht zu beurteilen, muss aber feststellen, dass das musikalische Material der Veröffentlichungen nach wie vor erstklassig ist. Klar klingt alles abgeklärter als in den frühen Siebzigern, die in den Achtzigern populär gewordenen Digital-Synthies waren noch immer hip und prägen den Bandsound. Dank der Intensität des Zusammenspiels und der gesamten Performance macht sich zum Glück aber nicht jenes Plastik-Feeling breit, das diese zeittypischen Keys gerne verströmten.
In jedem Falle machten ELP auch noch im ausgehenden 20. Jahrhundert klar: Sie waren noch immer eine fantastische Liveband, die sowohl ihre Klassiker wie auch (damals) neues Material mitreißend von der Bühne rocken konnte.
Besonders erfreulich ist die Feststellung, dass ELP ihre großen Erfolge nicht nur steril reproduzierten, sondern hörbar stets an den Songs arbeiteten - die Aufnahmen des Singlehits "Lucky Man" in der 93er-Variante aus der Londoner Royal Albert Hall unterscheidet sich deutlich von der in Polen eingespielten Fassung. Letztere kann vor allem durch warme Hammondsounds überzeugen. Solistisch stehen die drei Rockveteranen ohnehin unangefochten auf den vorderen Plätzen der größten Virtuosen des Rock, aber sie präsentieren sich auf diesen Aufnahmen auch ungemein inspiriert und gut gelaunt. Emerson zelebriert seinen Klangbombast und fügt immer wieder Einsprengsel aus Klassik, Jazz, Ragtime etc. ein, während Greg Lake seinem Hang zu melodiösen Balladen frönen darf und Carl Palmer trommelt, was das Zeug hält - und gemeinsam kreieren diese Individualisten doch einen faszinierenden Gesamtsound, der auch heute durchaus noch funktioniert.
Alles in allem also eine empfehlenswerte Veröffentlichung und, dank des niedrigen Preises, auch ein willkommenes Mitbringsel für eventuelle Einsteiger.
Line-up:
Keith Emerson (keyboards, synthesizers, piano)
Greg Lake (bass, guitar, vocals)
Carl Palmer (percussion, drums)
Tracklist
CD 1: Live At The Isle Of Wight Festival" (1970)
01:The Barbarian
02:Take A Pebble
03:Pictures At An Exhibition: Promenade / The Gnome / Promenade / The Sage / The Old Castle / Blues Variation / Promenade / The Hut Of Baba Yaga / The Curse Of Baba Yaga / The Great Gates Of Kiev
04:Rondo
05:Nutrocker
06:Interview
CD 2: Live At The Royal Albert Hall (1993)
07:Karn Evil 9 (First Impression Part 2)
08:Tarkus: I:Eruption / II:Stones Of Years / III:Iconoclast
09:Knife Edge
10:Paper Blood
11:Romeo & Juliet
12:Creole Dance
13:Still...You Turn Me On
14:Lucky Man
15:Black Moon
16:The Pirates
17:Finale I: Fanfare For The Common Man / II:America / III: Blue Rondo A La Turk
CD 3: Live in Poland" (1997)
18:Karn Evil 9 (First Impression Part 2)
19:Touch And Go
20:From The Beginning
21:Knife Edge
22:Bitches Crystal
23:Take A Pebble
24:Lucky Man
25:Medley: Tarkus / Pictures At An Exhibition
26:Medley: Fanfare For The Common Man / Rondo
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