Rocktimes: Hallo Marcus, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, um unserem Magazin für ein Interview zur Verfügung zu stehen.
Marcus: Ja klar, gerne.
Rocktimes: Du bist in Prag geboren, bist aber in Deutschland aufgewachsen. Was waren die Beweggründe?
Marcus: Ganz einfach, der Prager Frühling. Es war eine Flucht vor den Russen, um es mal korrekt, politisch auszudrücken. Mein Vater hatte den Braten gerochen, meine Großmutter war Österreicherin mit deutschem Pass, daher konnte meine komplette Familie Deutschland-Pässe beantragen. Circa zwei Wochen vor dem Beginn des Prager Frühlings sind wir dann abgehauen.
Rocktimes: Soweit ich weiß, hat es nicht lange gedauert bis Du dann nach Los Angeles gezogen bist.
Marcus: Im Prinzip richtig, nur ganz so schnell ging es nicht. Zuerst hatte ich ein Jahr in Salzburg bei meiner Großmutter gewohnt. Später ging es dann quer durch die ganze Bundesrepublik, über München bis nach Frankfurt, wo ich letztlich neun Jahre meines Lebens verbrachte. Es war für mich eine sehr prägende Zeit, habe in Frankfurt mein Abi gemacht und bin anschließend nach LA.
Rocktimes: Und dort hast Du dann Musik oder das Gitarrenspiel studiert?
Marcus: Ja gut, Gitarrenspiel oder Musik ist im Prinzip dasselbe. Ich war dann auf dem (Gitarren-)'Institut Of Technology', so heißt das.
Rocktimes: Tschechoslowakei, Österreich, Deutschland, USA. Würdest Du Dich als Weltenbummler bezeichnen?
Marcus: Weltenbummler hört sich so unheimlich wichtig an. Ich habe es mir nicht ausgesucht, es hat sich so ergeben, denn meine Eltern sind wegen ihrer Berufung fast alle zwei Jahre umgezogen.
Rocktimes: Inwieweit hat Dich die in jungen Jahren erlebte 'Umzieherei' geprägt?
Marcus: Ich hatte mich z. B. in Frankfurt sehr wohl gefühlt, hatte in meinen letzten zwei Schuljahren zwei Bands gegründet, mit denen ich fast jedes Wochenende Konzerte spielte. Wir verdienten für damalige Verhältnisse richtig gutes Geld und es kam schon mal vor, dass wir pro Monat 1.000 D-Mark an Gage einstrichen. Du kannst Dir vorstellen, dass das Anfang der Achtziger für einen 18-jährigen Lümmel ein Haufen Kohle war. Da ich aber ein sturer Kopf bin und merkte, dass mich die Musik in Deutschland nicht weiterbringen würde, auch nicht sonderlich interessierte, nahm ich die erstbeste Gelegenheit war, um nach LA zu ziehen. Außerdem war es für mich eine gute Gelegenheit, um den Eltern eine Ausbildung vorzuweisen.
Rocktimes: Welchen Ort würdest Du als Deine Heimat bezeichnen?
Marcus: Oh, das ist eine schwierige Frage, eine sehr schwierige. Je älter ich werde, umso mehr denke ich darüber nach und bin sehr zwiegespalten. Die meiste Zeit habe ich in Deutschland verbracht und habe hier, so wie in den anderen drei Ländern, in denen ich bisher gelebt habe, viele großartige Dinge erleben dürfen, aber auch nicht so schöne. Das hängt natürlich von der jeweiligen Lebenssituation ab. Zum Beispiel gefällt mir an den Amerikanern ihre Lebenslust, nicht so vollkaskomäßig wie hier in Deutschland, und mir liegt der tschechische-österreichische Humor. Momentan lebe ich mitten im Wald. Es kann passieren, dass wenn ich morgens mit dem Musizieren anfange, ein Reh in meinem Garten steht.
Rocktimes: Du lebst mitten im Wald und das in Hamburg? Das klingt interessant.
Marcus: Obwohl ich bereits seit achtzehn Jahren in Hamburg lebe, war mir mein jetziger Wohnort bis vor vier Jahren selbst noch unbekannt. Ich wohne in einem Haus mit ein paar Gitarren, einem Tonstudio, ein paar Rehen und zahlreichen Maulwürfen, die sich ungeniert in meinem Garten tummeln (grinst). Das alles wird aber von zwei riesigen, gut ausgebildeten Hunden bewacht. Ich schau mir beim Morgenkaffee die Eichhörnchen an, wenn sie sich um die Nüsse kloppen (lacht) und man könnte meinen, ich lebe in der Schweiz, in Österreich oder in Bayern.
Rocktimes: Hattest Du heute noch Zeit, um Dir Berlin anzuschauen?
Marcus: Nee, die Zeit hatte ich heute noch nicht, habe aber in der Vergangenheit schon mehrmals in Berlin gespielt, z. B. im Huxley's. Allerdings habe ich bei meinem ersten Berlin-Auftritt mit einer Elektroband gespielt und zwar im Tresor, morgens um sechs. Ich hatte mal eine zweijährige Zeit mit Exkursionen in der elektronischen Musik, mit DJs usw. Doch eigentlich habe ich hier in Berlin schon alles mögliche gespielt, auch Hard Rock mit Kingdom Come. Ich stand auch schon mit Saga, Achim Reichel oder Moses Pelham auf der Bühne. Außerdem habe ich mit Jeremy Sash noch einen meiner besten Freunde in Berlin. Er wohnt im Prenzlauer Berg und hat dort noch eine der wenigen bezahlbaren Wohnungen, die man ihm versucht ständig abzuknöpfen. Mit ihm habe ich die allererste Errorhead-Platte gemacht und er wird mich nachher zum Gig besuchen. Ihn kenne ich schon, seitdem ich fünfzehn, sechzehn bin.
Rocktimes: Wie ist Errorhead eigentlich entstanden?
Marcus: Als ich, ich glaube es war 1994, nach Deutschland zurückkam, hatte ich einen Freund, der sich mit Elektromusik beschäftigte und einige DJs unter Vertrag hatte. Irgendwann wollten die was mit Gitarren machen. Das war die Zeit, als wir im Tresor spielten. Wir sind aber auch beim Montreux-Festival aufgetreten. Das war natürlich kein typisches Techno-'Bumbum', aber es war halt ein komisches Projekt, wie immer damals. Trotzdem, es folgten die zwei im geschäftlichen Sinne erfolgreichsten Jahre meines Lebens. Ich hatte in dieser Zeit meist an vier Tagen, oftmals aber auch an bis zu sieben Tagen in der Woche Sessions gespielt und dabei unfassbar viel Kohle verdient, war aber Null glücklich.
Rocktimes: Du warst erfolgreich und nicht glücklich?
Marcus: Ja, auch wenn es sich eigenartig anhört. Ich hatte keine Geldsorgen, musste mir keine Gedanken machen, ob ich mir die Miete leisten konnte oder täglich eine warme Mahlzeit auf dem Tisch stand. Ich hatte einfach keine Geldsorgen. Nicht so, wie damals einige Musiker und auch heute noch, die nicht wissen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Wie gesagt, ich hatte ein Leben ohne Geldprobleme, kaufte mir fast jede Woche eine neue Gitarre, bis ich irgendwann merkte, dass es nicht das ist, was mich wirklich zufrieden stellt. Ich hatte mir gedacht, ich müsste mal das machen, was mir wirklich Spaß macht. Habe mir dann von meiner gut verdienten Kohle viel Equipment für mein Heimstudio gekauft und Jeremy Sash, mein Kumpel der nachher vorbei kommt, hat mir geholfen, die erste Errorhead-Platte zu machen. Diese war allerdings ein reines Instrumentalalbum mit live eingespieltem E-Schlagzeug (schmunzelt). Aber gut, ich hatte schon immer ein Faible für Instrumental-Bands, schon mit fünfzehn hatte ich eine. 2006, also ich habe immer zwei Sachen parallel gemacht, da gab es schon zwei Errorhead-Platten, immerhin in sechs Jahren entstanden [mit ein wenig Selbstironie erzählend], und merkte aber, ich komme nicht weiter. Ich hatte einen richtig fetten Plattenvertrag. Die Macher von einst haben da richtig viel Kohle reingebuttert und mächtig verloren. Wir waren damals mit einem riesigen Tourbus unterwegs und wurden bei unseren Konzerten meist brutal ausgepfiffen. Das damalige Publikum kam nicht damit klar, dass keiner von uns sang, dass wir mit einem E-Schlagzeug auftraten, nicht so gitarrenlastig wie gewohnt spielten und dann steht da noch ein Typ mit so einen komischen Hut auf der Bühne. Es war alles sehr merkwürdig und sehr, sehr hart. Damals haben wir auch in Berlin gespielt, 1999 als Support von der Ostband Inchtabokatables. Ich sag Dir, es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn 1.500 Fans vor dir stehen, und du 3.000 ausgestreckte Mittelfinger siehst und das, bevor du auch nur einen Ton gespielt hast. Das war richtig hart! Die Tour hat sich weit im sechsstelligen Bereich bewegt und die Kohle wurde regelrecht gegen den Wind gepisst! 2005/2006 hat es mir endgültig gelangt. Ich hatte nochmal in der Hamburger Cologne-Arena vor 14.000 Leuten mit einem namenhaften Künstler, dessen Name ich hier aber nicht erwähne, auf der Bühne gestanden, hatte den vollen Frust geschoben und dachte nur noch: Was machste eigentlich hier? Jägermeister, Jägermeister, noch 'n Lied, Jägermeister, Jägermeister (lacht herzhaft). Da habe ich mit gut 3,2 Promille 'ne drei Stunden-Show abgezogen, habe mich anschließend von einem Taxi nach Hause fahren lassen und wusste, das war es, ich konnte und wollte nicht mehr.
Rocktimes: Da erinnere ich mich spontan ans Jahr 2008, als ich mir hier im Quasimodo Michael Landau angesehen hatte. Er bewegte sich an diesem Abend viel im Jazz Rock-Segment und erntete einige Buh-Rufe und zahlreiche Bierdeckel flogen ihm um die Ohren. Ich denke, wer sich im Jazz Rock oder im Fusion präsentiert, macht eher Musik für Musiker. Was meinst Du?
Marcus: Ehrlich? Michael Landau hat hier Buh-Rufe geerntet? Er ist einer meiner Lieblingsgitarristen! Ich habe ihn bestimmt schon zwanzig Mal live gesehen und es war jedes Mal 'ganz großes Kino'. Sehr viele Landau-Platten sind in meinem Besitz. Sicher, zum Teil ist seine Musik schwer verdaulich, doch in den Siebzigern wären die Fans bei seiner Musik vermutlich ausgerastet. Es ist immer ein Zeitgeist, wie die Leute unterwegs und so drauf sind. Michael Landau ist einer der ganz wenigen Gitarristen, die ich sehr genau verfolge. Er verweigert sich dem Musikgeschäft, pflegt z. B. keine Facebook-Seite und macht einfach nur sein Ding. Er lebt mit seiner Frau, die in ihrem Beruf auch sehr erfolgreich ist, in Beverly Hills. Er hat es einfach geschafft, hat reichlich Kohle verdient und wenn er mal für vier Wochen auf Tournee ist, dann will er es auch so erleben, wie ER es möchte. Er will auch gar nicht so berühmt sein, verstehst Du? Schau mal, Kai [der sich eben mit seinem Laptop beschäftigt] hat viel mit Landau zusammen gearbeitet, als Mischer. Er hat ein paar Storys über Landau parat, die ich aber hier nicht wiedergeben werde (schmunzelt). Um es auf den Punkt zu bringen: Michael Landau zieht seine Linie, ohne Wenn und Aber kompromisslos durch, ist sympathisch und vor allem sehr authentisch. Er ist ein 'Monster-Gitarrist', ein super Musiker!
Rocktimes: Marcus, mir ist beim Recherchieren über Deine Musik besonders aufgefallen, dass Du meist auf einer Fender Stratocaster die Saiten zupfst.
Marcus: Ja, Mike, das stimmt. Ich bin im Besitz vieler Gitarren, ein paar Gibson gehören genauso dazu, wie doppelhalsige, akustische, halbakustische usw. Im Laufe meiner Karriere habe ich mir gut zwölf 'Strats' zugelegt, es ist die Gitarre mit der ich am besten klinge. Auch wenn ich immer wieder mit anderen Klampfen musiziere, auf der Bühne oder auf Platte ist immer eine Strat meine erste Wahl.
Rocktimes: Haben Deine Gitarren ein Eigenleben?
Marcus: Im Prinzip schon. Ich habe schon eine deutliche Staffelung, sie haben alle ihre Macken, ihre Eigenarten, die ich mittlerweile alle kenne und mit denen ich umzugehen weiß. Sie haben auch alle einen Namen von mir bekommen. 'Gitarroses', so nennt man wohl die Gitarrenspielerkrankheit (lacht). Leider ist die Gitarre, zu der ich einen besonderen Bezug habe, eine schwarze Stratocaster, die ich 1989 in LA für 200 Dollar erworben hatte, zum ersten Mal nicht mit auf Tour. Sonst ist sie immer in meinem Leben mit auf Konzerten gewesen! Doch diesmal muss sie sich einer Inspektion unterziehen. Die rote Strat, die du nachher sehen und hören wirst, eine 63er, lag heruntergekommen unter einem Bett, bevor sie für 3,50 D-Mark zu mir wechselte. Ihre Instandhaltung dauerte fast zwei Jahre, doch es hat sich gelohnt, sie klingt super. Ich bin aber über den schlimmsten Punkt hinüber. Wäre ich zwanzig Jahre jünger und hätte einen Haufen Kohle, würde ich mir viel mehr Gitarren zulegen. Die Investitionen hielten sich immer im Rahmen und mittlerweile stellt Fender mir netterweise auch mal 'ne Telecaster oder 'ne Jazzmaster zur Verfügung.
Rocktimes: Seit ein paar Tagen tourt ihr durch Deutschland. Mich würde interessieren, ob Du beim letzten Konzert einen Song gespielt hast, so improvisieren musstest, den Du so nicht mehr nachspielen kannst?
Marcus: Das passiert, wenn es besonders gut läuft. Wenn es gut läuft, dann weißt du nicht, was du gespielt hast. Wie gesagt, es kann schon mal vorkommen, doch unsere Jam-Ecken sind nicht SO ausgeprägt, wie ich es z. B. früher oft praktiziert habe. Damals war mein Motto, bei jedem Song ein anderes Solo zu spielen. Heutzutage erwarten die Fans genau die Soli, die sie kennen. Letztlich ist ein Solo die Verlängerung eines Songs, d. h. bestimmte melodische Aspekte sind immer dabei. Da ich beim Mischen und bei allem anderen immer dabei bin, ist das improvisierte Solo auf der Platte so fest in meinen Ohren verankert, dass es nie ganz mein Gedächtnis verlassen wird. Trotzdem, manchmal drehe ich auch durch und dann passiert schon was. Meistens habe ich eine Einstiegsgeschichte, auf der ich dann aufbaue.
Rocktimes: Na, da bin ich mal gespannt, was uns heute Abend erwartet (lache).
Marcus: Ich auch (lacht).
Rocktimes: Welche Art in der Musikbranche gefällt Dir mehr, live auf der Bühne zu stehen, oder siehst Du Dich eher als Studiomusiker?
Marcus: Also, ich liebe es total, live zu spielen. Was mich so richtig nervt, ist alles drumherum, das viele Reisen, gerade bei dem derzeitigen Mistwetter. Momentan fühle ich mich auch nicht so gut, habe einen Kopf wie ein riesig schwerer Kürbis und habe mir kurz vorm Interview bereits die dritte Aspirin reingezogen. Ich finde beides gut, so freue ich mich bald wieder für zwei Wochen daheim zu sein, um in meinem Studio zu arbeiten. Im Prinzip ist es mir egal, so lange es sich um Musik dreht. Doch das Musikgeschäft insgesamt betrachtet, ist viel schlimmer, als das Reisen. Die letzten drei Tage waren der reinste Alptraum, den ich nicht mal meinen ärgsten Feinden wünsche.
Rocktimes: Oje, ich hoffe, dass wir von RockTimes nicht auch zu Deinen Albträumen gehören?
Marcus: Nee, nee, das ist total angenehm. Du bist nett und mit Dir muss ich mich nicht um irgendwelche wirtschaftlichen Geschichten streiten, um falsche Abrechnungen oder andere unangenehme Kleinigkeiten. Du bist Trucker, bist Buchhalter, bist Webmaster, bist Telefonist usw. Das ist es, was mich unheimlich nervt.
Rocktimes: Hast Du denn keinen Manager, der Dir diese Arbeiten abnehmen kann?
Marcus: Ich habe jetzt jemanden, einen Augsburger, der ist wirklich sehr aktiv und hilft uns extrem. Durch ihn sind wir demnächst mit zwei Songs live im bayerischen TV zu sehen. Er ist von uns überzeugt, ist der Meinung, dass wir normalerweise vor tausenden von Fans spielen müssten und gibt seit kurzem für uns richtig Gas. Er hat eine neue Booking-Agentur an den Start gebracht und hat uns nebenbei als Support für Foreigner vermitteln können. Solche Menschen braucht man, die helfen einem ungemein. Eine Freundin nimmt mir den ganzen Online-'Krieg' ab, wenn ich gerade auf Tour bin und sie gestaltet die Plattencover. Frankie ist mein Technikminister, Kai hat seine Aufgaben in der Produktion und Herr Altmeier ist für die Probengestaltung zuständig usw. Alles alleine könnte ich auf keinen Fall stemmen, ich hänge nur überall meine Nase rein (lacht).
Rocktimes: Bist Du im positiven Sinne auch ein bisschen verrückt, bzw. spontan für verrückte Sachen?
Marcus: Was heißt'n verrückt?
Rocktimes: Wenn sich z. B. heute Abend in der ersten Reihe ein Amateurgitarrist aufhält und Dich irgendwann während des Gigs bittet, auf Deiner Gitarre ein Solo zu spielen. Würdest Du ihm das spontan gestatten?
Marcus: Hmm, weiß ich nicht, weil die Hauptaufgabe ist die, dass wir uns hier promoten. Wenn es sich um eine Jamsession handeln würde, okay. Ich würde aber nicht jeden an einer meiner heiß geliebten Strats lassen, denn ich weiß ja nicht, was derjenige mit meiner Gitarre anstellen würde.
Ich hatte mal ein Erlebnis, als ich mit Frank ein Duett in einem Workshop spielte. Da kam einer auf die Bühne und meinte, er könne das viel besser und wollte mir meine Fender quasi vom Leib reißen. Das Schlimme in dieser Situation war, dass der Störenfried auch noch voll besoffen und der Lokalmatador war. Es war nicht sehr angenehm, weil er uns für fünf Minuten voll aus dem Konzept geworfen hatte. Das Risiko ist einfach zu groß und wir sind heute Abend hier, um als Errorhead zu überzeugen und nicht um irgendjemandem ein Podium zu bieten. Du glaubst gar nicht wie viel Anfragen es gibt, mit der Bitte, als Zugabe mit mir ein Duell zu veranstalten. Ich sag dann immer: »Hä, bringst du dann eine Knarre mit? Worum geht's hier eigentlich?«. Die denken, ich helfe ihnen, wenn ich mich von ihnen in Grund und Boden spielen lasse, ich zu weinen anfange und sie als 'große Stars' entdeckt werden. Soviel zum Thema, spontane Verrücktheit (schmunzelt).
Rocktimes: Als ich mich auf unser Gespräch vorbereitet hatte, habe ich natürlich viel über Dich und Errorhead recherchiert und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass Du ein hervorragender Gitarrist bist. Ich würde dich problemlos in der Kategorie Champions-League einordnen. Ich habe mir in den letzten Jahren sehr viele gute Edelgitarristen angesehen, würde aber nie behaupten, dass Du oder irgendein anderer Gitarrist sich die Krone aufsetzen darf. Ich denke, es gibt keinen, der von sich aus behaupten darf, er sei der allerbeste Gitarrist aller Zeiten.
Marcus: Schau mal, es ist ja kein Sport. Viele junge Musiker denken, je mehr Töne umso besser. Aber dann wäre ja z. B. B.B. King ein schlechter Gitarrist. Ich halte ihn für einen der großartigsten Gitarristen, vor allem hat er was gemacht, was die meisten von uns gar nicht geschafft haben, nämlich eine eigene Sprache, von der wir alle zehren, kreiert. Also Individualität, wie kommunizierst du?
Rocktimes: Gibt es für Dich einen Musiker, wo Du der Meinung bist, der oder die ist für Dich die Nummer eins?
Marcus: Ich habe bisher noch nie einen Musiker so verehrt, dass ich komplett durchgedreht bin. Doch es gibt viele tolle Leute, die ich mir mehrmals angeschaut habe. Wie gesagt, ich habe Michael Landau zwanzig Mal gesehen, habe Gary Moore zwanzig Mal gesehen und bin eigentlich zu jedem Konzert gegangen, wo man mir vorher nahe gelegt hatte, diesen Künstler unbedingt einmal gesehen haben zu müssen. Schon als kleiner Junge habe ich mir viele Jazzkonzerte angesehen, z. B. im Frankfurter Jazzkeller und die Konzerte liefen nicht selten bis zu vier Stunden. In meiner Jugend stand ich bestimmt drei bis vier Mal in der Woche vor der Tür und habe mir Gigs angeschaut, auch reine Basskonzerte.
Rocktimes: Apropos Basskonzerte. Kennst Du den unter uns anwesenden Michael Nürnberg eigentlich näher? Er ist nämlich auch ein guter Bassspieler und falls kurzfristig, was wir natürlich nicht hoffen, Frank Itt ausfällt, könnte er problemlos einspringen.
Marcus: Ja ich kenne ihn, habe aber immer gedacht, das Micha ein Gitarrist sei.
Michael: Mann, Mike, hör uff. Gegen Frank Itt sehe ich kein Land, der ist einer der besten, spielt in einer anderen Liga (im Backstage entwickelt sich eine allgemeine Heiterkeit).
Rocktimes: Marcus, ich habe immer eine Frage über meine Lieblingsband AC/DC im Ärmel, die ich fast jedem meiner Interviewpartner stelle. Wenn Dich morgen Malcolm Young anrufen würde, mit der Bitte, seinen verhinderten Bruder Angus für ein paar Konzerte zu ersetzen. Würdest Du Dir den Job zutrauen?
Marcus: Ich würde es mir zutrauen, glaube aber auch, dass mich das Publikum steinigen würde. So geil ich AC/DC finde, ihre Fans sind eine der militantesten. Wenn bei einem AC/DC-Gig kein 1,52 Meter großer Angus über die Bühne wirbeln würde, wären die Fans mit Sicherheit richtig sauer. AC/DC-Anhänger sind die härtesten Fans der Welt. Jede Band, die vor den Australiern gespielt hat, hat gegen diese Fans keine Chance. AC/DC-Fans wollen AC/DC sehen und zwar nur AC/DC! Ich denke, ich würde es nicht machen. Ich habe so eine Sache bereits einmal mitgemacht, das war, als ich für Saga einmal eingesprungen bin. Obwohl ich der Band den Arsch gerettet, für mein Empfinden einen guten Job abgeliefert hatte, war ein Großteil des Saga-Anhangs völlig gegen mich. AC/DC ohne Angus Young, die Stones ohne Keith Richards, es geht nicht. Es kann einfach nicht funktionieren. Nein, ich halte das für eine nicht so gute Idee. Ich weiß auch nicht, ob ich es authentisch rüberbringen könnte. Schon einige Male habe ich gehört, spiel' mal so wie der oder der oder wie Hendrix, und zwar genauso wie er. Dann heißt es oft, Hendrix hätte es aber so gespielt. Okay, ich aber nicht, verstehst Du? Deshalb würde ich nicht Angus ersetzen können, denn ich müsste den Marcus komplett zu Hause lassen.
Rocktimes: Ja Marcus, ich verstehe. Außerdem müsstest Du noch den Angus-Strip hinlegen und mit 'nem Schulranzen über die Bühne wirbeln (lache).
Marcus: Moment, nun wirst Du staunen. Ich habe mal in der Hamburger Freiheit nach einem dreistündigen Konzert als Zugabe "Thunderstruck" gespielt und bin damals tatsächlich mit 'nem Schulranzen übers Parkett gesprintet.
Rocktimes: Ui, Marcus, nun hast Du mich aber wirklich überrascht und hast meinen uneingeschränkten Respekt verdient.
Marcus: Ich dachte damals, ich würde ohnmächtig werden. Es waren 2.000 Fans vor Ort und so gut wie keine Luft zum Atmen. Ich sag's Dir, nach einer so kräftezehrenden Show noch so eine Zugabe zu spielen, da bin ich echt an meine Grenzen gestoßen. Einmal habe ich mich krass verspielt, einfach nur, weil ich mal aussetzen musste, nach Luft rang. Es war mehr ein Joke, aber ich habe versucht, so authentisch wie möglich zu wirken und hatte auch eine Schuluniform an. Und obwohl ich damals wesentlich jünger war, war es wirklich hart, sehr hart. Respekt vor Angus Young, so eine Show wie er sie abliefert, die muss man erstmal abziehen!
Rocktimes: Lass uns nochmal auf Deine Band zurückkommen.
Marcus: Gerne, Errorhead ist eine große Spielwiese und geht nicht, gibt's nicht. Wir kommen mehr oder weniger gut über die Runden. Wir werden nicht mehr Millionäre werden, es geht gerade so.
Rocktimes: Okay, ich bedanke mich für das ausführliche Interview und so wie ich es immer mit meinen Gesprächspartnern halte, hat der Befragte das letzte Wort.
Marcus: Geht zu Live-Konzerten und schaltet beim Betrachten von Musikclips nicht gleich nach drei Sekunden weg. Das ist wohl leider ein gesellschaftliches Problem, die Leute haben einfach keine Zeit und klicken meist nach Sekunden auf den nächsten Clip usw.
Rocktimes: Dann gehören wir von RockTimes wohl zu den Ausnahmen (lache).
Marcus: Hörst Du Dir wirklich jeden Song einer Dir vorliegenden CD an, bevor Du sie anschließend rezensierst?
Rocktimes: Ja Marcus, genauso ist es. Ich lege meine Hand ins Feuer und garantiere, dass jeder RockTimes-Mitarbeiter das jeweilige Promomaterial komplett in seine Einzelteile zerlegt und eine objektive Kritik abliefert. Für mich, sowie für alle Mitarbeiter von unserem Magazin, ist es genau das, worauf wir großen Wert legen und unseren Lesern sowie den Musikern einfach schuldig sind!
Marcus: Schön, dass es so was noch gibt.
RockTimes bedankt sich bei Marcus Deml und der Familie Spießberger vom Quasimodo, die durch ihre glänzende Zuarbeit zum Gelingen des Interviews beitrugen.
Externe Links:
|