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Ilja Richter / DISCO Tour 2012 30.04.2012, Tempodrom, Berlin
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Ilja Richter DISCO Tour 2012
»Licht aus, Spot an!«
Oder wie tief ein Mensch noch sinken kann...
Berlin, Tempodrom
30.04.2012
Event
Stil: Schlager
Artikel vom 07.05.2012
Holger Ott
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Vermutlich werden sich die meisten Leser wundern, dass in RockTimes ein Bericht über Ilja Richter veröffentlicht wird. Er ist ja nicht unbedingt unsere Baustelle - aber stop! Wer offen und ehrlich zu sich selber ist und die Fünfzig umkreist, der muss zugeben, in den Siebzigern ebenfalls vor der Glotze gesessen zu haben, um sich "DISCO" reinzuziehen. Immerhin war es zu dieser Zeit fast die einzige Sendung, die uns einige unserer Stars von damals näher brachte - und das sogar zur Primetime.
Ich war vielleicht dreizehn, als ich die Show zum meinem persönlichen Dauerbrenner erkoren hatte und der Leitspruch der Sendung »Licht aus, Spot an« das Pop-Geschehen im TV bestimmte. Richters Markenzeichen war damit geboren. Damals war ich begeistert, wenn meine Favoriten, wie Slade, Sweet oder Status Quo dort auftraten und ich ihnen mal auf die Finger schauen konnte. Natürlich war mir in dem Alter noch nicht bewusst, dass es sich um Vollplayback handelte, es wäre mir auch schlichtweg egal gewesen. Zu Konzerten durfte ich noch nicht, lange aufbleiben ebenfalls nicht, also blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Show mit Ilja Richter zu warten. Die Zeit dazwischen verbrachte ich mit dem Studieren der Top-Schlagertexthefte, in dem die Songtexte der Künstler gedruckt waren, die dort aufgetreten sind.
Dieser Ilja Richter war unser Idol, denn keiner kam den Musikern so nahe wie er. Jeder hätte sein Lieblingsspielzeug dafür gegeben, um an seiner Stelle zu sein. Meine Kumpels und Klassenkameraden haben ihn vergöttert, und ich selbstverständlich auch. Bis zu dem Tag, an dem sich Ilja in einem Interview geoutet hat. Da gibt unser Idol doch tatsächlich von sich, dass er sich überhaupt nicht für diese Art von Musik interessiere, ihm die Künstler grundsätzlich egal wären und er eigentlich klassische Musik bevorzuge. In diesem Moment habe ich den ersten Niederschlag in meinem jungen und hoffnungsvollen Leben einstecken müssen. Was der Typ damals von sich gab, das hat sich bis heute in meinem Gehirn festgefressen und ich bedauere es zutiefst, keinen Interviewtermin mit ihm bekommen zu haben, denn darauf hätte ich ihn garantiert angesprochen.
Seit diesem Tag rangiert Herr Richter in meiner Gunst ganz weit unten. Bis zum vergangenen Montagabend habe ich auch geglaubt, dass ein Mensch wie er nicht mehr tiefer sinken kann, doch es gibt immer noch eine Steigerung. Die Steigerung war die Vorstellung, die er im Rahmen seiner "DISCO"-Deutschlandtour auf die Bühne gebracht hat. Ich bin an diesem Abend mit mehreren Hoffnungen ins Tempodrom gefahren. Zum einen, dass die Bühnendeko wenigstens annähernd so aussieht, wie sie damals im Fernsehen präsentiert wurde und zum anderen, dass vielleicht einige der Bands aus der guten alten Zeit auftreten würden. Immerhin gibt es viele von denen noch, wie z. B. Suzi Quatro, ebenfalls Dauergast, oder die vorher bereits erwähnten. Irgendjemand hat im Vorfeld verlauten lassen, dass Schnulzenbarde Jürgen Marcus dabei sein werde. Weder die Webseite, noch das Plakat und auch der Veranstalter konnten vorher aussagen, was dort wirklich abgehen würde. Die ganze Nummer war also bereits im Vorfeld eine völlige Pleite, und es sollte noch viel schlimmer kommen. Außer mir haben sich gerade mal drei weitere Redakteure anderer Magazine eingefunden und lediglich achthundert Zuschauer, die Preise zwischen 39,00 Euro bis 69,00 Euro auf den Tisch geblättert haben.
Die Show beginnt mit ein paar Hupfdohlen und einem Zauberer, der billige Tricks aus einer Kiste zaubert. Wer allerdings glaubt, dass aus eben dieser Kiste der Moderator entspringen würde, liegt total daneben. Ganze zehn Minuten benötigt Ilja um endlich zu erscheinen. In einer kleinen Ecke der Bühne versteckt sich seine Haus- und Hofband, mit der er anscheinend schon einige Jahre unterwegs ist. Mehr als Festzeltqualitäten kommt von den Musikern aber nicht rüber. Leider kommt von Ilja auch keine Information, wie sich der weitere Verlauf gestalten wird. Stattdessen lässt er seine typischen, platten Witze von Stapel, über die sowieso niemand lachen kann. Er hat in vierzig Jahren Bühnenpräsenz noch immer nicht begriffen, dass er sich damit beim Publikum keine neuen Freunde macht. Nebenbei stellt er ein Double vor, das ihn in jungen Jahren zeigen soll, wie er damals die "DISCO"-Sendungen moderiert hat.
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Der erste Stargast gibt sich nach zwanzig Minuten die Ehre. Es ist Jürgen Marcus, rank und schlank, aber deutlich in die Jahre gekommen. Ich mochte ihn noch nie, einige unter den Zuschauern anscheinend ebenfalls nicht. Wie auf Kommando verlassen einige den Saal und kommen auch nicht mehr zurück. Inzwischen hadere ich mit mir selbst, wie lange ich mir dieses Elend ansehen soll. Meine Kollegen aus den anderen Redaktionen haben bereits lange vorher die Flucht ergriffen, ich bin also der einzige, der die Fahne aufrecht hält. Jürgen Marcus haut inzwischen zwei Gassenhauer raus und bringt in Begleitung der männlichen und weiblichen Hupfdohlen ein paar Tanzeinlagen. Als der Applaus weitestgehend ausbleibt, wird Herr Marcus etwas unverschämt zum Publikum. Ich hätte mir den Wortlaut mal lieber aufschreiben sollen, jetzt fällt er mir nicht mehr ein. Nett war es jedenfalls nicht, und weitere Personen verlassen den Saal.
Ilja Richter übernimmt wieder das Zepter und trällert irgendwas ins Mikrofon. Dazwischen wieder ein platter Witz, und per Playback werden alte Kamellen von Boney M. und den Bee Gees eingespielt, wobei ich mich frage, ob letztere jemals in der Sendung aufgetreten sind. Im Hintergrund werden auf einer Videoleinwand die passenden Plattencover eingeblendet, wohl damit jeder im Saal versteht, wer da gerade vertont wird. Ilja macht sich dabei munter weiter zum Hampelmann und tritt in einen Wettstreit mit seinem Double. Das Ganze wird zur Farce, und mein bisschen verbliebener Verstand will einfach nicht begreifen, weshalb der Saal plötzlich in kollektives Klatschen verfällt. Ich werde zusehends nervöser, und will eigentlich nur noch von hier verschwinden.
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Das Stichwort dazu gibt mir Showmaster Ilja Minuten später, indem er lauthals ins Publikum das Wort »Pause« ruft. Mein Blick auf die Uhr sagt mir, dass gerade einmal fünfzig Minuten vergangen sind. Zum Glück befinde ich mich sehr nahe an einer der Saaltüren und bin schnellen Fußes draußen. Ob also noch ein weiteres Highlight kommt, oder wie der Verlauf des weiteren Abends wird, bleibt mir verborgen, und ehrlich gesagt, will ich es auch nicht wissen. Mir tun nur die Zuschauer leid, die viel Geld für absoluten Unterhaltungsschrott bezahlt haben. Auf dem Weg nach Hause kam der Frust über mich, mir den schönen Frühlingsabend mit dem Anblick eines drittklassigen Entertainers versaut zu haben. Vielleicht mag er ja auf den Theaterbühnen glänzen - das zu beurteilen liegt außerhalb meiner Kompetenz - aber wenn, dann soll er bitte auch dort bleiben. Meine Erkenntnis des Abends: Wer tief unten ist, kann immer noch tiefer sinken.
Danke trotzdem an Janine Lerch vom Concertbüro Zahlmann!
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