Nachdem das ganze Jahr über in dem beschaulichen Odenwalddörfchen Finkenbach musikalisch nur Hirsche röhrten und Vögel sangen, heißt es bei bestem Sommerwetter endlich wieder Bühne frei für eine Neuauflage des bei vielen Fans aus Nah und Fern seit Jahrzehnten beliebten 'Finki-Festivals'. Mit der nunmehr 31. Ausgabe präsentiert das Kult-Festival am wild durch den Ort dahin fließenden Finkenbach auch diesmal wieder einige Bands, die Rockgeschichte schrieben und noch immer schreiben!
Auf dem bereits bestens gefüllten idyllischen Sportplatzgelände beginnt der musikalische Reigen am Freitagabend direkt mit einem Leckerbissen. Der ehemalige
Can und Dunkelziffer-Gesangsakrobat Kenji 'Damo' Suzuki und Rockformation Diskokugel spielen mit ihren halb improvisierten, psychedelisch angehauchten Songs sich und das Publikum mühelos in eine angenehme Abendtrance. "Beat-Schick" mit schwarzen Schlipsen zu weißen Hemden gekleidet, spielen die vier jungen Musiker dieser Network-Formation ganz groß auf. Hypnotischer Bassgroove und klirrende Gitarrenläufe untermalen perfekt den einzigartigen Sprechgesang des sehr lebendigen japanischen Frontmannes in ihrer Mitte. Das Mikro stets fest umklammert, versteht es Damo Suzuki nur über seine Stimme enorme Spannung aufzubauen und komplexe Musikkreationen scheinbar aus dem Nichts heraus zu kreieren. Gemeinsam mit der Band ergibt dies einen ganz eigenwilligen Sound, der viele Zuhörer mit seinem rhythmischen Drive einfach in einen tranceartigen Bann zieht. Merkwürdig nur, dass diese eigenwillige Formation das Festival eröffnet und nicht erst zur Nachtzeit spielt.
Nach kurzer Stärkung ist es danach Zeit für Politrocker der ersten Stunde: Ton, Steine, Scherben spielen zu viert einen locker-luftigen Unplugged-Auftritt. Auch wenn die meisten Songs aus der Protestzeit der 1970iger und 80iger Jahre stammen, kommen sie doch musikalisch und textlich daher, als wären sie gerade erst komponiert worden. Das bewegende "Der Traum ist aus", vom Publikum auf der Finkiwiese lauthals mitgesungen und bereits 1972 von Rio Reiser komponiert, ist solch ein Dauerbrenner. Vom Gitaristen und Sänger Marius del Mestre wunderbar im wütend-ironischen Geist von Rio intoniert auch die Hymne "Wir müssen hier raus", bei der - fast wie damals - sich so etliche Protestfäuste auf der Wiese erheben. Überhaupt weht über dem gesamten Auftritt ein starker emotionaler Geist des 1996 verstorbenen Sängers. Stimme, Akustikgitarre und die Holzkistentrommel Cajon reichen bei der Wucht dieser Politsongs als musikalische Untermalung beim Sommerabendkonzert der Scherben diesmal völlig aus.
Akustisch eine gewaltige Reise von der Kreuzberg-Musikkultur zum Bluesrock aus Texas, steht danach mit dem Schwergewicht Lance Lopez auf der Bühne. Ganz in weiß, mit dunkler Sonnenbrille, glitzerndem Cowboyhut und einer voluminösen Stimme ausgestattet, heißt es bei dem Texaner nun zwei Stunden lang volle Dröhnung voraus. Dabei feuert er mit seiner US-Bühnenpräsenz und dem kreischenden Spiel seiner Gibson dröhnende Breitseiten und Schwindel erregende Soli en Masse ins Publikum. Ohne Zweifel Funkblues und Rock der gehobenen Klasse, doch lange nicht so jedermanns Geschmack!
Ganz andere Tonlagen dann in tiefer, sternenklarer Mondnacht: Lover 303, das Acid-Rock und Voodoo-Tranceprojekt von Conni Maly ( Lava 303, The Slags) und Oberguru Mani Neumeier bewegt - und wie! Treibende Effekt-Beats mit gekonnten Samples, dazu pulsierendes Psycho-Gitarrenspiel, fette Bässe und Goa Groove an Drums/Perkussion, dass es einen wahrlich von den Socken haut! Das spontane Spielen aus dem Moment heraus in einen Flow hinein, ist hier die Devise. Aus der brandneuen Lover 303-CD "Alien Revolution" werden Ansätze wie "Die Mama muss mal tanzen gehn" live einfach in freiem Fluss weitergespielt. Handgemachte Improvisationen, die sich scheinbar selbst tragen und den Fans ein berauschendes Tranceevent mit wildem Tanz bis fast zur Morgenröte bescheren.
Wunderbares Sommer-Sonnenwetter bringt der Samstagnachmittag und mit dem Freiburger Balkan-Funk-Quintett Äl Jawala genau die richtige Musik für ein lockeres Tänzchen auf der Sportwiese vor dem dörflichen Freibad.
Trotz des Geburtstages ihres Sängers, Drummers und Mitbegründers Bernd 'Nossi' Noske wirken Birth Control bei ihrem Auftritt am frühen Abend doch erstaunlich blass. Routinierter Krautrock mit altbekannten Songs und wenigen neuen Kreationen, jedoch ohne sonst gewohnte Höhepunkte oder Soli im Spiel wirkt die Band diesmal eher hausbacken. Einzig der Evergreen "Gamma Ray" bringt richtig Begeisterung und Tanzfeeling auf die mit ca. 1800 Besuchern eng gefüllte Wiese.
Gespannte Erwartung herrscht anschließend zur Finki-Primetime am Samstagabend. Auf der rappelvollen Anlage warten alle auf das Heimspiel von Guru Guru. Hatte der Festival-Mitorganisator Mani Neumeier die auftretenden Bands bisher stets anmoderiert, lässt er sich mit seiner Band Guru Guru nun von Ehefrau Etsuko Watanabe ansagen, die in der Folge die Bühne mit Unmengen von bunten Luftballons schmückt. Live waren und sind die 'Gurus' mit ihren extravaganten und mitreißend-witzigen Shows seit jeher ein besonderes Event für alle Freunde guter, handgemachter Ethno-, World-, und Krautrock-Musik. Eine Art Best-of-Liveprogramm aus 45 Jahren Bandgeschichte, plus einige Songs ihres brandneuen Albums Electric Cats kredenzt die ewig junge Combo unter rauschendem Szeneapplaus. Mal virtuos-jazzig, mal humorvoll, trancerockig, diese Band scheint sich stets neu zu erfinden, wofür neben ihren vielen Konzerten mit treuer Fanbase auch ihr neuester Kreativsilberling steht. Kurze eineinhalb Konzertstunden auf höchstem Niveau und ein Liveerlebnis, das einfach Spaß macht!
Spaß ist genau das passende Stichwort für den folgenden Gast. Mit schwarzer Maske und ebensolcher Kutte kommt Arthur Brown, 1960iger Ikone und Schockvorbild von Alice Cooper bis Marilyn Manson, gutgelaunt on Stage. Sein skurriles Äußeres wandelt sich schon im ersten Song, denn unter der Gesichtsmaske verbirgt sich eine zweite, grell geschminkte Vogelmaske. Begleitet von seiner vierköpfigen Band The Crazy World plus zwei Tänzerinnen mit bunt glitzernden Gewändern liefert der 71-jährige Altmeister eine ungemein abwechslungsreiche Rockshow der Extraklasse. Sogar Spaßvogel Mani Neumeier lässt es sich nicht nehmen samt Elektrolurchmaske spontan bei der extralangen Liveversion des Megahits "Fire" mitzumischen. Von tiefster Reibeisenstimme bis zu den höchsten Höhen, das Stimmspektrum sowie Bühnenpräsenz und Beweglichkeit des 'Höllenfeuergottes' sind schlicht beeindruckend. Ein denkwürdiges Konzert, von dem man noch lange sprechen wird!
Erst gegen 2.00 Uhr in der Früh kommt zum Abschluss die Züricher Jamband Ginger zu ihrem Auftritt. Ein überaus erlebenswertes Livegebräu aus Funk, Rock, Blues & Psychedelic. Alles scharf gewürzt und spontan serviert in einer endlosen Session mit ausladenden Schlagzeug- und Gitarrenriffs sowie regem Wah-Wah-Pedaleinsatz mit dezenten Trompetentupfern. Kreativer Retrosound mit Anleihen bei
Cream oder Grateful Dead, und Musik bei der selbst die vier Akteure oft vorher nicht wissen, wie ein Stück zu Ende geht. Und somit genau der richtige Sound zum Chillen und Abrocken in tiefster Nacht.
So geht in wunderschöner Naturumgebung dieses einzigartige Rockevent fast mit dem ersten Hahnenschrei zu Ende. Auch diesmal erfreute das Finki die teils weit gereisten Besucher wieder mit einem gelungenen Line-up, das eine absolut stimmige Momentaufnahme lebendiger Musikgeschichte darstellt. Bei diesem Flair kann Mensch sich schon jetzt auf eine Neuauflage im kommenden Jahr freuen. - Unser besonderer Dank geht an Veranstalter Karlheinz Osche für die optimale Unterstützung!
|