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Hamburg Crash Fest / 22.08.2013, Bahrenfelder Trabrennbahn, Hamburg
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Hamburg Crash Fest
Bahrenfelder Trabrennbahn, Hamburg
22.08.2013
Konzertbericht
Stil: Punk Rock, Ska
Artikel vom 29.08.2013
René Francke
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Sommerzeit ist Festivalzeit. Und die Qualität eines Sommerfestivals kann man an der Dichte des vor der Bühne aufgewirbelten Staubes messen. Am 22. August 2013, einem Donnerstag, wurden mehrere Tonnen Staub von tausenden, wild stampfenden Pogoherzen in die Hamburger Luft getanzt. An jenem Tag fand auf der Bahrenfelder Trabrennbahn das erste Crash Fest im Rahmen des Hamburger Kultursommers statt. Für dieses frisch aus der Taufe gehobene eintägige Punk Rock-Event warteten die Veranstalter mit einem sensationellen Line-up auf: Neben dem Trio Montreal und dem Punkurgestein Slime, beide Bands haben in Hamburg Heimspiel, gewann man noch DIE Größen des US-Punk Rock, NOFX und Bad Religion, sowie die kalifornische Ska-Reggae-Fraktion Mad Caddies. Und dank eines herrlichen Sommerwetters war der Weg für ein großartiges Event geebnet.
Montreal
Für die Punkszene untypisch punktlich, ääh pünktlich eröffneten die Jungs von Montreal bereits 16:30 Uhr den bunten Crash Fest-Reigen. Trotz einer zu dieser werktäglichen Stunde verständlicherweise noch spärlich gefüllten Wiese vor der riesigen Festivalbühne, auf der die drei Mucker etwas verloren wirkten, bewiesen die Hanseaten mit ihrem sonnigen Gemüt, ihren frechen deutschsprachigen Texten und hitverdächtigen Pop Punk-Melodien, dass sie sich nach zehn Jahren und über 500 Konzerten in 14 Ländern vor der großen Garde, die da noch kommen sollte, keineswegs verstecken müssen. Was zudem von Anfang an auffiel, war der unglaublich gut abgemischte Sound - das ließ Großes erwarten.
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Mad Caddies
Ebenso korrekt nach Zeitplan folgten die aus Kalifornien stammenden Mad Caddies, die mit jeder Menge Ska Punk, Reggae und Sonne im Gepäck die stetig anwachsende Tanzgemeinde vor der Bühne mehr und mehr in Wallung brachte. Dank ihres sonnigen Sounds, der unweigerlich in die Beine geht, fiel dies den Mannen um Sänger Chuck Robertson auch überhaupt nicht schwer. Die Mad Caddies sind für ihre energiegeladenen Live-Shows berühmt: Angereichert mit Jazz-, Swing- und Countryelementen schwingen diese Herren nun schon seit 1995 durchs Musikuniversum und ließen auch beim Crash Fest durch ihren Humor erkennen, dass sie die Sonne in ihrem Herzen tragen. So kündigten sie einen ihrer folklastigeren Songs mit den Worten an: »This is a banjo, and when you play folk music with a banjo it means you have sex with family members.«
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Slime
Wenig erfreut über den strengen Zeitplan und dennoch auf den Punkt genau betraten anschließend die Punk-Veteranen Slime die Bühne. Bereits seit 1979 prägt diese Combo mit ihrer politischen Haltung die deutsche Punkmusiklandschaft. Lieder wie "A.C.A.B." und "Deutschland muss sterben" gehören seit den 80ern zur musikalischen Grundausstattung der militanten Szene und wurden auch dem mitgrölendem Crash Fest-Publikum rigoros um die Ohren gehauen. Mit ihren Gassenhauern "Alle gegen alle", "Störtebeker", "Legal, illegal, scheißegal", "Linke Spießer" und "Sich fügen heißt lügen" bezieht die Band um Megaorgan Dirk 'Dicken' Jora nach wie vor Stellung, was dieser auch zwischen den Songs mit klaren Statements gegen Rassismus, Faschismus und jedwede Form von Nationalismus untermauerte. Einige Jahre war es still geworden um Slime. Nach ihrer Comeback-Tour 2010 folgte 2012 das aktuelle Album "Sich fügen heißt lügen", auf dem die Band Texte des anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam vertonte, der 1934 von den Nazis ermordet wurde. Mühsams Schriften drängen nach Veränderung und zeugen auch heute noch von erschreckender Aktualität. Doch es liegt in der Natur der Sache, dass ein Festival mehr Party als Podium für politische Diskussionen ist. Das wussten auch Slime, und so brachten sie mit ihrer rasenden Performance das stampfende Publikum dem Siedepunkt immer näher.
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Bad Religion
Apropos Politik: Die Urväter des politischen US-Punk reisten in diesem Sommer wahrlich kreuz und quer durch Europa und spielten dabei an nahezu jeder Gießkanne, selbst auf jedem Festival dies- und jenseits des Äquators hatte man sie gesichtet. Bereits am 05. Juni dieses Jahres konnte ich mich selbst von der Durchschlagskraft dieser auch nicht mehr ganz so jungen Kapelle (Gründungsjahr 1980) überzeugen, als Bad Religion (Vorband damals war die Berliner Punkcombo Candycunt) im Docks Hamburg ganz groß aufspielten, oder besser gesagt, über diesen Schuppen wie ein Orkan hinwegfegten. Die Altherren haben noch immer eine unheimliche Wucht und eine derart punktgenaue Schärfe, die einem schier die Birne wegfönt - eine Urgewalt ist gar nichts dagegen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass ICH der alte Mann bin und nicht die anderen um mich herumfliegenden und im Schnitt deutlich älteren Konzertbesucher. Wahnsinn, diese Energie und zeitgleich diese entspannte und authentische Leichtigkeit zeugen von einer Band, deren Mitglieder auch neben dem Banddasein echte Freunde sind und einfach Spaß an dem haben, was sie tun.
Aufgrund ihres diesjährigen Tourkalenders war ich im Vorfeld ein wenig in Sorge: Hatte dieses strapaziöse Städtehopping in den letzten Monaten bei den Herren Greg Graffin, Jay Bentley & Co. Spuren hinterlassen, sodass sie auf dem Crash Fest nur noch ein Schatten ihrer selbst wären und das Ende der Tour herbeisehnten? Diese Zweifel wurden von der erste Sekunde an zusammen mit dem Staub zu unseren Füßen hinfort gefegt. Einziger Wermutstropfen: Während ihres Auftrittes versagte hin und wieder die Technik. So setzte mehrfach Graffins Mikro aus, worüber dieser sichtlich genervt war. Auch Bassist Jay Bentley beschwerte sich zu Recht mehrfach beim Tontechniker und machte einmal in einem klaren Deutsch mit dem Satz »Ich hab keinen Spaß« seinem Ärger Luft. Erstaunlicherweise litt darunter weder die Stimmung im Publikum, noch die Qualität des Live-Auftritts im Ganzen, was zum einen daran lag, dass Bad Religion Vollprofis sind und es verstehen, solche technischen Probleme mit ihrer spannungsgeladenen Performance zu kompensieren - einmalig! Zum anderen war der zuvor angesprochene gut abgemischte Sound trotz dieser vereinzelten Aussetzer immer noch ein Garant für einen ausgelassen feierlichen Festivalabend. Einem Tornado der Stufe F4 gleich zerlegten diese Pfundskerle das Festivalgelände in seine Einzelteile. Die Menge tobte, gefüllte Bierbecher flogen im Sekundentakt durch die Lüfte, die Erde bebte. Bisweilen schien es, als öffnete sich der Boden unter uns und der Qualm der Hölle stiege gen Himmel. Besagter Qualm entpuppte sich als der aufgewirbelte Staub der Erde, den wir freudig fraßen und weiter auf dem Dach der Hölle abhotteten. Was wäre wohl passiert, hätte die Technik an dem Abend nicht rumgezickt?
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NOFX
Den Abend beschlossen NOFX, die zusammen mit Bad Religion die Headliner dieses ersten Crash Fests bildeten. Auch diese Herrschaften gehen mittlerweile stramm auf die 50 zu. Apropos stramm: Gewohnt sternhagelvoll, völlig durchgeknallt und zu vielerlei obszönen Späßchen aufgelegt, betraten Fat Mike, El Hefe, Eric Melvin und Erik Sandin die Bühne und quatschten sich zunächst einen Wolf - gezielt provozierend - bevor überhaupt der erste Ton erklang. Sagte ich sternhagelvoll? Nun ja, was Fat Mike betrifft, könnte man auch sagen, der Kerl war zu dem Zeitpunkt schon so ziemlich durch. Doch das tat der Stimmung überraschenderweise keinen Abklang, denn Fat Mike & Co. können anscheinend 5 Kisten Korn in der Krone haben, was sie an Show und Songs abliefern ist trotz aller Umstände immer unfassbar tight, gnadenlos wild und wunderbar punkig.
Wie bei jedem Auftritt beleidigten die vier Kalifornier alles und jeden rücksichtslos durch. An diesem Abend boten sich passenderweise vornehmlich die Deutschen im Allgemeinen an, denen man nicht nur mehrere Songs 'widmete', sondern auch offenbarte »You Germans love jewish punk rock bands because you are guilty«. Außerdem war ein langhaariger Metalhead in der ersten Reihe, dem Fat Mike versuchte zu erklären, dass dies ein Punk- und kein Metalkonzert sei, sowie Zuschauer im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung, die in einem Extra-Bereich saßen ("How did you get those seats? Did you blow?"), Ziel ihrer derben Witzchen. Nichts und niemand ist vor der Ironie, den provokanten Spitzen und sonstiger Verbalattacken dieser Jungs sicher, nicht mal sie selbst. Mitten im Set verabschiedete sich Fat Mike mit den Worten »I gotta pee«; diese kleine Pause nutzten seine Kompagnons, um mit der (legitimen) Verballhornung von "I Gotta Feeling" der Black Eyed Peas bei der Masse bewusst Buhrufe zu provozieren und mit dem unbeholfenen Anspielen von "Pretty Vacant" der Sex Pistols die Pinkelpausenlücke zu füllen. Durch Szenen wie diese und vielen weiteren
Slapstickeinlagen und Albernheiten erwecken NOFX schnell den Eindruck eines musikalischen Wanderzirkus des Punk Rock, denen alles scheißegal ist. Natürlich gehört das zu jedem Auftritt dieser Halunken. Am Ende zog das kalifornische Quartett wie immer seinen Stinkstiefel durch und beweist auch 2013, dass es nach über 30 Jahren noch immer eine der besten und authentischsten Punkbands dieses Planeten ist. Die vier Rotzlöffel schleuderten ihre musikalischen Brandsätze wie "Linoleum", "Don't Call Me White", "A Perfect Government", "The Separation Of Church And Skate" (laut Fat Mike der beste NOFX-Song aller Zeiten) und "Franco Un-American" in die Welt hinaus, während das Publikum wieder und wieder randvolle Bierbecher wild durch die Gegend schleuderte - so etwas nenne ich eine feuchtfröhliche Punkparty. Den Abpfiff des Festivalabends gaben NOFX mit ihrem Reggae-Evergreen "Kill All The White Man".
Welch wundervolle Premiere! Trotz einer überwältigenden Menge von tausenden Musikfans bot das Festivalgelände an der Trabrennbahn immer noch genügend Platz zum Tanzen, Pogen, Lümmeln und glücklich sein. Und dank großartiger Bands und eines wohlgesinnten Wettergottes wurde aus dem ersten Crash Fest ein unvergessliches Konzerterlebnis.
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