Anfang September ist Gehren im Terminkalender fest eingeplant. Zum zehnjährigen Jubiläum findet dieses Mal das Open Air an zwei Tagen statt. Die Einstimmung darauf begann aber schon im letzten Jahr, als wir Fans wieder unsere Wünsche für die Bands abgeben konnten. Gehren liegt unweit des Spreewaldes und ist eines der wenigen Festivals, das in diesem Teil der Republik stattfindet. Meistens heißt es aber für mich, weit in die andere Ecke von Sachsen oder nach Thüringen zu fahren; Gehren hat somit von Dresden aus die kürzeste Fahrtstrecke. Es gibt aber noch einen anderen Vorteil: die Nähe zum schönen Spreewald.
So fahre ich nicht schon wieder über das Wochenende zum Rock'n'Roll, was familiär immer in Verbindung mit lauter Musik, übermäßigem Genuss vergorener oder gehopfter Getränke und ungesundem Grillgut schweinischer Art in Verbindung gebracht wird. Es ist natürlich alles ganz anders, das Wochenende läuft unter der Rubrik 'Paddeln mit Freunden im Spreewald'. Die Bühne liegt mitten im Wald, saubere Toiletten, eine gastronomische Topversorgung - und das alles für sehr fanfreundliche Preise. Man kann nur den Hut ziehen, was Marlies und ihr Team da jedes Jahr auf die Beine stellen. Mit ihrer herzlichen, familiären Art ist sie über die drei Tage quasi omnipräsent, hat jederzeit ein offenes Ohr, begrüßt die Gäste, geht früh über den kleinen Zeltplatz und fragt nach, ob alles passt und wir uns wohlfühlen. Liebe Marlies - das tun wir, an dieser Stelle Dir und Deinem Team ein herzliches Dankeschön.
Kaum rauf auf den kleinen Zeltplatz, Kumpels und Freunde begrüßen und bei einem kalten Hopfentee verging die Zeit bis zum Beginn des Jugendtanzes wie im Fluge. Beim Einlass lernte ich auch einen Kollegen, Reinhard, von der Deutschen Mugge kennen, von dem ich über die Jahre auch schon viele schöne Artikel gelesen habe.
Erste Band am Freitag waren OhrenTod, die ich bis dahin überhaupt nicht kannte.
Sie definieren ihre Musik als 'Auf-die-Fresse-Rock'n'Roll'. Lockere, schnoddrige Art, immer einen frechen Spruch auf den Lippen, Gitarren eingestöpselt und los ging's. Das Motto war Programm: auf die Fresse-Rock'n'Roll mit deutschen Texten. "Bahn frei", "Zeit ist reif", "Asoziale Wohlstandskinder" - es ging richtig ab und hat mir ausgesprochen gut gefallen. Nur mit dem Cover eines Schlagersängers, hatte ich so meine Probleme, aber selbst das wurde so richtig schön punkig runtergerotzt. Die Band hatte auch ihren eigenen kleinen Fanclub dabei, der vor der Bühne Stimmung machte. Es war ein schöner Auftakt des Festivals.
Der Rest des Abends stand dann ganz im Zeichen der Black Sheep Rockonspiracy, Piet Botha & Akkedis und Freygang.
Für mich das dritte von vier Konzerten, die ich von Piet auf dieser Tour jetzt besuche und es war einfach wieder großartig. Piet & Akkedis begannen ihr Set mit dem Cover von Neil Young "Pocahontas". Dichter, atmosphärischer Gitarrensound mit zwei Leadgitarren. Öfter bewegten sich Piet und Arthur aufeinander zu und lieferten sich feurige Gitarrenduelle. Gespielt wurden neben Titeln von Piet ("Goeienag Generaal", "Siutcase Vol Winter") auch Stücke vom gemeinsamen Album, was unter dem Namen "The Lyzyrd Kyngs - One Night Only" veröffentlicht wurde ("Blues For Robert", "Mama Africa"). Sowohl Arthur, als auch Drummer Dennis, der zusammen mit Bassist A.J. Graham das Rhythmusfundament legte, unterstützen Piet gesanglich. Diese musikalische Geschlossenheit ist eine weitere Stärke dieser Band.
Die Umbaupause für Freygang war kurz. Begonnen wurde das Set von Piet & Akkedis und Freygang mit dem gemeinsamen Song vom "Lied von der Käuflichkeit des Menschen".
Anschließend rockte die Freygang Band die Bühne. Zur Freude der Fans hatte die Band vor allem viele ältere Stücke im Gepäck: "Kartenhaus", "Schwätzer", "Lumpenlied". Seit längerer Zeit auch mal wieder den von Kick gesungenen "Deserteur".
Brian spielte auch auf seiner Gitarre, die er sich von der Südafrika-Tour mitgebracht hatte. Es ist ein Eigenbau, aus einer großen Blechdose, in den Landesfarben von Südafrika lackiert - Wahnsinn, und so klingt sie auch. Nach dem bewaffneten Blues war die Party vor der Bühne viel zu schnell zu Ende. Allzu viele Termine haben die Freygänger für dieses Jahr nicht mehr im Tourplan stehen. Gerüchteweise wird sich die Band im nächsten Jahr vor allem auf die Festivals konzentrieren. Wir sehen uns da sicher in Torgau und Hohenlobbese.
Die Nacht war kurz und nach zwei großen Tassen Kaffee ging es ab nach Lübben zum Paddeln. Von Colt wunderbar organisiert, standen die Boote schon bereit. Handy und Kamera blieben im Auto, diese Ausflüge sind immer eine feuchtfröhliche Angelegenheit, sowohl von innen als auch außen. Dieses Mal waren wir ca. zwanzig Mann, verteilt auf acht bis neun Boote. Zum Glück war den Mücken der Termin entgangen, wir hatten unsere Ruhe und konnten die Landschaft genießen, vor allem die Aussicht war in diesem Jahr besonders schön. Heike von Shawue war auch dabei, dankenswerterweise war ihr Bus ein Teil der Transportlogistik, nur das gemeinsame Essen nach der Paddeltour brachte den Zeitplan etwas durcheinander - der Soundcheck rief. Letztlich passte aber alles.
Der Samstag begann mit Kirsche und Co. Seit einigen Tagen ist sein neues Album "Bessere Zeiten" erhältlich - ein starkes Teil. Kirsche braucht keine große Anlaufzeit, schon mit dem ersten Ton ist Partytime vor der Bühne. Otto trommelt, als gäbe es kein Morgen und zu Klaus an den Gitarren braucht man nix mehr sagen - Wahnsinn. Von der neuen Platte standen "Was ist passiert", "Jung & Frei", sowie der Titelsong, "Bessere Zeiten", auf dem Programm, von mir aus hätten es ruhig noch einige mehr sein können. Der "Regen" blieb im Programm und suchte auch kurze Zeit später die Waldbühne heim. Zum Abschluss brachten wir noch alle gemeinsam den 'Turm zum Einsturz', einer der Klassiker von Ton Steine Scherben .
Für Shawue ist es praktisch ein Heimspiel, Heike und Lutz wohnen quasi um die Ecke. Tochter Lotti stieg letztes Jahr wegen ihrem Studium aus, dafür ist am Bass wieder Burkhard dabei, ein Shawue-Urgestein. Los ging's mit "Silbermond". Im Set natürlich alle Klassiker der Band wie "Leinen los, "Dann schrei" und "Scheißkerl". Auf der Bühne wurde gehüpft, getanzt und Vollgas gegeben. Dem Altmeister Dylan wurde mit "Kein Limit" und "Wie'n Stein" gehuldigt. Kenner wissen natürlich, dass Shawue schon lange Dylan-Titel im Programm hat. Im letzten Jahr erschienen sie gebündelt auf der sehr empfehlenswerten Scheibe "Lutz de Shawue singt Songs von Bob Dylan." Kurz vor Mitternacht war das Konzert zu Ende, die Nacht sollte nicht allzu lang werden.
In Gehren hatten Speiches Monokel Blues Band keinen einfachen Job. Sie mussten als letzte auf die Bühne, waren aber als erste mit dem Soundcheck dran. In der Zeit dazwischen war die Band im Publikum präsent und oft umringt von Fans zum Fachsimpeln. Die Uhr zeigte 23:45 als endlich auch Olli sein Schlagzeug in Rekordtempo aufbauen konnte. Das Set war umgekrempelt und die Band spielte agressiv, vor allem die Stärken mit drei Gitarren in-front-of-stage ausspielend. "A Fool For Your Stocking" war in dieser Beziehung der Hammer. Schön auch, dass es "Das Feuer war schon aus" wieder auf die Setliste geschafft hat. Starker Text und live einfach ein Brett. Die Cover wurden geschickt um die eigenen Titel herumgebaut, die auf der Setliste klar dominierten. "Oma Krüger", "Landei", "Lumpenlied", "Schreier", "Monster vom Schilkinsee" - alles dabei. Eine starke Version vom "Rettungsboot", was jetzt seinen festen Platz hat. Man merkt bei jedem Gig, wie das Zusammenspiel von Carsten, Heinz und Jürgen immer besser wird, wenn sich alle drei auf der Bühne feurige Gitarrenduelle liefern. Nach dem "Hoochie Coochie Man" war Schluss. Nach dem Abbau gegen 02:45 Uhr hatten dann 'Speiche', 'Zuppe', Olli, Heinz, Jürgen und Carsten ihren wohlverdienten Feierabend und wir gingen glücklich und zufrieden Richtung Zeltplatz für einen letzten Absacker.
Gegen 10:00 Uhr begann der Arbeitstag Teil zwei von Shawue beim Frühschoppen. Im Gegensatz zum Vorabend mit kleinem Besteck, was mir besonders gefällt. Das Ganze wird folklastiger und vor allem Heikes Geige rückt stärker in den Vordergrund. Marlies und ihr Team versorgten uns mit starkem Kaffee und leckeren Brötchen- Wer wollte oder einen Fahrer hatte, konnte natürlich auch ein richtiges Frühschoppengetränk genießen. Zwei Sets mit eigenen Titeln und vielen Songs von Bob Dylan mit deutschen Texten. Spontan wurde auch auf Wunsch eines Fans "Carmen" gespielt, mit einem Hammersolo von Lutz auf der Mandoline. Aus dem Publikum kam ein Blueser zu einer Jam-Session auf die Bühne. Der Frühschoppen war, wie in jedem Jahr, vielseitig und abwechslungsreich. Mit "Downtown Train" gingen dann drei schöne Tage in Gehren zu Ende.
Zum Schluss dieses Berichtes sollen aber die Worte von Marlies stehen: »Jeder möge doch im nächsten Jahr zwei Leute mehr mitbringen, um die Hütte mal so richtig voll zu bekommen«. Die Veranstalter, das Festival und auch alle Musiker hätten es verdient. Ein großes Dankeschön auch an die Techniker und DJ Bunzel, der zwischen den Konzerten - wie gewohnt - heiße Scheiben auflegte.
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